Lug und Betrug unter Kollegen Warum wir im Job zum Ekel werden

Die Versuchung ist groß: Pfuschen bei der Spesenabrechnung oder bei geleisteten Arbeitsstunden. Oder auch mal unbeliebten Kollegen einen mitgeben. Warum wir uns im Job oft schlecht benehmen und was Stofftiere damit zu tun haben.

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Wie miese Chefs ihre Mitarbeiter vergraulen
Keine Verantwortung übernehmen oder abgeben Quelle: Fotolia
Fehlende soziale Kompetenz, mangelnde Motivationsfähigkeit Quelle: Fotolia
Mann steht am Bahnsteig und schaut auf seine Armbanduhr Quelle: Fotolia
Fehler des Chefs: Sich zurückziehen, kein Feedback geben Quelle: Fotolia
Ein schlechtes Arbeitsklima ist Kündigungsgrund Nummer eins Quelle: Fotolia
Sind Mitarbeiter nur Marionetten? Quelle: Fotolia
Vielen Chefs fehlt es an der Fähigkeit, Ziele nicht nur für die oberen Etagen, sondern auch für die Mitarbeiter zu definieren Quelle: Fotolia

Um die großen Fragen zu beantworten, muss man manchmal hinter 900 Jahre alte Mauern verschwinden. Das sagen zumindest Marcus Lübbering und seine Kollegen von der Academie Kloster Eberbach.
Regelmäßig öffnen sie Managern die Tore der ehemaligen Zisterzienserabtei. Hier finden die Rastlosen Ruhe und die Gehetzten Einkehr, ob in der Kirche oder mit Blick auf den Rhein – viel Zeit zum Nachdenken.

Was ist richtig, was ist falsch? Wem habe ich unrecht getan? Warum habe ich Regeln gebrochen? Wann zuletzt jemanden verletzt? „Die Stille im Kloster hilft, über Probleme anders nachzudenken“, sagt Lübbering, über persönliche Fehler und Irrtümer, über Verstöße und Schwächen.

Der Bedarf nach betreuter Sinnsuche ist groß unter Managern. Die Branche boomt. Meditationslehrer und Führungskräftetrainer werben mit „Wertecoaching“, Pfarrer versprechen Läuterung in „Ethikseminaren“. Auch bei Bernd Irlenbusch rufen inzwischen Unternehmen an. Der Ökonomieprofessor der Universität zu Köln hat sich auf Wirtschaftsethik spezialisiert. „Angesichts der Unternehmensskandale in jüngster Zeit ist es kein Wunder, dass die Nachfrage hoch ist“, sagt Irlenbusch. Gefälschte Abgaswerte, manipulierte Zinssätze, frisierte Boni – erst vor Kurzem war ein Dax-CEO bei ihm, der sein Unternehmen zu einem besseren Ort machen wollte.

Was Unternehmen tun können, um ihre Mitarbeiter zu motivieren

Eine der größten Studien zum Thema, eine Umfrage der Nichtregierungsorganisation Ethics Recource Center unter 6.400 US-Angestellten, zeigte bereits 2013 ein erschreckendes Bild: 41 Prozent der Befragten gaben an, schon einmal Kollegen beim Betrügen beobachtet oder aber selbst inkorrekt gehandelt zu haben. Für Deutschland gibt es eine derart umfassende Untersuchung nicht, doch Irlenbusch vermutet: Auch der Wirtschafts- und Büroalltag hierzulande ist kein Ort der moralischen Reinheit.

Manche Entgleisung beginnt mit guten Vorsätzen

Was Verhaltensforscher immer wieder feststellen: Nur selten wird Lug und Betrug von langer Hand geplant. Meistens beginnt die Entgleisung harmlos, manchmal gar mit guten Vorsätzen. Erst nach und nach wächst sich der Lapsus zum ausgefeilten System aus. Verantwortlich ist ein Phänomen, das Psychologen „slippery slope“ nennen, also „rutschige Bahn“. Am Anfang steht ein kleines Vergehen: Der eine berechnet einem Kunden ein paar Arbeitsstunden mehr, der andere hübscht schlechte Verkaufszahlen auf, ein Dritter betuppt seinen Chef bei der Spesenabrechnung.

