Preismanagement Teuer macht sexy

Bis zu 4000 Euro verlangt Apple für sein neues Laptop, doppelt so viel wie die Konkurrenz. Die Nachfrage ist dennoch hoch – nicht trotz, sondern wegen des hohen Preises. Denn der macht viele Produkte erst wirklich attraktiv.

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Apple-Chef Tim Cook Quelle: REUTERS

Tim Cook verdient Milliarden mit Produkten, die niemand braucht: Mehr als 35 Millionen iPhones und knapp zwölf Millionen iPads verkaufte Apple unter der Ägide des Vorstandsvorsitzenden allein in den ersten drei Monaten 2012 – was dem Elektronikkonzern einen Quartalsgewinn von umgerechnet gut neun Milliarden Euro bescherte.

Und es sieht danach aus, als habe der Apple-Chef schon den nächsten Verkaufsschlager im Programm: Mitte Juni stellte Cook auf der Entwicklerkonferenz WWDC in San Francisco die neueste Version der Laptopserie MacBook Pro vor. Highlight des kleinen mobilen Rechners ist das sogenannte Retina-Display, das eine so hohe Auflösung verspricht, wie sie sonst nur iPhones und iPads bieten.

Und diese Innovation lässt sich Apple teuer bezahlen: Der Einstiegspreis für das Modell liegt bei etwa 2300 Euro, mit der besten Ausstattung kostet es knapp 4000 Euro und damit zwei bis drei Mal so viel wie Laptops der Konkurrenz oder bisherige Standard-Notebooks aus dem eigenen Haus. Doch die Kunden störten sich nicht am hohen Preis: Bereits wenige Stunden nach Cooks Präsentation stiegen die Lieferzeiten auf drei Wochen.

Die wichtigsten Neuheiten bei Apple
Der Star der morgendlichen Apple-Präsentation, die um 19 Uhr mitteleuropäischer Zeit in San Francisco stattfand: Das neue Macbook Pro. Das iPad von Apple hat viele Verbraucher von klassischen Notebooks und Desktop-Computern weggelockt. Mit dem neuen Gerät will der Konzern zeigen, dass er auch mit seinen Laptops noch Begeisterung wecken kann. Quelle: dapd
Wichtigstes Feature des neuen Modells: ein Retina-Display mit einer Auflösung von 2800 x 1800 Pixeln. Mit Retina bezeichnet Apple alle Bildschirme seit dem iPhone 4, deren Pixel bei einem alltäglichen Betrachtungsabstand mit bloßem Auge nicht mehr zu erkennen sind. Das neue Macbook Pro bietet vier Mal so viele Pixel wie der Vorgänger. Quelle: dapd
Ein weiteres Vorteil gegenüber den alten Modellen: Das Display ist zwar immer noch „glossy“ - glänzt also durch brillante Farben, weil es nicht mattiert wurde. Es soll dabei aber 75 Prozent weniger Sonnenlicht reflektieren - also weniger störende Reflektionen haben. Auf dem Bildschirm mit 15 Zoll Diagonale (38 cm) bringt mit 2800 x 1800 Pixeln deutlich mehr Pixel unter als als bei einem Full-HD-Fernseher mit seinen 1920 mal 1080 Pixeln. Damit die Auflösung auch ausgenutzt wird, müssen allerdings einige Programme daran angepasst werden. Zu den bereits angepassten Programmen gehören Photoshop, AutoCAD und das Spiel Diablo 3. Quelle: dpa
Das neue Macbook Pro ist etwa ein Viertel dünner als das Vorgängermodell. „Es ist der beste Computer, den wir je gebaut haben“, sagte Chefdesigner Jony Ive in einem eingespielten Video. Ein ausgeklügeltes Element sind etwa asymmetrische Flügel an den internen Ventilatoren, damit sich deren Geräusch auf ein breites Frequenzspektrum verteilt und damit kaum hörbar wird. Soviel Liebe zum Detail hat aber auch ihren Preis: Die günstigste Konfiguration kostet in Deutschland 2279 Euro. Die kompaktere Laptop-Reihe Macbook Air bekommt unter anderem einen neuen Prozessor von Intel, bessere Grafik und schnellere Anschlüsse des Formats USB 3. Quelle: Reuters
In iOS 6 setzt Apple noch stärker als bisher auf Siri und bügelt mehrere oft kritisierte Mankos aus. So kann man mit Hilfe von Siri jetzt per Stimmbefehl auch Apps starten. Auch Facebook hört aufs Wort. Die Integration im Auto wird verbessert mit Modellen unter anderem von BMW, Mercedes und Audi. Sprachen wie Spanisch und verschiedene Chinesisch-Varianten erweitern den Nutzer-Kreis. Und der „persönliche Assistent“ kommt nun auch auf das iPad-Tablet. Quelle: Reuters
Wie erwartet wurden Details zum nächsten Mac-Betriebssystem OS X „Moutain Lion“ vorgestellt. Mit der neuen Software sollen mehr populäre Elemente von iOS den Weg auf die Macs finden, etwa beim Umgang mit Erinnerungen, Notizen, Mitteilungen. Außerdem wird Apples Online-Speicherdienst iCloud stärker eingebunden, die Macs bekommen eine eingebaute Diktier-Funktion. Die neue Funktion „Power Nap“ hält die Macs auch im Standby-Zustand auf dem Laufenden. „Mountain Lion“ („Berglöwe“ oder „Puma“) kommt im kommenden Monat auf den Markt. Apple erneuert die Mac-Software kurz vor dem für Herbst erwarteten Start des Microsoft-Systems Windows 8. Obwohl der Marktanteil des Mac seit Jahren steigt, dominiert Windows weiter klar das PC-Geschäft. Quelle: dapd
Neu mit iOS 6: Ein eigenenr Kartendienst, der Google Maps ablösen soll. Die Apple-Karten sollen mit dreidimensionalen Ansichten von Städten sowie aktuellen Verkehrsmeldungen punkten und über den Sprach-Assistenten Siri zu bedienen sein. Apples Maps hat den Bewertungsdienst Yelp integriert. Außerdem zeigt es auch Staus an. Dazu nutzt es anonymisierte Daten der iPhone-Nutzer. Quelle: dapd

