Um die großen Fragen zu beantworten, muss man manchmal hinter 900 Jahre alte Mauern verschwinden. Das sagen zumindest Marcus Lübbering und seine Kollegen von der Academie Kloster Eberbach.
Regelmäßig öffnen sie Managern die Tore der ehemaligen Zisterzienserabtei. Hier finden die Rastlosen Ruhe und die Gehetzten Einkehr, ob in der Kirche oder mit Blick auf den Rhein – viel Zeit zum Nachdenken.
Was ist richtig, was ist falsch? Wem habe ich unrecht getan? Warum habe ich Regeln gebrochen? Wann zuletzt jemanden verletzt? „Die Stille im Kloster hilft, über Probleme anders nachzudenken“, sagt Lübbering, über persönliche Fehler und Irrtümer, über Verstöße und Schwächen.
Der Bedarf nach betreuter Sinnsuche ist groß unter Managern. Die Branche boomt. Meditationslehrer und Führungskräftetrainer werben mit „Wertecoaching“, Pfarrer versprechen Läuterung in „Ethikseminaren“. Auch bei Bernd Irlenbusch rufen inzwischen Unternehmen an. Der Ökonomieprofessor der Universität zu Köln hat sich auf Wirtschaftsethik spezialisiert. „Angesichts der Unternehmensskandale in jüngster Zeit ist es kein Wunder, dass die Nachfrage hoch ist“, sagt Irlenbusch. Gefälschte Abgaswerte, manipulierte Zinssätze, frisierte Boni – erst vor Kurzem war ein Dax-CEO bei ihm, der sein Unternehmen zu einem besseren Ort machen wollte.
Was Unternehmen tun können, um ihre Mitarbeiter zu motivieren
Um den Mitarbeitern am Ende des Monats mehr Geld in der Tasche zu bescheren, müssen nicht gleich Millionenbeträge über die Theke wandern. Stattdessen freuen sich Mitarbeiter auch über Gutscheine, mit denen sie laufende Kosten wie Benzin oder Essen
Finanzieren können. Tankstellen- oder Einkaufsgutscheine mit bis zu 44 Euro im Monat kann der Arbeitgeber zudem steuerlich absetzen. Auch Essensgutscheine bis zu 1.342 Euro im Jahr sind für die Chefetage abgabenfrei und kommen bei den Mitarbeitern ohne
Abzüge von Steuern und Sozialabgaben an.
Arbeitgeber können ihren Mitarbeitern auch Personalrabatte gewähren. Bis zu 1.080 Euro im Jahr sind hier ohne Probleme möglich. Unabhängig davon, dass der Mitarbeiter geringere Ausgaben hat, fährt der Arbeitgeber ja dadurch dennoch Umsätze ein: Eine Win‐win-Situation auf der ganzen Linie also.
Auch zinslose oder zinsgünstige Darlehen erfreuen sich bei den Arbeitnehmern zunehmender Beliebtheit. Laut einer Umfrage des Beratungsunternehmens Tower Watson sind Arbeitgeberdarlehen auf Platz zwei der beliebtesten betrieblichen Zusatzleistungen. Diese können mit bis zu 2.600 Euro Zinsvorteil an die Mitarbeiter herausgegeben werden.
Der Urlaub ist für jeden Mitarbeiter essentiell. Hier wird neue Kraft getankt, um anschließend wieder frisch und motiviert ans Werk gehen zu können. Wie schön ist es dann also, wenn der Arbeitgeber hier auch noch aktiv unter die Arme greift? Je nach Familienstand können sich Arbeitgeber mit bis zu 364 Euro im Jahr an den Urlaubskosten ihrer Mitarbeiter beteiligen. Über den ein oder anderen Cocktail extra braucht man sich dann schon mal keine Gedanken mehr zu machen.
Auch Porsche sieht den Wert der Altersvorsorge: 700 Euro pro Mitarbeiter fließen von der Prämienzahlung direkt in die persönliche Altersvorsorge. Aber kleinere Unternehmen können ihren Mitarbeitern ebenso helfen, für das Alter vorzusorgen, indem sie Direktversicherungen, eine betriebliche Altersvorsorge oder Pensionskassen und –fonds für sie anlegen. Dies macht sich nicht so unmittelbar im Geldbeutel bemerkbar wie Gutscheine oder ein Darlehen. Allerdings gibt es den Mitarbeitern Sicherheit und zeigt, dass der Arbeitgeber daran interessiert ist seine Mitarbeiter auch nach ihrer aktiven Zeit im Unternehmen gut zu versorgen.
