Weshalb er nicht nur besonders erfolgreich, sondern auch besonders verletzbar und ängstlich ist?
Das ist der Punkt. Der außengeleitete Mensch muss ständig auf den Anderen schauen, sich vergleichen. Daraus erwächst eine permanente Angst des Ungenügens. Keine spezifische, leicht adressierbare Angst, Sondern eine allgemeine, diffuse Angst im Hinblick auf andere. Nehmen wir das Thema Work-Life-Balance: Wir sehen eine Generation, die nicht mehr Karriere machen will um jeden Preis - aber was will sie stattdessen? Ein Leben der Selbstverwirklichung: Lebensglück, Freundschaft, Geselligkeit. Dahinter steckt die Idee: Wir sitzen mit anderen am Küchentisch und genießen unser gelingendes Leben. Das Problem ist: Irgendwer kann das Genießen immer besser. Irgendeine Freundin kriegt noch lässiger Karriere und Familie unter einen Hut. Und irgendein moderner Papa verbringt noch mehr Zeit mit seinen Kindern.
Was ist das für eine Angst, die sie da beschreiben?
Diese Angst ist eine Stimmung. Im Unterschied zum Affekt, der plötzlich aufblitzt, bildet sie den atmosphärischen Rahmen für die Art und Weise, in der wir die Welt wahrnehmen. Vielleicht kann man am besten mit einem Bild beschreiben: Die Stimmungsangst hat etwas Rieselndes, sie dringt unmerklich in die Poren der Gesellschaft ein.
Zur Person
Bude, 60, ist Professor für Makrosoziologie an der Universität Kassel. Seine Bücher über das, „was zwischen den Menschen geschieht“, sind Vivisektionen an der deutschen Nation. In seinem neuen Werk stellt er uns das Zeugnis einer „Gesellschaft der Angst“ aus. (Hamburger Edition 2014, 16 Euro).
Vor allem in die Poren der deutschen Mittelklasse, in das Milieu der sozialen Aufsteiger?
Ja. Wobei sich die Stimmungslage der Aufsteiger verändert hat. Der klassische Angsttyp unter den Aufsteigern wirkte immer ein bisschen schwitzig und selbstgerecht. Man kennt diese Self-Made-Männer aus kleinen Verhältnissen - Leute wie Carsten Maschmeyer oder Gerhard Schröder - bei denen sich die Angst zuweilen abends meldet, beim Rotwein - die Angst vor der Rache derjenigen, denen sie entkommen sind.
Und diese Aufsteiger sind nicht mehr typisch?
Typisch ist heute die dritte Generation, die Scheidungsanwältin, deren Großvater Industriearbeiter bei Hoesch war und deren Vater Ingenieur mit Fachhochschulabschluss ist. Da geht es nicht mehr um die Angst, abserviert zu werden, da rieselt die Angst feiner. Da verwandelt sich die Angst in ein Gefühl der Unzulänglichkeit, etwa weil man die nötige Mischung aus Disziplin und Zuwendung bei der Erziehung der Kinder nicht hin bekommt. Das ist die neue Angst des Aufsteigers: Die Dinge nicht richtig hinzukriegen, um die verdiente Belohnung gebracht zu werden – aus eigenem Ungeschick.
Und diese Angst kann sich zu dem Gefühl steigern, das Leben selbst zu verfehlen?
Entscheidend ist das Unbehagen am eigenen Typ. Dass man das Gefühl hat, nicht zu unterliegen im Wettbewerb, sondern zu versagen. Dass man plötzlich merkt: Mir fehlt die nötige Leichtigkeit im Umgang mit anderen. Der außengeleitete Charakter hat das Grundgefühl, dass er in seinem Leben an sich selber schuldig wird. Aber er weiß nicht, in Bezug auf was. Er hat das Gefühl, dass ihm etwas vorenthalten wird, vor allem aber: das Gefühl, dass er selbst es ist, der sich etwas vorenthält. Er entwickelt ein Ressentiment gegenüber seiner eigenen Person.
Sie meinen, der Vergleich mit Anderen führt geradewegs zur Selbstbezichtigung?
Das ist das Schicksal des außengeleiteten Menschen. Dass die Resonanz seiner sozialen Umwelt für ihn entscheidend ist. Das Dumme daran: Der Andere ist, nach Jean-Paul Sartre, immer auch die Hölle. Er ist derjenige, der mir mein Lebensrecht gibt und von dem ich gleichzeitig weiß: Er ist höllisch unzuverlässig. Ich brauche nur ein falsches Wort zu sagen, eine Kleinigkeit zu verpatzen - und schon sagen die Leute: Was ist das denn für einer?
Der typische Deutsche, der Vertreter der Mittelschicht, leidet demnach nicht an Statusängsten, sondern vor allem an sich selbst?
Die Diagnosen über die Abstiegsängste und das Schrumpfen der Mittelschicht halte ich für überzogen. Was es gibt, ist ein Gefühl der Kränkung, ein untergründiger Groll angesichts schwindender Aufstiegsmöglichkeiten. Leistung führt nicht mehr automatisch zum Erfolg. Es ist enger geworden an der Spitze unserer Gesellschaft. Die Leute haben das Gefühl, immer ein Extra bieten zu müssen, eine kleine Zusatzkompetenz, um im Rennen um die besten Plätze mithalten zu können. Das kann zermürbend sein.