Theorie der feinen Leute

Eine erste Antwort auf die Frage, warum hohe Preise die Nachfrage sogar ankurbeln, fand der US-Ökonom Thorstein Veblen 1899 in seiner „Theorie der feinen Leute“: Bei gewissen Produkten, schrieb Veblen, verkehre sich die Logik „steigende Nachfrage bei sinkenden Preisen“ ins Gegenteil – je höher ihr Preis, desto begehrenswerter seien sie. Den Grund dafür sah Veblen im sogenannten Geltungskonsum: Die Kunden wollten durch den Kauf beweisen, dass sie zu einer gewissen Schicht gehörten. Veblens Beobachtung ist mehr als 100 Jahre alt – und aktueller denn je.

Denn ob Laptops für knapp 3000 oder Smartphones für mehrere Hundert Euro; ob Züge oder Atomkraftwerke für ein paar Milliarden Euro; eine Jeans für 69 Euro und rahmengenähte Lederschuhe für 600 Euro; ob eine Tafel Schokolade für 59 Cent oder eine Handvoll Schrauben für einen Euro: Für Unternehmen ist es eine enorme Herausforderung, den optimalen Preis für ihre Produkte zu finden.

Fast jede Branche befindet sich heute in einem globalen Wettbewerb, osteuropäische und asiatische Konkurrenten produzieren häufig wesentlich günstiger. Umso wichtiger ist es, einen Preis zu finden, der hoch genug ist, um alle Kosten zu decken und Gewinn zu machen. Und der gleichzeitig niedrig genug ist, um die Kunden nicht dem günstigeren Konkurrenten in die Arme zu treiben.

Wirksamste Stellschraube

Miele-Waschmaschine Quelle: dpa

Deshalb gehen viele Konzerne bei der Preisfindung inzwischen systematischer vor. Beschränkten sie sich früher auf eine vergleichsweise einfache Rechenaufgabe – Kosten plus Marge gleich Preis –, geht es heute um komplexes Preismanagement, bei dem Einkauf, Marketing und Vertrieb idealerweise Hand in Hand arbeiten.