Was Mitarbeiter an Arbeitgeber bindet

Doch der kleine Missgriff hat große Konsequenzen: Wenn der Betrug niemandem auffällt, ermutigt das den Delinquenten, auch beim nächsten Mal nicht ganz ehrlich zu sein. Oder aber die kleine Lüge macht weitere Lügen, zuletzt gar eine größere Manipulation erforderlich, damit sie nicht aufgedeckt wird. Anders gesagt: Der Gelegenheitsschelm aus Schwäche gerät auf die rutschige Bahn des Gewohnheitshalunken, bis er immer komplexere Betrugskonstrukte aufbaut – und irgendwann darüber stolpert.

„Diesem gefährlichen Mechanismus fallen auch grundehrliche Menschen zum Opfer“, sagt Irlenbusch. „Nicht jeder, der Geschäftszahlen fälscht oder eine Software zur Manipulation von Abgastests schreibt, ist ein schlechter Mensch.“

Es beginnt ganz harmlos

Was die rutschige Bahn gerade im Büro so gefährlich macht: Man merkt oft nicht, wenn man sie betritt. Die Wirtschaftsethik-Professorin Ann Tenbrunsel von der Universität Notre Dame und der Psychologe David Messick von der Northwestern-Universität beschrieben vor einigen Jahren, wie Menschen reagieren, wenn sie gegen ihren moralischen Kompass verstoßen. Dabei kommen vor allem drei Strategien zum Einsatz: Euphemismen, eine verzerrte Wahrnehmung und Selbstbetrug.

Da werden Bilanzen „optimiert“ und Verkaufsgespräche „aggressiv geführt“; da wollen wir nicht wahrhaben, dass unsere kleinen Schummeleien schlimme Konsequenzen haben können; und da reden wir uns ein, dass wir ohnehin nichts ändern können, weil das System nun mal so ist. Wir sind sehr gut darin, Ausreden zu finden, um unser Selbstbild eines moralisch handelnden Menschen zu bewahren. Typische Ausrede: Ich habe nur gemacht, was andere mir gesagt haben.

Was die Zufriedenheit der Mitarbeiter steigert

Der Psychologe Stanley Milgram konnte in einem heute legendären Experiment bereits 1961 zeigen, wie empfänglich Menschen für Befehle sind und wie schnell sie ihre eigenen moralischen Standards vergessen. Die Probanden sollten einem Mann im Nebenraum Fragen stellen und ihn für jede falsche Antwort mit einem Stromstoß bestrafen. Mit jeder falschen Antwort wurden die Stromstöße heftiger und die Zweifel der Probanden größer. Doch weil ein Versuchsleiter ihnen befahl weiterzumachen, steigerten sie die Stromstöße bis auf eine lebensgefährliche Voltzahl. Dass der Mann ein Schauspieler war und die Stromstöße nur simulierte, erfuhren die Probanden erst hinterher.

Der Mensch neigt zum Gehorsam

Das Milgram-Experiment wurde inzwischen mehrfach in vielen Ländern und Kulturkreisen wiederholt – immer mit ähnlichen Ergebnissen. „Zahlreiche Studien zeigen, wie Verantwortung zwischen Hierarchieebenen diffundiert“, sagt Irlenbusch. Der Befehlsgeber gibt Anweisungen, führt sie aber nicht aus. Und wer sie ausführt, entschuldigt sich damit, sich das Ganze ja nicht ausgedacht zu haben.

Auch die renommierte Organisationsforscherin Sreedhari Desai von der Universität von North Carolina in Chapel Hill glaubt: Es liegt vor allem am menschlichen Hang zum Gehorsam, dass ein einzelner Chef das ganze Unternehmen auf die schiefe Bahn schicken kann. Desai wollte herausfinden, was in solchen Situationen hilft – und fand ein erstaunliches Gegenmittel.

