Norbert Bolz "Erfolgreiche Typen sind immer Spielertypen"

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Die Suche nach der Unzufriedenheit

Das heißt, wir sehen das Spielen nur noch aus der Perspektive der Arbeitsmoral...

…im Sinne von Zeitvertreib oder Freizeit, genau. Freizeit ist, wenn man so will, der moderne Krüppel der Muße. Und Spielen die Rettung der Natur des Menschen vor den Ansprüchen der Arbeitsgesellschaft. Das Spielen bringt uns in Sicherheit vor einem Leben, das zwar komfortabel ist, uns aber kaum noch Freude bietet, immer weniger Gelegenheiten, unser Leben zu spüren.

Sie wollen sagen, dass es uns zu gut geht? So gut, dass wir uns auf die Suche nach der Unzufriedenheit machen?

Das ist wundervoll gesagt. Und wortwörtlich die Formel des Psychoanalytikers Jacques Lacan. Oder nehmen Sie John Maynard Keynes, der den Überdruss in das Problem der Langeweile fasste. Oder den Ökonomen Tibor Scitovsky, der die Moderne auf die Formel brachte: „We gained comfort and lost pleasure.“ Eben deshalb gibt es einen großen Bedarf nach Angst: Wir haben aus Langeweile Lust, uns Gefahren auszusetzen – selbst wenn es nur „safe dangers“ sind wie das Bungee-Springen: Ich begebe mich in Gefahr, weil ich weiß, dass eigentlich nichts passieren kann.

Die erfolgreichsten YouTube-Stars Deutschlands
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Das Spiel ist der Ort, an dem es uns möglich ist, ohne Angst gefährlich zu leben?

Ja, das Spiel ist paradoxerweise der Ort, an dem nichts wirklich auf dem Spiel steht. Spielen ist Weltausgrenzung. Und das ist gut so. Die Leute wissen ganz genau, wie sie mit ihren Problemen umgehen müssen – sie spielen Lotto und Monopoly, sie fahren Achterbahn, kraxeln irgendwelche K2s hoch und gehen ins Fußballstadion. Alle spielen ununterbrochen. Meine Botschaft ist daher ganz schlicht: Wenn du gerne spielst, tu es mit gutem Gewissen...

...weil die Parallelwelt des Spiels dem Spieler guttut?

So ist es. Spielregel, Spielfeld und Spieldauer stellen eine geschlossene Situation her. Sie garantieren dem Spiel eine aufregende Eigenkomplexität, aus der die Weltkomplexität konsequent ausgeschlossen ist. Die Welt versinkt in Nichtigkeit. Draußen ist der Alltag. Das ist der Containereffekt: Der Spieler kann jederzeit unterscheiden zwischen Drinnen und Draußen. Er weiß, dass alles nur ein Spiel ist – und kann sich deshalb vollkommen dem Spiel überlassen.

Der feste Rahmen ist die Voraussetzung des Thrills im Spiel?

Nur weil ich die Regeln genau kenne und befolge, kann ich den Zufall genießen. Der Philosoph Hans Blumenberg hätte gesagt: Kontingenz als Stimulans. Wunderbare Formel. Man lernt den Zufall leiden.

Die besten Beispiele für Gamifikation

Weil man das Schicksal im Spiel herausfordern kann, ohne Angst davor haben zu müssen, in das Schicksal hineinzulaufen?

Genau darum geht’s. Und der Inbegriff unserer Begegnung mit dem Schicksal ist die Begegnung mit dem Spielautomat. Was die meisten für den größten Wahnsinn, die größte Dummheit halten, ist in Wahrheit das größte Faszinosum: Beim Glücksspiel fordert man den Zufall gegenüber einem Automaten heraus.

Das Spiel entzieht sich unserer Kontrolle?

Und ist damit ein Gegenentwurf zu unserer rationalen Welt. Ein Kind kann beim „Mensch ärgere dich nicht“ auch gegen einen Professor gewinnen. Oder nehmen Sie den Fußball: ein extrem leistungsabhängiges Spiel, im Regelfall setzt sich der Bessere durch. Aber der Fußball ist nur deshalb so faszinierend, weil auch der Schlechtere, der Glücklichere gewinnen kann. Selbst wenn Sie supergut sind, können Sie Pech haben – das ist der Zauber des Fußballs: dass er unberechenbar ist.

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