Kein Wunder: Zeigen doch Untersuchungen seit vielen Jahren, dass nicht Kostensenkungsprogramme oder höhere Absatzmengen den Gewinn eines Unternehmens am nachhaltigsten beeinflussen, sondern Preiserhöhungen. So stellten Wissenschaftler bereits in den Neunzigerjahren fest, dass höhere Preise einen drei- bis vierfach höheren Beitrag zur Profitabilität eines Unternehmens leisten als ein ähnlicher Zuwachs der Absatzmenge. Zusammen mit dem US-Forscher Robert Dolan wies Preis-Experte Hermann Simon 1997 nach, dass bei einem Chemieunternehmen Preissteigerungen um 20 Prozent den Gewinn verfünffachten und bei einem Büroartikelhersteller ein Preisplus um fünf Prozent den Gewinn verdoppelte.

Ein Mechanismus, der bis heute gilt, wie der Pricing Stress Test von Simon-Kucher & Partners zeigt: Nach Berechnungen der auf Preisstrategien spezialisierten Beratung könnten die im Dax, MDax und TecDax gelisteten Unternehmen rund 30 Milliarden Euro mehr erwirtschaften und bis zu 529 Prozent mehr Profit einstreichen – wenn sie ihre Preise um nur zwei Prozent anzögen.

„Professionelles Preismanagement führt zu höheren Gewinnen“, bestätigt auch Martin Fassnacht, Marketingprofessor an der WHU-Otto-Beisheim School of Management, „und sichert damit die Überlebens- und Innovationsfähigkeit.“

Die wertvollsten Marken der Welt
Platz 20: Deutsche TelekomDer Markenwert des ehemaligen deutschen Staatskonzerns hat im zurückliegenden Jahr um 26,8 Milliarden Dollar eingebüßt und ist um einen Platz nach hinten gefallen. Trotzdem handelt es sich noch immer um die wertvollste deutsche Marke. Das Marktforschungsunternehmen Millward Brown veröffentlichte erstmals 2006 das Markenranking BrandZ. Die Marktforscher weisen den weltweit wertvollsten 100 Marken monetäre Werte zu. Dabei stützen sie sich auf öffentlich zugängliche Finanzdaten sowie auf Befragungen von Konsumenten. Ihre Datenbank umfasst mehr als zwei Millionen Verbraucher. Quelle: ap
Platz 19: FacebookDas soziale Netzwerk Facebook ist der große Gewinner des Rankings, der Markenwert ist Millward Brown zufolge um 33,2 Milliarden Dollar gestiegen. Das sind 74 Prozent Anstieg - und der Sprung von Platz 35 auf Platz 19. 2011 lag der Wertanstieg sogar bei 246 Prozent. Quelle: Reuters
Platz 14: AmazonDer Online-Allesanbieter Amazon von Jeffrey Bezos legt kräftig zu: rund 34 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf 45,7 Milliarden Dollar. Damit ging es für die Marke wieder genau die vier Plätze nach oben, die es sie vergangenen Jahr abgeben musste. Quelle: ap
Platz 18: Wall MartMit seinen Supercentern bestimmt die Kette das Bild der USA und steht zugleich für eine extrem hohe Kapitalrendite - Trotz eines Zugewinn von fünf Prozent bei der Markenbewertung ist der Handelsriese um einen Platz abgerutscht. Der Markenwert wird auf 36,2 Milliarden Dollar geschätzt. Quelle: Reuters
Platz 15: UPSWeltweit düsen die braunen Lieferwagen durch Metropolen und Kleinstädte: United Parcel Service, kurz UPS, ist eines der größten Logistikunternehmen weltweit. Im Markenwettbewerb geht es für das Unternehmen aus Atlanta einen Platz nach vorne. Quelle: ap
Platz 9: VisaDas amerikanische Kreditkartenunternehmen gehört innerhalb der besten zwanzig Marken zu den größten Aufsteigern. Es geht um satte sechs Plätze aufwärts – und damit in die Top 10. Der Markenwert legt nach Meinung der Forscher um kräftige 46 Prozent auf 56,1 Milliarden Dollar zu. Die Visa International Service Association wurde 1970 gegründet, der Jahresumsatz lag 2012 bei 10,4 Milliarden, der Gewinn bei 2,1 Milliarden Dollar. Quelle: dapd
Platz 13: Wells Fargo1815 wurde das Unternehmen von Henry Wells und William Fargo gegründet - zunächst bot man Transportdienstleistungen an, später konzentrierte man sich auf das Finanzgeschäft. Wells Fargos Markenwert wächst auf 47,7 Milliarden Dollar und die Bank legt damit einen Platz zu. Quelle: dapd