So geht der Wandel garantiert in die Hose
Los, ändere dich!Die Unternehmen haben sich den digitalen Wandel auf die Fahnen geschrieben. Das ist auch gut so, denn Unternehmen und Organisationen müssen sich laufend verändern, wollen sie nicht untergehen.  Doch gut gemeint ist häufig das Gegenteil von gut gemacht, wie Sebastian Morgner, Nina Leffers, Thomas Perry und Robert Wreschniok. Sie sind die Autoren von „Der ganze normale Change-Wahnsinn “ (erschienen am 02. Februar 2016 bei Murmann Publishers). Einer der klassischen Fehler ist laut einem ihrer Interviewpartner, dass der notwendige Wandel so überpräsent ist, dass er von vielen als Stress und Belastung empfunden wird. Quelle: Murmann Verlag
Blinder Aktionismus Quelle: Fotolia
Keine klare Antwort auf die SinnfrageMenschen mögen keine Veränderungen – „es war doch bisher alles in Ordnung so“. Wenn die Mitarbeiter nun auf einmal völlig anders, vielleicht sogar deutlich länger arbeiten sollen, als vorher, stellt sich die Frage nach dem Warum.  Quelle: Fotolia
Abstrakt statt konkretGenauso häufig setzen Führungskräfte auf abstrakte Kennzahlen statt plastischer Beispiele. Das macht Eindruck und Zahlen sind etwas Verlässliches. Da sich der Mitarbeiter unter „Sie müssen ihre Effizienz um 13,5 Prozent steigern, damit wir die Benchmark erreichen“, aber nichts vorstellen kann, wird daraus nichts. Oder, wie es im Buch heißt: „Wer sich bei der Herleitung von Veränderungsprogrammen ausschließlich auf quantitative Analysen, den Vergleich von Benchmarks, die Auswertung von Key-Performance-Indikatoren und die Bewertung quantitativer Alternativszenarien beschränkt, der wird mit ziemlicher Sicherheit scheitern.“ Quelle: Fotolia
Veränderung ist Chefsache„Grundsätzlich sollten Veränderungsziele nicht den Strategiechef motivieren, sondern diejenigen, auf deren Einsatz das Change-Projekt angewiesen ist“, schreiben die Autoren. Doch in der Regel erstellten Manager ihre Konzepte in geheimen Runden: in ihrem Duktus und mit den Zielen, die sie gerne erfüllt sähen. Wenn man fragt, wie sich die geplanten Veränderungen auf die Mitarbeiter auswirken – müssen sie länger oder anders arbeiten? – und was der Kunde davon hat, ernte man häufig irritierte Blicke. Quelle: Fotolia
Fit4ChangeApropos eigene Sprache: Wer etwas Wichtiges zu sagen hat und etwas auf sich hält, sollte das unbedingt in Büro-Denglisch verpacken, damit nachher auch niemand mehr weiß, worum es geht, aber alle ganz begeistert sind von der Eloquenz der Change-Managers. So schreiben auch die Autoren: „Es scheint Mode zu sein, Change-Initiativen nichtssagende Buzzwords zu verpassen, zum Beispiel »Fit for Future«, »Drive for Excellence«, »@change« oder »Fit4change«. Quelle: Fotolia
Pauschale Appelle»Wir müssen besser im Vertrieb werden«, »Wir müssen kundenorientierter werden«, »Wir müssen Top-Leistung erbringen«, »Wir müssen mehr auf Qualität achten«. Solche und ähnliche, eher leer klingende Appelle sind in vielen Unternehmen an der Tagesordnung. Sie schaffen vor allem eines: Verunsicherung. Der Einzelne fragt sich ständig: »Was bedeutet das für mich? Welche Konsequenzen hat das für mich?« Solange sich diese Fragen für ihn nicht lösen, tendiert er zur Blockade. Quelle: Fotolia

In ihren Studien zusammen mit der Managementforscherin Maryam Kouchaki von der Kellogg School of Management steckte sie ihre Probanden mehrfach in moralisch heikle Situationen. In einem Experiment sollten sich die Teilnehmer zum Beispiel in die Situation eines Managers hineinversetzen, der kurz davor ist, zum CEO aufzusteigen. Unter anderem konnten die Teilnehmer einen Mitarbeiter damit beauftragen, die Geschäftszahlen des Unternehmens zu fälschen – um sowohl die eigenen Chancen auf eine Beförderung zu erhöhen als auch die Bonuszahlungen für das gesamte Team.

Im ersten Teil des Experiments stand in der E-Mail-Signatur des Mitarbeiters der Ausspruch „Erfolg hat immer mit Glück zu tun“. Im zweiten lasen sie eine Weisheit des antiken Dichters Sophokles: „Gerades Scheitern steht höher als ein krummer Sieg.“ Und siehe da: Schon dieser Unterschied zeigte Wirkung. Im ersten Fall entschieden sich 70 Prozent der Teilnehmer für die Anstiftung zum Betrug. Wenn jedoch das mahnende Sophokles-Zitat in der Signatur stand, gaben nur 20 Prozent den entsprechenden Befehl.