Familienfreundliche Arbeitgeber sind schwer im Kommen! Eine Umfrage des Anbieters für betriebliche Sozialleistungen und Incentives Sodexo ergab, dass 80 Prozent der deutschen Arbeitnehmer die Work-Life-Balance wichtig finden und 77 Prozent ergeht es ebenso bei der Familienfreundlichkeit des Arbeitgebers. Den Arbeitnehmern wird also zunehmend wichtiger, dass auch der Arbeitgeber ihre persönlichen Werte teilt. Familienfreundliche Arbeitszeiten oder ein Kindergartenzuschuss sind da schon ein sehr guter
Anfang.
Ohne Smartphone und Laptop geht es heute in den meisten Berufen kaum noch. Wenn die Mitarbeiter also ohnehin dieses Equipment, in der Regel mit einer Flatrate, zu Verfügung gestellt bekommen, warum dann nicht die Nutzung gleich ausweiten? Wenn die Mitarbeiter ganz offiziell ihre Arbeitsgeräte für den privaten Alltag verwenden können, verringern sich ihre eigenen Mobilfunkkosten und der Arbeitgeber zahlt auch nicht mehr als für die geschäftliche Nutzung.
Eine der größten Studien zum Thema, eine Umfrage der Nichtregierungsorganisation Ethics Recource Center unter 6.400 US-Angestellten, zeigte bereits 2013 ein erschreckendes Bild: 41 Prozent der Befragten gaben an, schon einmal Kollegen beim Betrügen beobachtet oder aber selbst inkorrekt gehandelt zu haben. Für Deutschland gibt es eine derart umfassende Untersuchung nicht, doch Irlenbusch vermutet: Auch der Wirtschafts- und Büroalltag hierzulande ist kein Ort der moralischen Reinheit.
Manche Entgleisung beginnt mit guten Vorsätzen
Was Verhaltensforscher immer wieder feststellen: Nur selten wird Lug und Betrug von langer Hand geplant. Meistens beginnt die Entgleisung harmlos, manchmal gar mit guten Vorsätzen. Erst nach und nach wächst sich der Lapsus zum ausgefeilten System aus. Verantwortlich ist ein Phänomen, das Psychologen „slippery slope“ nennen, also „rutschige Bahn“. Am Anfang steht ein kleines Vergehen: Der eine berechnet einem Kunden ein paar Arbeitsstunden mehr, der andere hübscht schlechte Verkaufszahlen auf, ein Dritter betuppt seinen Chef bei der Spesenabrechnung.
Was Mitarbeiter an Arbeitgeber bindet
Umfrage unter 665 Entscheidern in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Quelle: Hys HR-Report 2014/15
70% der Befragten halten interessante Aufgaben für ein geeignetes Mittel, um Mitarbeiter an den Arbeitgeber zu binden. Umgesetzt haben dies bereits 60%.
63% der Befragten sehen eine marktgerechte Entlohnung als besonders geeignet an, um Mitarbeiter an den Arbeitgeber zu binden. Dies umgesetzt haben 55%.
Um Mitarbeiter an den Arbeitgeber zu binden, halten 67% der Befragten Maßnahmen zur Work-Life-Balance für besonders geeignet. Als bereits umgesetzt betrachten dies 46%.
Personalentwicklung ist für 63% ein geeignetes Mittel zur Bindung von Mitarbeitern an den Arbeitgeber. 45% haben dies bereits umgesetzt.
95% der Entscheider halten eine wertschätzende Unternehmenskultur und ein gutes Betriebsklima für besonders geeignet um Mitarbeiter an den Arbeitgeber zu binden. 53% geben an dies schon umgesetzt zu haben.
Doch der kleine Missgriff hat große Konsequenzen: Wenn der Betrug niemandem auffällt, ermutigt das den Delinquenten, auch beim nächsten Mal nicht ganz ehrlich zu sein. Oder aber die kleine Lüge macht weitere Lügen, zuletzt gar eine größere Manipulation erforderlich, damit sie nicht aufgedeckt wird. Anders gesagt: Der Gelegenheitsschelm aus Schwäche gerät auf die rutschige Bahn des Gewohnheitshalunken, bis er immer komplexere Betrugskonstrukte aufbaut – und irgendwann darüber stolpert.