Konsequent im Premiumsegment

Soll heißen: Egal, ob es sich um Luxusprodukte, Investitionsgüter oder Dinge des täglichen Gebrauchs handelt – hohe Preise sind langfristig häufig besser. Und sie werden vom Kunden nicht per se abgelehnt, sondern durchaus akzeptiert – falls Beratung, Service und Qualität stimmen.

So sind Miele-Waschmaschinen bis zu 30 Prozent teurer als Modelle der Konkurrenz – bei gleicher Ausstattung. Dasselbe gilt für Autos von Audi oder Mercedes. Aber auch Mittelständler sind mit der Premiumstrategie erfolgreich. Der schwäbische Motorsägenhersteller Stihl setzte 2011 gut 2,6 Milliarden Euro um – Rekord. Schraubenhersteller Würth will in diesem Jahr erstmals mehr als zehn Milliarden Euro Umsatz machen, der Audiotechnikspezialist Sennheiser verdiente 2011 mehr als 45 Millionen Euro – knapp doppelt so viel wie im Vorjahr.

Allen gemein ist: Sie verweigern sich der Billigheimer-Attitüde und setzen stattdessen konsequent auf ihre Position im Premiumsegment. Dort sind die Margen auf die Produkte meist größer – und der Gewinn am Ende des Jahres höher.

Dabei ist es für Unternehmen insbesondere in wirtschaftlich schwierigen Zeiten verlockend, genau andersrum zu handeln: Um mehr Produkte zu verkaufen und den Marktanteil wenigstens zu halten, senken sie ihre Preise. Simon-Kucher befragte im Frühsommer 2011 etwa 4000 Manager aus Europa, Asien und den USA. Knapp die Hälfte gab zu, sich mit Konkurrenten regelmäßig Preisschlachten zu liefern. 83 Prozent sagten, dass sie damit lediglich auf die Wettbewerber reagierten. Soll heißen: Schuld sind die anderen.

Fatale Preisschlachten

Ritter-Sport-Chef Alfred Ritter Quelle: dpa

Doch genau diese Preisschlachten sind häufig fatal. „Langfristig ist es oft eine Milchmädchenrechnung, möglichst viel zu möglichst geringen Preisen verkaufen zu wollen“, sagt Andreas von der Gathen, Partner bei Simon-Kucher.

Denn es ist kaum realistisch, Kosten immer weiter zu senken oder die Absatzmenge kontinuierlich zu steigern. Mehr noch: Diese Strategie kostet auch bares Geld – weil sie den Kunden außer Acht lässt. Deshalb raten Experten von Preissenkungen sogar ab und empfehlen das Gegenteil. „Auch wenn viele Unternehmen insbesondere in wirtschaftlich schwierigen Zeiten davor zurückschrecken, ist eine Preiserhöhung häufig die bessere Strategie“, sagt von der Gathen. Natürlich müsse man dabei vorsichtig vorgehen: „Wer die Preise erhöht, ohne dem Kunden einen Mehrwert zu bieten, wird abgestraft.“

Keine Frage, mit einer Preiserhöhung kann man durchaus viel falsch machen. Als der britische Bekleidungskonzern Marks & Spencer im Jahr 2008 ankündigte, für BHs mit Übergrößen eine Zusatzgebühr von zwei Pfund zu verlangen, reagierten die Kunden entrüstet. Das Ende vom Lied: Die Entscheidung wurde zurückgenommen – und die Kette gewährte den Kunden 25 Prozent Rabatt. Auf alle Modelle.

