Ohne Skrupel: Psychopathen in der Chefetage

Erstaunlich häufig gelangen regelrechte Psychopathen in die Chefetagen. Interessanterweise nicht immer zum Nachteil der betroffenen Unternehmen.

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Check: Was für ein Psychopath ist Ihr Chef? Dave war ein beeindruckender Typ. Mit Charme und Charisma machte der Mittdreißiger Karriere in einem aufstrebenden Technologieunternehmen im Mittleren Westen der USA. Seine Ideen waren brillant, sein Auftreten aggressiv und dynamisch. Bis zum Schluss hielten ihn seine Vorgesetzten für die ideale Führungskraft. Lustiger Zeitvertreib: Manager-Memory Von seinen unkontrollierten Wutausbrüchen, den Lügen im Lebenslauf und den gefälschten Spesenquittungen bekam das obere Management nichts mit. Kollegen beschrieben Dave dagegen als unverschämt, rücksichtslos und unberechenbar. Er verbreitete gezielt Gerüchte, um unliebsame Konkurrenten auszuschalten. Nach außen aber wirkte er geistreich und wortgewandt. So brachte er es bis an die Spitze – und hinterließ einen innerlich zerrütteten Konzern. Test: Sind Sie gehetzt oder ruhen Sie in sich? Dave ist ein „erfolgreicher Psychopath“, sagt der amerikanische Industriepsychologe Paul Babiak. Der Fall des kaltschnäuzigen Aufsteigers Dave findet sich in dem soeben auf Deutsch erschienenen Buch „Gewissenlos. Die Psychopathen unter uns“ des kanadischen Kriminalpsychologen Robert Hare. Gemeinsam mit Hare, Emeritus an der University of British Columbia, hat Babiak das Verhalten extremer Persönlichkeiten untersucht: Menschen, die nach außen hin brillant wirken, in ihrem Umfeld aber zerstörerisch agieren. Darunter fallen Schwerverbrecher – aber erstaunlich häufig auch Unternehmenslenker. Etwa ein Prozent der Manager sind klinische Psychopathen, schätzt Babiak, weitaus mehr haben psychopathische Wesenszüge. Test: Sind Sie ein extrovertierter oder introvertierter Typ?

Da gibt es Manager, die sich mit teuflischem Ehrgeiz und auf Kosten anderer nach oben boxen, rücksichtslos Ideen klauen, ihre Untergebenen mit cholerischen Anfällen tyrannisieren und mit sadistischem Eifer ganze Abteilungen in Angst und Schrecken versetzen. Von ihrem Seelenzustand her seien solche skrupellosen Karrieristen „genauso egozentrisch, gefühllos und manipulativ wie gewöhnliche kriminelle Psychopathen“, schreibt Hare und nennt damit drei wesentliche Charakterzüge dieser Extremcharaktere. Als erfolgreich gelten sie, weil es ihnen häufig gelinge, ihr abnormes Verhalten hinter einer glaubhaften Fassade zu verstecken. Test: Wie steht es um Ihre Motivation? Nicht alle Manager mit psychopathischen Zügen werden kriminell. Im günstigsten Fall treten Psychopathen im Wirtschaftsleben als großartige, wenn auch emotional kalte Visionäre in Erscheinung, die ihre Mitarbeiter zu Höchstleistungen antreiben. „Im schlimmsten Fall“, sagt Joachim Hasebrook, Organisationspsychologe an der International School of New Media der Universität Lübeck, „zerstören sie das soziale Netz, das ein Unternehmen von innen zusammenhält.“ Test: Bringen Sie Arbeit und Freizeit gut in Einklang? Als hochintelligent, einfallsreich und schlagfertig beschreibt Kriminalpsychologe Robert Hare die erfolgreichen Psychopathen in seinem Buch. Sie seien kreativ und belastbar, aber alles andere als einfühlsam. Im Job wie im Privatleben gingen sie berechnend vor. Viele seien sogar stolz darauf, sich erfolgreich durchs Leben zu tricksen und auf Kosten anderer zu bereichern. Psychopathen seien höchst egoistische und impulsive Typen, die auf Kritik ungeduldig und aufbrausend reagierten und zu plötzlichen Gewaltausbrüchen neigten. Ihre eigene Gefühlsarmut treibe sie zu einer ständigen Suche nach Nervenkitzel – einem weiteren Symptom des Psychopathen. Lustiger Zeitvertreib: Handy-Memory

Was im normalen Leben als Persönlichkeitsstörung wahrgenommen wird, gilt in der Business-Welt als hoher Wert. Dies hat die klinische Psychologin Belinda Board in Feldstudien an der britischen University of Surrey nachgewiesen. Tatsächlich kommen Psychopathen im Wirtschaftsleben mit ihren Wesenszügen voran, sie erhalten Gehaltserhöhungen und werden befördert. Knigge - Können Sie sich gut benehmen? Einer, der Millionendeals eintütet, ohne mit der Wimper zu zucken und dabei noch die anderen über den Tisch zieht, wird als ausgebuffter Verhandler beklatscht. Jemand, der mit seinen Kollegen auf der Betriebsfeier gesellig trinkt, obwohl er am Vormittag ihre Kündigungen unterschrieben hat, wird als knallharter Sanierer gelobt. Einer, der vor Fernsehkameras selbst Lügen mit einem Lächeln verkaufen kann, gilt als gerissener Kommunikationsprofi. „Konzerne belohnen dieses Extremverhalten bei Managern“, sagt die Psychologin Board. Zwar ist nicht jeder, der kalt lächelnd trickst, ein Psychopath. Doch ein Psychopath besitzt genau dieses zweifelhafte Talent und macht damit Karriere.

Nur was tun, wenn ausgerechnet der eigene Chef emotional verkümmert ist? Ist sich zu wehren zwecklos? „Wer mit einem Psychopathen in den Ring steigt, wird verlieren“, warnt Jens Hoffmann vom „Team Psychologie & Sicherheit“, das für Unternehmen die Persönlichkeitsstruktur von Managern analysiert. Einen psychopathischen Chef zu ändern, könne nicht gelingen. Wer aber verstanden hat, wie solche Vorgesetzten denken und fühlen, kann lernen, mit ihnen umzugehen. „Der Trick besteht darin, den richtigen Zugang zum Chef zu finden“, sagt Gabriele Cerwinka, Persönlichkeitscoach und Co-Autorin des gerade erschienenen Buchs „Nervensägen. So zähmen Sie schwierige Mitarbeiter, Chefs und Kunden“. Das bedeutet allerdings auch, das eigene Urteil kritisch zu überprüfen: Ist es mein Boss, der psychopathische Züge aufweist, oder vergifte möglicherweise ich das Klima mit meinen Marotten? Wer sich von seinem Vorgesetzten drangsaliert fühlt, verfällt leicht in einen Tunnelblick und übersieht, dass er selbst auch nicht vollkommen ist.

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