Moral im Job "Es gibt keine Pflicht, sich für andere zu opfern"

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Wir brauchen mehr Whistleblower

Aber Whistleblowing hat enorme Kosten.
Ja. Das wird in der Diskussion um Transparenz und Verantwortung der Mitarbeiter oft vergessen. Der Whistleblower ist in einer schwierigen Position, denn er steht alleine einer großen Gruppe gegenüber. Wenn falsches Verhalten beginnt und noch nicht aufgedeckt wurde, denkt die Mehrheit eben oft noch, dass das Verhalten nicht falsch, sondern völlig normal und in Ordnung ist. Der Whistleblower wird daher oft als Verräter wahrgenommen und nicht als mutiger Held, der Missstände aufdeckt.

Was raten Sie also?
Daher ist die Antwort nicht so eindeutig, wie es zunächst scheint. Denn auch der potenzielle Whistleblower hat eine Würde, die er schützen will. Aus moraltheoretischer Sicht ist das eine Abwägungsfrage: Welcher Schaden ist größer? Der für den Whistleblower, wenn er seinen Job verliert, oder der, den das fragwürdige Verhalten von Kollegen anrichtet?

Wo würden Sie die Grenze ziehen?
Wenn Menschenleben in Gefahr sind, zum Beispiel wenn ein Unternehmen gefährliche Giftstoffe nicht richtig entsorgt oder ein falsches Bauteil in einem Auto zu Unfällen führt. Aber darunter ist die Abwägung oft erstaunlich schwierig.

Das klingt fast so, als wollten sie Whistleblower entmutigen oder rechtfertigen, wenn Mitarbeiter wegschauen.
Im Gegenteil: Wir brauchen mehr Menschen, die sich trauen, zu melden, wenn etwas schief läuft. Es zeigt nur, dass Unternehmen mehr tun müssen, um sie gegen die Mehrheitsmeinung zu schützen.

Kommen wir zum Thema Gleichheit oder Gerechtigkeit. Müssen zwei Mitarbeiter, die die gleiche Leistung bringen, das exakt gleiche Gehalt bekommen?
Das intuitive Gerechtigkeitsbewusstsein sagt uns hier: Ja, wer die gleiche Arbeit macht, muss dafür auch gleich bezahlt werden. Das erste Problem, das sich jedoch dabei stellt ist, dass sich die Arbeitsleistung in den meisten Fällen nicht eindeutig messen und vergleichen lässt. Bei einigen Tätigkeiten wie zum Beispiel im Verkauf mag es noch Kennzahlen geben, die die Arbeitsleistung zumindest teilweise objektiv abbilden, aber bei vielen Berufen der Wissensarbeit lässt sich an das, was jemand pro Monat so macht im Büro, nur schwer ein Preisschild kleben.

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Wenn man Leistung objektiv messen könnte, wäre die Gerechtigkeitsfrage also gelöst?
Nein. In der Philosophie gibt es eine Debatte darüber, was „Verdienst“ überhaupt bedeutet. Für welche Dinge verdiene ich eine Belohnung? Leistungen generell und beruflicher Erfolg erst Recht hängen stark von Faktoren ab, für die man nicht selber verantwortlich ist.. Angeborene Talente zum Beispiel oder die Rahmenbedingungen, in denen man aufwächst. Selbst wenn am Ende zwei Mitarbeiter exakt die gleiche Leistung bringen, kann es sein, dass einer von ihnen eigentlich deutlich mehr Belohnung dafür verdient.

Zum Beispiel, weil er sich aus schwierigen Verhältnissen nach oben gearbeitet hat?
Ja. Das ist aber natürlich erst Recht schwer zu messen. Diese Messprobleme, die es bei leistungsabhängiger Bezahlung immer gibt, sind ein Grund, warum sich in vielen Unternehmen die Bezahlung vor allem nach Hierarchiestufen richtet. Wer weiter oben in der Hierarchie steht, so wird angenommen, leistet auch mehr und sollte daher auch mehr verdienen. Das heißt dann aber auch klar: Auf der gleichen Hierarchiestufe müssen Mitarbeiter auch in etwa gleich bezahlt werden.

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