Schwarmforschung Was wir von Tieren lernen können

Seite 4/6

Ein Polizist steht am Quelle: APN

Um 12.19 Uhr änderte die Menge ihr Verhalten erneut und ging in ein unregelmäßiges Fließmuster über. Helbing verglich diese Phase mit Turbulenzen in einer Flüssigkeit oder mit Erdstößen. Pilger wurden gegeneinander gedrückt und Gruppen gegen ihren Willen zufällig in die eine oder andere Richtung geschoben.

In einer solchen Situation „können Schockwellen durch die Masse weitergegeben werden, die so stark sind, dass sie Menschen hochheben und drei Meter oder weiter befördern“, erklärt ein Experte. „Die Leute werden buchstäblich aus den Schuhen gehoben, ihnen werden die Kleider vom Leib gerissen.

Innerhalb weniger Minuten waren mehrere Pilger gestürzt. Da sie nicht imstande waren, wieder auf die Füße zu kommen, trampelten die Pilger über sie hinweg, während die gewaltige Masse der Pilger von unten nachdrängte. Mehr Pilger stürzten und verwandelten sich in Hindernisse für die nachfolgenden Pilger. Die Katastrophe geriet außer Kontrolle.

"Als hätte man ein Auto auf der Brust stehen"

Es war ein Teufelskreis: Je mehr Menschen nachdrängten, desto weniger Menschen konnte die Rampe weiterbefördern und desto größer wurde der Druck, bis die Dichte einen kritischen Punkt erreichte und Menschen starben.

Selbst wer nicht stürzte, befand sich in der tödlichen Gefahr, von der Masse erdrückt zu werden, die unter ähnlichen Umständen stark genug war, Eisenstangen zu verbiegen und Mauern einzureißen. „Der Druck der Massen ist ungefähr so, als hätte man ein Auto auf der Brust stehen“, so Helbing. „Mit dem Unterschied, dass er dauernd die Richtung ändert.“

Helbing war überrascht, wie lange die Warnsignale vor der Katastrophe erkennbar gewesen waren. Die Stop-and-go-Wellen auf der Rampe waren 20 Minuten lang zu beobachten gewesen und die turbulenten Muster noch einmal zehn.

Wenn die Sicherheitskräfte eine Videoüberwachung verwendet hätten, die die Bewegung der Masse in Echtzeit analysierte, dann hätten sie eine halbe Stunde Zeit gehabt, um Maßnahmen zu ergreifen, meint Helbing. Sie hätten beispielsweise den Zustrom der Pilger auf die Brücke verlangsamen können, sie hätten sie umleiten oder Blocks bilden können, um die Schockwellen zu unterbrechen. Sie hatten ausreichend Zeit.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%