Sie haben nun ein Buch veröffentlicht mit dem Titel „Den Rücken selbst heilen“. Sie sagen, 80 Prozent aller Operationen an der Wirbelsäule sind überflüssig. Es ist weder das erste Buch zu dem Thema, noch sind die Übungen, die sie empfehlen neu. Warum braucht es noch so ein Buch?
In der Tat, es gibt Dutzende Bücher mit Übungen, die gibt es in vielen Zeitschriften und die sind ja auch gut. Aber das allein wird dem Problem nicht gerecht. Die Menschen müssen verstehen, dass sich der Ausdruck eines Rückenschmerzes nicht reduzieren lässt auf ein Röntgenbild. Die Menschen verstehen das oft nicht, die zucken nur noch mit den Achseln, nachdem sie beim x-ten Arzt waren und die zehnte Therapie nicht angeschlagen hat. Mein Buch richtet sich an Menschen, die verzweifelt sind, die von Arzt zu Arzt gelaufen sind und unheimliche Kosten verursachen und nichts davon hilft. Es ist wichtig, das Stigma zu durchbrechen. Es gibt jene Patienten, da finden sie im Kernspintomographen eine Ursache und jene, da kann der Arzt nichts entdecken – aber für unser System sind beide gleich krank. Und von der Selbsteinschätzung sind auch beide gleich krank, denn Rückenschmerzen sind eine Selbsteinschätzung. Mir geht es darum, eine Basis zu geben für psychosomatische Schmerztherapie. Angst ist ein Riesentherapie vom Schmerzgefühl.
Wer ist für Sie eigentlich rückenkrank? Jemand mit einer feststellbaren Abnutzung oder Bruch?
Für mich ist jeder ein Rückenkranker, der von sich sagt, er habe Schmerzen im Rückenbereich und er leide. Ein Rückenproblem ist für mich nicht, wenn es bei einem Menschen irgendwo mal im Rücken ziept. Erst wenn der Mensch sagt, ich leide, dann beginnt für mich die Rückenkrankheit. Dann muss ich erforschen, bis zu welchem Grad es ein organisches Problem ist und zu welchem Grad nicht. Aber Muskelverspannungen, die auch zu Rückenschmerzen führen, können Ursachen haben wie Überlastung und Stress. Da kommen sie mit einer Operation nicht weit.
Sie geben Tipps zur Ernährung und ausführliche Hinweise zu verschiedenen Meditationstechniken, die üblicherweise nicht Teil der Schulmedizin sind und von Krankenkassen zum Beispiel auch nicht bezahlt werden.
Das ist das Fatale – aber in der Rückenmedizin gilt, dass alles recht hat, was hilft. Wenn eine ältere Dame zu mir sagt, dass es ihr gut tut, wenn sie Quarkwickel bekommt, dann hat sie recht. Dann muss ich ihr nicht sagen, dass das nicht sein kann. Wenn ein Patient sagt, ihm helfe etwas, dann ist das richtig. Deswegen habe ich mich aller Dinge bemächtigt, von denen ich aus 30 Jahren Erfahrung weiß, dass viele Menschen berichten, dass es ihnen damit besser geht.
Nun steigt die Zahl der Rückeneingriffe dennoch kontinuierlich und sie gehört zu den häufigsten Operationen in Deutschland. Wer möchte die denn? Der Patient oder der Arzt?
Ein Skandal. Ja. Unser System hat es geschafft, die Wahrheit zu verschleiern. Langsam ändert sich die Wahrnehmung und woher kommt die Änderung? Nicht aus dem Gesundheitssystem selbst, sondern durch die Medien. Die Menschen werden aufgeklärt und kritischer. Es hat erst sehr lange gedauert, bis man den Menschen vermitteln konnte, dass Rückenprobleme mit Operationen behoben werden. Ganz früher wurden Rückenschmerzen konservativ behandelt. Das hat etwa 50 Jahre gedauert, bis die Menschen eine Operation als normale Methode ansahen. Ich brauche heute manchmal fünf bis zehn Minuten, um zu erklären, dass ein Bandscheibenvorfall als Diagnose nicht gleichbedeutend ist mit einer Operation. So weit hat es das System geschafft. Der Bandscheibenvorfall ist die klassischste aller orthopädischen Behandlungen und die Domäne der Konservativen. Daraus ist eine der häufigsten Operationen Deutschlands geworden.
Aber wer ist denn nun Schuld? Patient oder Arzt?
Die Patienten wollen es deswegen, weil es Ihnen so beigebracht wurde. Er vertraut dem Arzt. Und er will eine schnelle Lösung. In einem technisch geprägten Land ist die vermeintlich mechanische Lösung des Problems etwas, das den Menschen einleuchtet. Von diesen vielen Operationen, die wir haben, ist aber jede zweite erfolglos! Nicht, weil sie schlecht gemacht ist. Nein – nicht erfolgreich, weil der Patient sagt: „Es geht mir nicht besser.“ Das ist nicht erfolgreich. Erfolgreich ist nur, wenn der Patient sagt: „Es geht mir besser.“ Da hilft es nicht, wenn das Bild aus dem Kernspintomographen zeigt, dass die vermeintliche Ursache gelöst würde. Die Ärzte haben selber natürlich ein Interesse an Operationen. Die operierenden aber auch zum Teil diejenigen, die nicht selber operieren.