Im vergangenen September verkündete die Bank of America, für Kreditkarten eine Gebühr in Höhe von fünf US-Dollar zu erheben. Der öffentliche Aufschrei war groß, und so nahm die Bank davon wieder Abstand. Zu spät: Im vergangenen Quartal 2011 kündigten 20 Prozent mehr Kunden als im Vorjahreszeitraum.

Und im Juli 2011 verkündete der US-Videoverleih Netflix Preiserhöhungen von bis zu 60 Prozent. Das Ergebnis: Auf der Facebook-Seite stauten sich mehr als 80 000 negative Kommentare, 800 000 Kunden kündigten, die Aktie stürzte ab.

Doch all diese Negativbeispiele haben eines gemeinsam: Das Management beging bei der Preiserhöhung strategische Fehler. Netflix zum Beispiel kommunizierte den Schritt falsch, viele Kunden erfuhren erst aus den Medien über die Preiserhöhung. Und: In den Augen der Konsumenten gab es keine nachvollziehbaren Gründe für die Preiserhöhung. Weder wurde der Service besser noch waren die Kosten für Netflix gestiegen.

Discounter expandieren ins Ausland
KiK Quelle: dpa
KiK Quelle: dapd
TEDi Quelle: PR
TEDi
NKD Quelle: Screenshot
Takko Quelle: dpa
Takko Quelle: dpa/dpaweb

Lackmustest Preiserhöhung

Wesentlich geschickter stellte sich die deutsche Schokokoladenmarke Ritter Sport an: Als im Jahr 2008 die Finanzkrise losging und viele Konsumgüterhersteller aus Angst vor Einbußen die Preise senkten, marschierte Ritter bewusst in die andere Richtung – und erhöhte die Preise. Natürlich gab es Kritiker, die das für ein völlig falsches Signal hielten. Doch Firmenchef Alfred Ritter ließ sich davon nicht beirren: „Preiserhöhungen sind die einzige Chance, Qualität zu erhalten“, sagt Ritter heute. Und der Erfolg gab ihm recht: Der Umsatz legte zu, am Jahresende schrieb Ritter keinen Verlust mehr.

Glück? Zufall? Mitnichten. Denn das Schokoladenunternehmen verhielt sich aus Sicht von Experten vorbildlich. Rechtzeitig zur Preiserhöhung startete Ritter eine Marketingkampagne; verwies darauf, nur natürliche Aromen zu verwenden. Und ließ auf großflächigen Anzeigen in deutschen Bahnhöfen Schokofans in bunten Polohemden von ihrer Lieblingssorte erzählen.

Keine Frage, die Entscheidung für eine Preiserhöhung gerät schnell zum Lackmustest für die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens. „Das wichtigste Kriterium bei der Bewertung eines Unternehmens ist seine Preismacht“, sagte US-Investor Warren Buffett im vergangenen Jahr. „Wer die Preise erhöhen kann, ohne Boden an Wettbewerber zu verlieren, hat ein gutes Unternehmen. Wer ein Gebet zum Himmel schicken muss, bevor er die Preise erhöht, hat ein schlechtes Unternehmen.“

Schleichendes Gift

Elektronikmarkt Saturn Quelle: dpa/dpaweb

Zwar haben sich in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland Dutzende von Billiganbietern breitgemacht. Egal, ob die Lebensmittelhändler Aldi oder Lidl, die Kleiderkette H&M oder das Möbelhaus Ikea – viele Discounter sind mit weitem Abstand Marktführer. Auch appellierten viele Unternehmen mit teuren Werbekampagnen an den deutschen Schnäppchen-Instinkt. Ob „Geiz ist geil“, „Wir hassen teuer“ oder „Sternhagel günstig“ – vor allem der Elektronikmarkt Saturn fachte die deutsche Billigheimer-Attitüde an.