„Diesem gefährlichen Mechanismus fallen auch grundehrliche Menschen zum Opfer“, sagt Irlenbusch. „Nicht jeder, der Geschäftszahlen fälscht oder eine Software zur Manipulation von Abgastests schreibt, ist ein schlechter Mensch.“
Es beginnt ganz harmlos
Was die rutschige Bahn gerade im Büro so gefährlich macht: Man merkt oft nicht, wenn man sie betritt. Die Wirtschaftsethik-Professorin Ann Tenbrunsel von der Universität Notre Dame und der Psychologe David Messick von der Northwestern-Universität beschrieben vor einigen Jahren, wie Menschen reagieren, wenn sie gegen ihren moralischen Kompass verstoßen. Dabei kommen vor allem drei Strategien zum Einsatz: Euphemismen, eine verzerrte Wahrnehmung und Selbstbetrug.
Da werden Bilanzen „optimiert“ und Verkaufsgespräche „aggressiv geführt“; da wollen wir nicht wahrhaben, dass unsere kleinen Schummeleien schlimme Konsequenzen haben können; und da reden wir uns ein, dass wir ohnehin nichts ändern können, weil das System nun mal so ist. Wir sind sehr gut darin, Ausreden zu finden, um unser Selbstbild eines moralisch handelnden Menschen zu bewahren. Typische Ausrede: Ich habe nur gemacht, was andere mir gesagt haben.
Was die Zufriedenheit der Mitarbeiter steigert
Von den Arbeitnehmern, die mit ihrem Job zufrieden sind, machten mehr als die Hälfte (60 Prozent) die Kollegen, mit denen sie arbeiten, für ihr Gefühl der Erfüllung am Arbeitsplatz verantwortlich.
Quelle: CareerBuilder
Verantwortung zu haben, ist für 50 Prozent ein Zufriedenheitsgarant.
"Ich leite einen sehr erfolgreichen Internet-Konzern": 48 Prozent macht ihr Jobtitel zufrieden.
Pendeln? Nein, danke. 47 Prozent sind zufrieden, wenn sie einen kurzen Anfahrtsweg zu ihrem Arbeitgeber haben.
Jeweils 43 Prozent sind zufrieden dank ihres Gehaltes beziehungsweise der gten Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die ihr Arbeitgeber ihnen bietet.
Sich wertgeschätzt zu fühlen, ist für 42 Prozent entscheidend.
Jeweils 40 Prozent sagten, dass es zu ihrer Jobzufriedenheit beiträgt, wenn sie herausgefordert werden beziehungsweise ihren Vorgesetzten mögen.
Der Psychologe Stanley Milgram konnte in einem heute legendären Experiment bereits 1961 zeigen, wie empfänglich Menschen für Befehle sind und wie schnell sie ihre eigenen moralischen Standards vergessen. Die Probanden sollten einem Mann im Nebenraum Fragen stellen und ihn für jede falsche Antwort mit einem Stromstoß bestrafen. Mit jeder falschen Antwort wurden die Stromstöße heftiger und die Zweifel der Probanden größer. Doch weil ein Versuchsleiter ihnen befahl weiterzumachen, steigerten sie die Stromstöße bis auf eine lebensgefährliche Voltzahl. Dass der Mann ein Schauspieler war und die Stromstöße nur simulierte, erfuhren die Probanden erst hinterher.
Der Mensch neigt zum Gehorsam
Das Milgram-Experiment wurde inzwischen mehrfach in vielen Ländern und Kulturkreisen wiederholt – immer mit ähnlichen Ergebnissen. „Zahlreiche Studien zeigen, wie Verantwortung zwischen Hierarchieebenen diffundiert“, sagt Irlenbusch. Der Befehlsgeber gibt Anweisungen, führt sie aber nicht aus. Und wer sie ausführt, entschuldigt sich damit, sich das Ganze ja nicht ausgedacht zu haben.
Auch die renommierte Organisationsforscherin Sreedhari Desai von der Universität von North Carolina in Chapel Hill glaubt: Es liegt vor allem am menschlichen Hang zum Gehorsam, dass ein einzelner Chef das ganze Unternehmen auf die schiefe Bahn schicken kann. Desai wollte herausfinden, was in solchen Situationen hilft – und fand ein erstaunliches Gegenmittel.
In ihren Studien zusammen mit der Managementforscherin Maryam Kouchaki von der Kellogg School of Management steckte sie ihre Probanden mehrfach in moralisch heikle Situationen. In einem Experiment sollten sich die Teilnehmer zum Beispiel in die Situation eines Managers hineinversetzen, der kurz davor ist, zum CEO aufzusteigen. Unter anderem konnten die Teilnehmer einen Mitarbeiter damit beauftragen, die Geschäftszahlen des Unternehmens zu fälschen – um sowohl die eigenen Chancen auf eine Beförderung zu erhöhen als auch die Bonuszahlungen für das gesamte Team.
