Selbstüberschätzung Warum Chefs immer wieder an ihrem Ego scheitern

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„Ich hatte die Dimensionen völlig falsch eingeschätzt“, sagt Kind heute. Bis dahin hatte er mit dem Fußballgeschäft nie zu tun gehabt, jetzt verhandelte er mit Spielerberatern und feilschte um Verträge. Es dauerte eine Weile, bis Kind sich an seine neuen Aufgaben gewöhnt hatte. Vor allem, weil er sich Zeit nahm. Weil er nicht redete, sondern geduldig zuhörte. Weil er nicht belehrte, sondern bereit war, zu lernen. Forscher wissen inzwischen, dass Selbstüberschätzung vor allem durch eine charakterliche Deformation begünstigt wird: Narzissmus. Wer davon betroffen ist, sucht ständig nach Anerkennung und Bewunderung. Er ist so sehr von sich überzeugt, dass das Wort „Fehler“ in seinem Wortschatz gar nicht erst auftaucht. Wird der Narzisst doch mal mit einer Panne konfrontiert, schiebt er sie gekonnt auf Untergebene. Lorbeeren erntet er gerne selbst, Fehler aber machen immer die anderen. Das Fatale daran: Solche Menschen landen häufig in der Chefetage.

Keine Hemmungen

„Gib einem Menschen Macht, und du erkennst seinen wahren Charakter“, wusste schon US-Präsident Abraham Lincoln im 19. Jahrhundert. Manchmal wäre es vielleicht von Vorteil, das gar nicht erst auszuprobieren.

„Macht hat immer Machtmissbrauch im Gepäck“, sagt die Kriminologin Britta Bannenberg von der Universität Gießen. Die Juristin ist eine der renommiertesten Korruptionsexpertinnen in Deutschland. Besonders häufig beobachtet sie Selbstüberschätzung und Machtmissbrauch in den Bereichen, in denen die Kontrolle fehlt: „Dann fallen alle Hemmungen.“

Genau mit dieser Einstellung entstanden schwarze Kassen wie bei Siemens, riskante Spekulationsgeschäfte wie bei der früheren Sachsen LB oder zweifelhafte Betriebsausflüge wie bei Volkswagen. Die Beteiligten kannten die Regeln genau – aber sie glaubten, sich nicht daran halten zu müssen. Gelegenheit machte Diebe.

Oder noch tragischer: Das Ego der Verantwortlichen ist so groß, dass ihnen das Gespür dafür verloren gegangen ist, was richtig ist und was nicht.

Zu viel Hybris

Genau das wurde Harald Ehlert vor einigen Monaten zum Verhängnis. Als Dienstwagen gönnte sich „Maserati--Harry“ als Geschäftsführer der Berliner Treberhilfe, einer Hilfsorganisation für obdachlose Jugendliche, einen italienischen Sportwagen, logierte in einer Seevilla und bezog ein Jahresgehalt von zuletzt 435 000 Euro. Im März trat Ehlert von seinem Posten zurück. Noch immer versucht er zu beweisen, dass sein Verhalten rechtens war.

Nassim Taleb warnt bereits seit Jahren vor zu viel Hybris. Der US-Professor ist Autor des Bestsellers „Der Schwarze Schwan“, in dem er sich mit unerwarteten Ereignissen beschäftigt. „Wir müssen uns immer bewusst sein, dass das größte Risiko in uns selbst liegt“, mahnt Taleb, „wir überschätzen unsere Fähigkeiten und unterschätzen, was alles schiefgehen kann.“

Auch er verweist gerne auf die griechische Antike. Damals habe Hybris als größter Fehler des Menschen gegolten und sei von den Göttern erbarmungslos bestraft worden. Achilles und Agamemnon mussten sterben, weil sie hochmütig geworden waren, ebenso wie viele Generäle, die ihre Grenzen nicht bemerkt hätten: „Jedes Unternehmen, das seine Achillesferse nicht kennt“, sagt Taleb, „wird letztlich an ihr zugrunde gehen.“

Das gilt auch für Führungskräfte. Für Ex-Hewlett-Packard-Chef Mark Hurd kommt diese Warnung allerdings zu spät. 

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