Was heißt das für Sie praktisch?
Das, was mir durch den Kopf geht, erst einmal mit anderen zu besprechen. Das sind zunächst die, mit denen ich leben darf, meine Familie. Und dabei habe ich bemerkt, dass das Thema Gelassenheit auch sie beschäftigt. Vorträge und öffentliche Diskussionen im kleinen Rahmen bestätigten dann, was mir vorher noch nicht so klar war: Dass das Thema Gelassenheit viele Menschen geradezu elektrisiert. Dass sie sich nach Gelassenheit sehnen und etwas suchen, wozu es offenkundig wenig Brauchbares gibt. „Was kann ich in dieser Situation anbieten?“, habe ich mich gefragt. Am besten das, so schien es mir, was ich als meinen eigenen Weg erlebt habe, ausgehend von meiner Traurigkeit über den Abschied von den Fünfzigern. Das Buch zeichnet diesen Weg nach. Wenn das für andere Menschen hilfreich ist - und das scheint der Fall zu sein -, dann macht mich das natürlich sehr glücklich.
Was sind die wichtigsten Schritte auf diesem Weg?
Ich will nur zwei herausgreifen, von denen ich glaube, dass sie in keinem anderen Buch über Gelassenheit zu finden sind: Erstens die Rolle von Gewohnheiten, die das Leben erleichtern. Jeder kennt das von sich selbst: Warum ziehe ich samstags nicht den Business-Anzug, sondern die alten, ausrangierten Jeans an? Weil ich sie gewohnt bin und darin entspannen kann, weil sie mich gelassener machen. Zweitens, und für viele auf den ersten Blick vielleicht überraschend, die Bedeutung von Berührungen. Auch das lässt sich leicht nachvollziehen: Wenn ich einen Menschen in den Arm nehme, wenn ich von ihm in den Arm genommen werde, entsteht wie von selbst Gelassenheit. Genauso beim Händchenhalten oder beim Streicheln: Es beruhigt, es macht gelassen…
…und kann von jedermann praktiziert werden?
So ist es. Ich versuche Philosoph der Lebenskunst zu sein. Und das heißt, es nicht zu übertreiben mit der Theorie, sondern auf die Lebenspraxis einzugehen, so wie sie sich den Menschen darstellt. Viele Autoren verbinden Gelassenheit mit komplizierten meditativen Anstrengungen und raten dazu, täglich eine Stunde dafür zu opfern. Das ist nicht praktikabel. Ich schlage meines Wissens zum ersten Mal so einfache, anstrengungslose Übungen wie Gewohnheiten und Berührungen vor. Es ist nicht schwer, Gewohnheiten zu pflegen, also beim Frühstück zur Morgenzeitung zu greifen, oder eine Berührung zu suchen und der kranken Mutter die Hand zu reichen. Oder die Lüste zu genießen, die auch im Alter in reichlicher Menge bleiben, Sex zum Beispiel, falls das noch interessant ist, auch für mein Gegenüber.
Was unterscheidet die Gelassenheit von der Gemütsruhe, vom Gleichmut, vom coolen Über-den-Dingen-Stehen?
Das ist mir klar geworden beim Aussuchen der Umschlagfarbe für das Buch. Da dachten wir zuerst an eine Farbe, die Ruhe ausstrahlen sollte, an ein Hellblau, die Farbe der Ferne. Nur, hier wirkte sie lächerlich. Wir sind dann zu unserer völligen Überraschung intuitiv bei Rot gelandet, das eben nicht cool wirkt, sondern für lebhafte und belebende Gelassenheit steht. Damit will ich nicht ausschließen, dass es andere legitime Vorstellungen von Gelassenheit geben kann. Auch insofern gilt: Ich schreibe keine normativen, sondern optative Bücher. Soll heißen: Bücher, die Optionen auftun, die den Lesern etwas Neues aufschließen, woran sie noch nicht gedacht haben, oder, soweit sie schon daran gedacht haben, entsprechende Formulierungen dazu finden.