Im ersten Teil des Experiments stand in der E-Mail-Signatur des Mitarbeiters der Ausspruch „Erfolg hat immer mit Glück zu tun“. Im zweiten lasen sie eine Weisheit des antiken Dichters Sophokles: „Gerades Scheitern steht höher als ein krummer Sieg.“ Und siehe da: Schon dieser Unterschied zeigte Wirkung. Im ersten Fall entschieden sich 70 Prozent der Teilnehmer für die Anstiftung zum Betrug. Wenn jedoch das mahnende Sophokles-Zitat in der Signatur stand, gaben nur 20 Prozent den entsprechenden Befehl.
Doch nicht nur weise Worte in der E-Mail-Signatur können gegen unlautere Befehle schützen, wie Desai in einer Umfrage bemerkte. Dafür interviewte sie mehr als 200 Angestellte mit und ohne Personalverantwortung in Indien. Die Mitarbeiter sollten erzählen, wie oft sie von ihren Chefs zu unmoralischem Verhalten gedrängt werden, etwa dazu, Zahlen zu fälschen oder Kunden zu belügen. Das erstaunliche Ergebnis: Waren ihre Schreibtische mit religiösen Symbolen wie Buddha-Statuen, Krishna-Bildern, Jesus-Figuren oder Koranversen geschmückt, überredeten die Chefs sie seltener zu unehrlichem Verhalten.
Kindliche Unschuld
Nun ist es für die meisten Unternehmen keine Option, Schreibtische mit Kreuzen und Buddhas auszustatten. Schon praxistauglicher ist eine andere Erkenntnis. Wenn Desai vorab Plüschtiere, Buntstifte und anderes Kinderspielzeug im Raum verteilte, verhielten sich die Probanden ehrlicher.
Um zu testen, ob die Ergebnisse aus dem Experiment auch im echten Arbeitsleben funktionieren, analysierten Desai und die Managementforscherin Francesca Gino die Spenden von US-Unternehmen. Dabei fanden sie einen kuriosen Zusammenhang, der ihre These stützt: Je mehr Kindergärten es in der Nähe eines Unternehmens gab, desto mehr spendete es für wohltätige Zwecke.
Ein Betriebskindergarten sei nicht nur praktisch für arbeitende Eltern, so Desai: „Er kann das ganze Unternehmen zu einem besseren Ort machen.“ Sie plädiert daher für mehr kindliche Unschuld im Büro: „Schreibblöcke mit Regenbogenmotiv oder bunte Möbel können einen großen Einfluss auf ethische Entscheidungen haben.“ Der Grund: Kinder gelten als unschuldige und ehrliche Wesen – und wer sich gedanklich in die Kindheit zurückversetzt, verhält sich ebenfalls ehrlicher.
Unbewusste Mechanismen
Zugegeben, auf den ersten Blick wirken solche Methoden esoterisch und skurril. Doch gleichzeitig sind sie effektiv: „Nicht immer wird Betrug und anderes unethisches Verhalten bewusst begangen“, sagt Desai. Oft stecken dahinter unbewusste Automatismen oder Reflexe – vor allem, wenn wir unter Stress stehen, müde sind oder viele Aufgaben gleichzeitig bearbeiten müssen. Umso wichtiger ist ein Umfeld, das die Mitarbeiter auch unbewusst auf die richtige Bahn lenkt.
Das sei hilfreicher als ein Verhaltenskodex oder Ethiktraining, die allenfalls als Ergänzung dienen, sagt Desai. Eine langfristige Lösung seien diese Workshops nie, bestätigt Irlenbusch. „Unethisches Verhalten hat oft etwas mit einer falschen Unternehmenskultur zu tun“, sagt er. „Die lässt sich nicht in ein paar Ethiktrainings ändern, das dauert oft mehrere Jahre.“
Daher appelliert der Ökonom vor allem an die Verantwortung der Führungskräfte. Zu Betrug komme es oft dadurch, dass sie ihren Mitarbeitern unrealistische Ziele setzen. „Wie diese genau erreicht werden, davon wollen viele Manager lieber nichts wissen“, sagt Irlenbusch. Auch wenn sie sich selbst nichts zuschulden kommen lassen, können sie damit am Ende dafür verantwortlich sein, dass Buchhalter Zahlen fälschen oder Ingenieure Abgastests manipulieren.
Gleichzeitig zeigen die Studien, dass sich Verhalten ändern lässt – mit Geduld und der richtigen Einstellung. „Ethik ist kein Prozess, den man irgendwann abschließt“, sagt Irlenbusch. „Das Leitmotiv bei ethischen Fragen ist immer: Wir können alle ewig besser werden?“