Doch nicht nur weise Worte in der E-Mail-Signatur können gegen unlautere Befehle schützen, wie Desai in einer Umfrage bemerkte. Dafür interviewte sie mehr als 200 Angestellte mit und ohne Personalverantwortung in Indien. Die Mitarbeiter sollten erzählen, wie oft sie von ihren Chefs zu unmoralischem Verhalten gedrängt werden, etwa dazu, Zahlen zu fälschen oder Kunden zu belügen. Das erstaunliche Ergebnis: Waren ihre Schreibtische mit religiösen Symbolen wie Buddha-Statuen, Krishna-Bildern, Jesus-Figuren oder Koranversen geschmückt, überredeten die Chefs sie seltener zu unehrlichem Verhalten.

Kindliche Unschuld

Nun ist es für die meisten Unternehmen keine Option, Schreibtische mit Kreuzen und Buddhas auszustatten. Schon praxistauglicher ist eine andere Erkenntnis. Wenn Desai vorab Plüschtiere, Buntstifte und anderes Kinderspielzeug im Raum verteilte, verhielten sich die Probanden ehrlicher.

Um zu testen, ob die Ergebnisse aus dem Experiment auch im echten Arbeitsleben funktionieren, analysierten Desai und die Managementforscherin Francesca Gino die Spenden von US-Unternehmen. Dabei fanden sie einen kuriosen Zusammenhang, der ihre These stützt: Je mehr Kindergärten es in der Nähe eines Unternehmens gab, desto mehr spendete es für wohltätige Zwecke.

Ein Betriebskindergarten sei nicht nur praktisch für arbeitende Eltern, so Desai: „Er kann das ganze Unternehmen zu einem besseren Ort machen.“ Sie plädiert daher für mehr kindliche Unschuld im Büro: „Schreibblöcke mit Regenbogenmotiv oder bunte Möbel können einen großen Einfluss auf ethische Entscheidungen haben.“ Der Grund: Kinder gelten als unschuldige und ehrliche Wesen – und wer sich gedanklich in die Kindheit zurückversetzt, verhält sich ebenfalls ehrlicher.

Unbewusste Mechanismen

Zugegeben, auf den ersten Blick wirken solche Methoden esoterisch und skurril. Doch gleichzeitig sind sie effektiv: „Nicht immer wird Betrug und anderes unethisches Verhalten bewusst begangen“, sagt Desai. Oft stecken dahinter unbewusste Automatismen oder Reflexe – vor allem, wenn wir unter Stress stehen, müde sind oder viele Aufgaben gleichzeitig bearbeiten müssen. Umso wichtiger ist ein Umfeld, das die Mitarbeiter auch unbewusst auf die richtige Bahn lenkt.

Was sich Mitarbeiter von ihren Arbeitgebern wünschen
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Das sei hilfreicher als ein Verhaltenskodex oder Ethiktraining, die allenfalls als Ergänzung dienen, sagt Desai. Eine langfristige Lösung seien diese Workshops nie, bestätigt Irlenbusch. „Unethisches Verhalten hat oft etwas mit einer falschen Unternehmenskultur zu tun“, sagt er. „Die lässt sich nicht in ein paar Ethiktrainings ändern, das dauert oft mehrere Jahre.“

Daher appelliert der Ökonom vor allem an die Verantwortung der Führungskräfte. Zu Betrug komme es oft dadurch, dass sie ihren Mitarbeitern unrealistische Ziele setzen. „Wie diese genau erreicht werden, davon wollen viele Manager lieber nichts wissen“, sagt Irlenbusch. Auch wenn sie sich selbst nichts zuschulden kommen lassen, können sie damit am Ende dafür verantwortlich sein, dass Buchhalter Zahlen fälschen oder Ingenieure Abgastests manipulieren.

Gleichzeitig zeigen die Studien, dass sich Verhalten ändern lässt – mit Geduld und der richtigen Einstellung. „Ethik ist kein Prozess, den man irgendwann abschließt“, sagt Irlenbusch. „Das Leitmotiv bei ethischen Fragen ist immer: Wir können alle ewig besser werden?“

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