„Nicht nackig genug“ Der schwere Weg zum Social-Media-Star

Social-Media-Stars gehören zu den Großverdienern der Werbeindustrie. Unsere Reporterin will auch eine erfolgreiche Influencerin werden. Ein Selbstversuch.

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Instagram, Youtube und Co.: Influencer Marketing Quelle: Ohhcouture.com

Matthias Ziegenhain scrollt sich konzentriert durch alle Bilder, die ich ihm an diesem Januartag in Berlin zeige, bevor er meine digitale Existenz verbal vernichtet. „Keine einheitliche Bildsprache“, lautet das erste Urteil, als der Social-Media-Marketingexperte der Digitalagentur Torben, Lucie und die Gelbe Gefahr (TLGG) auf meine Bilder schaut, die ich bei Instagram veröffentlicht habe. „Man weiß nicht, wer du bist und was das alles soll.“

Meine Bilder passten visuell nicht zueinander, hätten kein Konzept. Und, natürlich, ich sei nicht nackig genug. Außerdem wirke ich unnahbar, weil ich keine Selfies poste. „Aber“, wende ich ein. „Ich finde Selfies langweilig.“ „Ich auch“, sagt Ziegenhain. Aber es sei eben das, was funktioniere. Deswegen müsse ich schon an der Qualität der Bilder arbeiten. Viel häufiger posten, mindestens ein Bild täglich. Hashtags setzen, damit ich besser gefunden werde, 30 sind pro Post erlaubt. Und nach jedem Post mindestens eine Stunde für Reichweite sorgen: also Bilder von anderen liken, kommentieren, folgen, auf Kommentare reagieren.

Harte Arbeit, aber ich will ja in den folgenden Monaten groß herauskommen in den sozialen Medien, Influencerin werden. Eine Instagram-Foto-Ikone, die sich eine Fangemeinde aufgebaut hat und von Markenkonzernen dafür bezahlt wird, dass sie bei Instagram und Co. deren Produkte so beiläufig wie möglich bewirbt. Kaum ein Wort löst in der Marketingwelt derzeit so zuverlässig Freude aus wie Influencer. Längst verloren geglaubte Zielgruppen wie Jugendliche oder Menschen, die kein Fernsehen mehr schauen, oder neues Nischenpublikum sollen so doch noch für Marken begeistert werden.

Die wichtigsten Fakten zu Instagram

Die digitale Schleichwerbung ist zur Boombranche avanciert und hat ihre ganz eigenen Phänomene hervorgebracht. So wie Bibi, den YouTube- und Schminktipp-Star, die gerade ihre Millionen Fans überrumpelte, indem sie einen eigenen Song rausbrachte. Die Aufmerksamkeit ist so groß, dass nach Mode- und Beautybranche sich vom Wischmopphersteller bis zu Automobilkonzernen wie Porsche und Alfa Romeo gerade alle in die Welt der Influencer stürzen. „Der Blogger weiß selbst am besten, wie er sich und den Interessen seiner Follower treu bleibt“, sagte erst kürzlich ein Marketingmanager bei Alfa Romeo dem Branchenblatt „Horizont“. Man schreibe nichts vor. Das klingt gut. Ich will das auch ausprobieren.

Ich bin als Mode-Bloggerin seit Februar 2014 bei Instagram aktiv und habe rund 3000 Follower um mich versammelt. Es ist ein Hobby. Nun möchte ich schauen, ob ich selbst zum Profi in dieser Welt werden kann.

Von Medi- und Micro-Influencern

Mein erster Berater auf diesem Weg, Ziegenhain, begann 2015 seinen Job bei TLGG. Die Kundenliste der Digitalberatung kann sich sehen lassen: E.On, Lufthansa, Huk-Coburg oder das Bundeswirtschaftsministerium. Da sollte mein Anliegen doch zu lösen sein.

Als Ziegenhain bei TLGG begann, war das Wort Influencer noch nicht erfunden. Es gab niemanden, der Ahnung hatte, und nahezu kaum Forschung. Deswegen vergrub er sich jeden Freitag an seinem Schreibtisch. Ein halbes Jahr lang las er Bücher und Artikel im Internet, beobachtete etliche Accounts, um zu verstehen, was einen guten Influencer ausmacht. Er stellte fest, dass jeder etwas anderes darunter definierte. Warum aber diese Influencer für die Werbewirtschaft so wichtig sind, lasse sich durch ein simples sozialpsychologisches Prinzip erklären: Je näher uns die Menschen sind, die uns eine Empfehlung geben, desto glaubwürdiger schätzen wir deren Ratschläge ein. Influencer vermitteln eine stärkere Nähe als Unternehmen – kleine Influencer mehr Nähe als große. Deswegen seien gerade auch Medi-Influencer mit einer Followerzahl unter 100 000 und Micro-Influencer mit unter 10 000 gefragt. „Wir glauben an den Micro-Ansatz“, lautet sein Fazit. Es gibt Hoffnung für mich.

Im Zug von Berlin zurück nach Düsseldorf habe ich ein Foto im Gepäck, das ich auf Instagram posten will. Vorher überlege ich mir 30 sinnvolle Hashtags wie #personalstyle oder #fashionphotography. Das Bild geht online.

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