Es ist ja nun Erkältungszeit. Die Luft der Konferenzräume und Großraumbüros ist gut gesättigt in diesem milden November mit Rhino-, Corona- und Paramyxoviren. In den Nasenhöhlen und Rachen der durch Stress geschwächten Insassen finden sie beste Fortpflanzungsbedingungen vor.
Ganzjährig beste Bedingungen bietet die moderne Arbeitswelt mit ihrem pausenlosen Kommunikationszwang leider auch den unsichtbaren Geistesbazillen, die sich ein paar Zentimeter oberhalb der Grippeviren im Sprachzentrum der Menschen festsetzen. Die Folge ist ein Übel, das noch deutlich hartnäckiger und für die Mitmenschen ärgerlicher sein kann als ein Schnupfen: Dummgeblubber.
Kennen Sie die Bedeutung folgender Floskeln?
Der Mitarbeiter suchte sexuelle Kontakte im Kollegenkreis.
Mangelhafte Leistungsbeurteilung
Der Mitarbeiter hat ein Alkoholproblem.
Mangelhafte Leistung
Unangenehmer Mitarbeiter, Wichtigtuer
Bürokrat, ohne Initiative
Mangelhafte Leistung
In jeder Hinsicht eine Niete.
Laut UrteilLAG Hamm (Az 4Sa 630/98) unzulässig, da doppelbödig.
Mitarbeiter hat die Fortbildungsmaßnahmen nicht genutzt.
Ganz ähnlich wie ihr mikrobiologisches Pendant pflanzen sich die Sprachbazillen meist rasend schnell von Mund zu Mund (oder Ohr) fort. Man hört sie alltäglich im Büro, im Konferenzraum und in der Kantine. Derzeit besonders verbreitet: Die Antwort "keine Ahnung", gefolgt von einem ausführlichen Kommentar, in dem wiederum jeder zweite Satz wieder mit "keine Ahnung" beginnt.
Die Epidemie des "nicht wirklich" klingt glücklicherweise gerade aus. Auch "ganz großes Kino" ist auf dem Rückzug. Ebenso "wie geil (oder asozial oder was auch immer) ist das denn!?".
Hier hat das angefangen, was langfristig jeder Floskel den Garaus macht: Sie gelten als ordinär und Indiz der Dümmlichkeit des Sprechers. Noch nicht geschehen ist das mit "spannend" als Bezeichnung für alles, was man angeblich interessant findet, über das man sich allerdings keine tieferen Gedanken zu machen gedenkt.
Besonders hartnäckig halten sich leider gerade bei jüngeren Sprechern und leider gerade in der Lebenswelt der so genannten Medienschaffenden hässliche Nicht-Worte wie das das fragend-vorwurfsvolle "Hallo!?" und das – nur in Lautschrift schreibbare – "həhəhə" als denkfaule Verweigerung einen Satz korrekt auszuführen. Vermutlich weil man sie schlecht schreiben kann, fehlt diese schlimmste aller Sprachkrankheiten sogar in dieser nahezu kompletten "Liste der nervigsten Redewendungen und Floskeln".
In vollem Saft steht derzeit auch "alles gut". Manche Gegenwartsdeutsche begrüßen ihre Nachbarn auf der Straße nicht mehr mit "Guten Tag" oder "Hallo", sondern mit "Alles gut?". Worauf sie als Antwort natürlich "Alles gut!", erwarten. An diesem Beispiel kann man gut verfolgen, wie sich Floskeln und anderes Dummdeutsch ausbreitet, nämlich nach den "Gesetzen der Nachahmung", die der Soziologe Gabriel Tarde einst in seinem gleichnamigen Standardwerk formulierte: also von den Überlegenen zu den Unterlegenen. Das heißt allerdings nicht, von den Reichen zu den Armen oder von den Gebildeten zu den Ungebildeten, sondern von denen, die den Ton angeben, zu denen, die ihn hören.
Floskel-Krankheiten breiten sich aus
Überlegen sind in unserer Mediengesellschaft Leute, die besonders oft im Fernsehen und anderen Medien zu hören sind und ihre Geschwätzbazillen dadurch besonders wirksam streuen können. Im Falle des "alles gut" war es die Fernsehmoderatorin Nina Ruge, die ihre Zuschauer jahrelang mit einem apodiktischen "Alles wird gut" verabschiedete. Spätestens seitdem Bushido 2010 "Alles wird gut!" auch noch rappte, hat sich der Kleinkindertröstspruch in Millionen mehr oder weniger erwachsener Köpfe eingenistet.
Wie alle extrem nervenden Floskeln gibt sich "alles gut" nicht mit dem Status als potentielle Antwort zufrieden, sondern will auch ohne Aufforderung andauernd in die Welt hinausposaunt werden: als Begrüßungsfrage droht das "alles gut?" nun im Deutschen zu werden, was "How are you?" im Englischen und "Genki?" ("gesund?") im Japanischen sind. Man kann nur hoffen, dass es vorher wieder ausstirbt.
Es gibt auch Floskel-Krankheiten, die sich auf ganz ausgesuchte Wirtstiere spezialisiert haben. "Ja, gut …" zum Beispiel kommt fast nur aus dem Munde von Fußballprofis, die kurz nach dem Spiel etwas in eine Fernsehkamera sagen sollen. Ja gut, mag man sagen, Fußballer sind halt oft Prolls und dank eines herkunftsbedingt restringierten Sprachcodes besonders anfällig für derartiges Blähdeutsch.
Leider haben sich aber auch in den letzten Hochburgen der Gelehrsamkeit einige Floskelviren perfekt an die Bedingungen eines elaborierten Sprachcodes angepasst. Unter Historikern zum Beispiel grassiert seit Jahren die "Ambivalenz". Klingt lateinisch und sehr alt, ist aber ebenso wie "elaboriert" und "restringiert" eine neuzeitliche Sprachzüchtung wichtigtuerischer Wissenschaftler. Der Psychiater Eugen Bleuler hat diese Gelehrtensprechblase in die Welt gesetzt, weil er sich scheute, einfach "Zwiespalt" zu schreiben.
Die so genannten Medienschaffenden und alle, die mit einem größeren Publikum kommunizieren, tragen also eine besonders große Verantwortung bei der Eindämmung des Gebrabbels. So wie man nicht vor kleinen Kindern über eine rote Ampel geht, könnte sich jeder Chef in jedem Meeting einfach mal auf die Zunge beißen, bevor er sie unüberlegt rausblubbert.
Wie kann man die Mitarbeiter dabei mit ins Boot holen? Keine Ahnung, da bin ich total schmerzfrei. Aber spannende Ideen kommen irgendwie wie Kai aus der Kiste. Genau! Und am Ende, sag ich mal, alles wird gut.