Diese mediale Aufmerksamkeit ging auf Kosten des Profits. Auch die Baumarktkette Praktiker offerierte seinen Kunden per jahrelangem medialem Dauerfeuer „20 Prozent auf alles“. Der Spruch wurde zwar Kult, erwies sich aber als finanzielles Eigentor: Im vergangenen Jahr machte Praktiker einen Verlust von mehr als 500 Millionen Euro, viele Filialen sollen künftig in die Schwestermarke Max Bahr geändert werden, die Unternehmensleitung bastelt derzeit an einem Sanierungskonzept.

„Rabatte wirken häufig wie schleichendes Gift“, sagt Marketingexperte Martin Fassnacht, „denn sie können die Loyalität der Kunden zerstören.“ Außerdem konditionieren sie diese darauf, dass die Produkte wenig kosten.

Schleckers teure "Discounter-Preise"
Eine junge Frau trägt einen Lippenbalsamstift auf Quelle: dapd
Eine Kundin lässt sich von einer Friseurin die Haare färben Quelle: dapd
Mit einer 9,4 Meter langen Zahnbürste demonstriert die Dr.Best-Forschung die flexible Borstenverankerung ihrer neuesten Zahnbürstenentwicklung. Quelle: obs
Zwei blonde Personen auf dem Catwalk Quelle: REUTERS
Modells zeigen neue Frisurentrends Quelle: AP
Eine Filiale der Drogeriekette Schlecker Quelle: dpa

Drei Marketingkomponenten

Früher mussten Produkte vor allem einen funktionalen Nutzen haben, heute betonen Marketingforscher vor allem drei entscheidende Komponenten: eine emotionale, eine symbolische und eine gesellschaftliche. Die Produkte verfügen über gewisse Eigenschaften, die die Menschen mit Geld zu bezahlen glauben. Die einen wollen sich Geltung verschaffen, die anderen ihr Selbstbewusstsein steigern oder durch den Kauf nachhaltiger Produkte etwas für die Umwelt tun.

Wer eine dieser Komponenten erfüllt, kann die Preise durchaus anheben oder höhere Preise verlangen als die Konkurrenz – sogar in wirtschaftlich schwierigen Zeiten.

Längst nicht immer ist für diese Erkenntnis eine teure Werbekampagne notwendig. Manchmal reicht es schon aus, die internen Abläufe gründlich zu überprüfen.

So geschehen kürzlich bei einem deutschen Elektronikhersteller, der mit seiner Marge in Norwegen unzufrieden war. Die Führungsetage ging davon aus, dass die Zahlungsbereitschaft der dortigen Kunden traditionell niedrig sei. Zu Unrecht.

Preisberater um Oliver Roll, Professor an der Hochschule Osnabrück, erstellten daraufhin eine ausführliche Analyse. Sie werteten norwegische Preisindizes aus, die Einkommensverteilung und Vorlieben der Konsumenten. Und erkannten schnell, dass die Zahlungsbereitschaft in Norwegen keinesfalls niedrig sein konnte. Also entschied das Management, die Preise in Norwegen zu erhöhen – und steigerte dadurch den Gewinn.

Manchmal sind es solche kleinen Stellschrauben, die ein sinnvolles Preismanagement auszeichnen – zumal die Vorteile offensichtlich sind. Zum einen können Preise schnell geändert werden, zumindest im Vergleich zur Entwicklung neuer Produkte. Zum anderen merken die Unternehmen an der Reaktion der Kunden rasch und unmittelbar, wie die Preise im Markt ankommen.

Erhöhte Zahlungsbereitschaft

Airline Ryanair Quelle: dpa

Am Ende der Analyse muss längst nicht immer eine Preiserhöhung stehen. Eine andere Möglichkeit ist es, die Preise zu differenzieren. Der Prototyp dieses Modells ist die irische Billigfluglinie Ryanair. Die Fluglinie gilt als spottbillig, die Flüge allein sind es oft auch. Doch jede Extraleistung lässt sich das Unternehmen auch extra bezahlen, egal, ob den Transport der Koffer oder Getränke und Snacks an Bord. Mit Erfolg: Im vergangenen Geschäftsjahr erzielte Ryanair einen Rekordgewinn von 503 Millionen Euro.

