„Nicht nackig genug“ Der schwere Weg zum Social-Media-Star

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Von echten und gekauften Followern

Der ICE rast durch die Nacht, ich like, kommentiere, folge Profilen, bilde Knotenpunkte. Ich verteile Herzen an Outfits, Gebäude, Strände, Berlin-Bilder und schreibe am laufenden Band „Schöne Tasche“, „Toller Look“, „Tolles Bild“. Eine Stunde hatte Ziegenhain geraten, ich bin ambitioniert und mache es vier Stunden lang. Als ich in Düsseldorf ankomme, fühlt es sich so an, als würde sich mein Gehirn auflösen. Aber: Es funktioniert. Das Bild, das ich auf der Rückfahrt aus Berlin poste, wird auch Wochen später eines der meistgelikten Bilder meines Accounts sein. Mehrere Dutzend Follower habe ich eingesammelt, Tage darauf kommen immer wieder neue dazu.

Die Autorin vor dem Check-up der Experten. Quelle: Privat, Sarah Pritzel

Danach vergeht eine Woche – und es passiert nichts. Weil ich arbeite und keine Zeit habe und weil es im Büro keine instagramtauglichen Momente gibt. Und so scheitere ich prompt an dem wichtigsten Rat: Postingfrequenz deutlich erhöhen. Denn die Instagram-Algorithmen sind eine fiese Sache. Wie auch bei Facebook werden die Postings nicht in chronologischer Reihenfolge angezeigt, sondern nach Relevanz sortiert. Und was relevant ist, entscheidet Instagram: Bilder mit hoher Interaktion. Doch Influencer wären nicht Influencer, wenn sie sich nichts einfallen lassen würden. Ich stoße auf sogenannte Like-Gruppen: Wer ein Bild postet, teilt es zusätzlich in dieser Gruppe – und dann müssen es alle Gruppenmitglieder liken und kommentieren. Wichtige Lektion: Wer sich nicht in mächtigen Gruppen organisiert, ist raus.

Geld hilft immer

Ein anderes Hilfsmittel ist Geld. Es gibt kostenpflichtige Apps, die für wenige Cent dafür sorgen, dass die eigenen Bilder Tausende Likes bekommen. Und man kann Instagram auch dafür bezahlen, dass das eigene Posting doch eingeblendet wird. Wem es nur darum geht, sein Profil mit einer hohen Follower-Zahl zu schmücken, kann sich diese zudem ganz einfach kaufen. Bei Followerskaufen.net etwa hat man die Wahl zwischen folgenden Paketen: 100 Follower für 5,99 Euro, 500 für 9,99 Euro, 2500 für 24,99 Euro und 10 000 Follower für 74,99 Euro. Um 2500 Follower zu bekommen, habe ich ohne Geld zweieinhalb Jahre gebraucht. Aber immerhin sind meine Follower echt. Gekaufte Follower sind meist Fake-Accounts ohne echte Menschen dahinter, die man an kryptischen Namen und fehlenden Profilbildern erkennt.

Marktanteile von Social Media-Plattformen nach Seitenabrufen

Der Kauf von Followern ist ein Aufreger-Thema in der Szene. Jeder unterstellt dem anderen, er hätte Follower gekauft, und jeder behauptet, es niemals getan zu haben. Prinzipiell steht erst einmal jeder unter Verdacht. Genauso heiß diskutiert: wer sich reich geinfluenct hat. Die Big Player wie Bibi oder beispielsweise Leonie Hanne von Ohh Couture kassieren für ihre Werbedeals Tausende bis Zehntausende Euro, heißt es.

Darüber sprechen will natürlich niemand. Aber mit dem Aufstieg von Instagram entstanden auch Analysenetzwerke, auf denen potenzielle Kooperationspartner die Performance eines Accounts analysieren können. Dort kann man auch ungefähr abschätzen, wer wie viel wert ist. Aus Deutschland etwa stammt die Instagram-Suchmaschine InfluencerDB. Von den Top-10-Influencern hat Bianca Heinicke, alias Bibi, dort mit 25 000 Dollar den höchsten „Media Value“ per Post. So viel dürfte sie also mindestens erhalten, damit Werber von ihrer Reichweite profitieren. Auch mein Account ist dort gelistet. Ein Posting von mir ist rund 23 Dollar wert. Für das Foto von der Top-of-the-Rock-Aussichtsplattform in New York hat mich allein der Eintritt 34 Dollar gekostet. Meine Instagram-Unternehmung ist ein Verlustgeschäft.

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