Ein Preis erzählt immer auch eine Geschichte. Was wenig kostet, kann auch nicht viel wert sein. Und umgekehrt. Deshalb ist der Preis immer auch ein Qualitätsindikator – nicht nur bei Produkten, sondern auch bei Dienstleistungen. Eine Erfahrung, die sich auch Mark Stefan (Name geändert) zunutze macht.

3000 Euro Tagessatz

Der Betriebswirt gründete mit einigen Kollegen vor ein paar Jahren eine mittelständische Unternehmensberatung. Inzwischen hat er knapp 60 Mitarbeiter und ist stärker damit beschäftigt, neue Kunden zu akquirieren und aktuelle zu halten, anstatt selbst Kunden zu beraten. Doch gelegentlich verlangt ein Vorstand oder Geschäftsführer, dass er ein Beratungsprojekt persönlich vor Ort betreut. „Ich sage den Kunden dann immer, dass mein Tagessatz bei 3000 Euro liegt.“ Nicht etwa aus Hybris, sondern aus reinem Kalkül: „Dann geht bei diesen Leuten der Rechner im Kopf an“, sagt Stefan. „Bei dem Preis gehen sie beinahe automatisch davon aus, dass ich gute Arbeit abliefere.“

Manche nennen das schlicht Abzocke, andere nennen es Marktwirtschaft. Oliver Roll nennt das „Value Pricing“. Soll heißen: Der Preis richtet sich nicht etwa nach den Kosten des Unternehmens – sondern nach den Vorlieben der Kunden und der daraus resultierenden Zahlungsbereitschaft.

Abzulesen ist das etwa an den Preisen für Weiß- und Metalliclackierung, die Automobilhersteller verlangen. Beide Varianten kostet die Hersteller nur unwesentlich mehr als andere Lacke. Weil Kunden aber bereits sind, dafür tief in die Tasche zu greifen, stehen beide Lackvarianten mit hohen Aufschlägen in der Preisliste.

Ähnlich funktioniert es auch bei Apples neuem Laptop. Preisexperten wundert die Resonanz kaum. Wer den Kunden ein Produkt schmackhaft mache, zum Beispiel Apple mit neuen Technologien, erhöhe meist auch ihre Zahlungsbereitschaft.

Positives Selbstbild

Die ist bei Apple-Konsumenten ohnehin höher als beim Rest der Kundschaft. In der vergangenen Woche verblüffte der Online-Reiseanbieter Orbitz mit einer interessanten Auswertung. Pro Tag verzeichnet die Seite eigenen Angaben zufolge mehr als eine Million Suchen nach Unterkünften.

Eine Analyse der Besucher ergab: Benutzer von Apple-Computern geben im Schnitt umgerechnet etwa 25 Euro mehr pro Nacht für ein Zimmer als PC-Nutzer. Außerdem buchten sie 40 Prozent öfter in Fünf-Sterne-Hotels. Die Erkenntnisse wird der Anbieter ausnutzen: In Zukunft bietet Orbitz Mac-Nutzern teurere Hotels an als PC-Besitzern.

Ökonomen wie Ayelet Gneezy überrascht diese Konsequenz nicht. Die Wissenschaftlerin von der Universität von Kalifornien in San Diego beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Psychologie von Preisen. Für eine im April veröffentlichte Studie befragte sie drei verschiedene Zielgruppen: Touristen im Vergnügungspark, Passagiere einer Bootstour und Gäste eines Restaurants. Jedes Mal teilte Gneezy die Probanden in zwei Gruppen ein: Die einen konnten selbst entscheiden, wie viel sie zahlen wollten, die anderen wurden mit einem festgelegten Preis konfrontiert. Kurios: Wer die Summe selbst festlegte, bezahlte mehr Geld. Freiwillig.

Offenbar geben Kunden selbst dann Geld für Produkte oder Dienstleistungen aus, wenn sie diese auch umsonst haben könnten. Gneezys Erklärung: Dadurch halten Menschen ein positives Selbstbild aufrecht – und das sei den meisten nun mal wichtiger, als unbedingt zu sparen. „Zufriedene Kunden zahlen mehr als eigentlich nötig“, resümiert Gneezy, „weil sie das Unternehmen für ein gelungenes Produkt belohnen.“

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