Soziale Netzwerke Die Macht von Facebook wird überschätzt

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Click-Aktivismus

Aufmerksamkeit ist in unserer Ökonomie eines der knappsten und wertvollsten Güter. Sind diese Netzwerke, die die Macht haben, derart viel Aufmerksamkeit zu binden, deshalb automatisch mächtig? Einen Beitrag zur Beantwortung dieser Frage liefert die Tatsache, dass in der Regel keine CEOs in Facebook oder LinkedIn zu finden sind. Es sind typische Medien für Menschen an der Peripherie, für Ich-AGs, die sich zu Markte tragen, Jugendliche, die mit ihren Freunden digital „abhängen“.

Und sollte man tatsächlich auf eine Social-Media-Seite von Frau Merkel oder sonst einer Politikerin oder einem Unternehmenslenker stoßen, dann kann man sich getrost sicher sein: Hinter nahezu allen diesen Seiten – Ausnahmen bestätigen gewiss die Regel – steckt ein Stab an Kommunikationsprofis und Ghostwritern, der bemüht versucht, eine Portion Authentizität in die Social-Media-Auftritte seiner Chefs zu zaubern. Der Macht-Irrtum der sozialen Netzwerke, die Macht- und Einflussansprüche erheben, etwa wenn Facebook damit Werbung macht, dass es sich mit 500 Millionen Mitgliedern um das drittgrößte Land der Welt handelt, unterliegen Irrtümern hinsichtlich der Funktionslogik mächtiger Netzwerke.

"Netzwerkrendite"

Während in mächtigen Netzwerken gilt, dass jene, die in Beziehungen investieren, auch die Erträge in Form von „Gelegenheiten“, „Zugängen“ et cetera ernten, sind in den sozialen Netzwerken jene, die investieren, nicht dieselben, die von den Erträgen profitieren. Fraglos wird es den aktiven Mitgliedern gelingen, innerhalb bestimmter sozialer Sphären Reputation aufzubauen und Anerkennung zu bekommen, die auch in kleine Jobs münden können. Viele Ich-AGs (Ein-Personen-Unternehmen), aber auch kleinere Firmen und vor allem Berater versuchen über das Web 2.0 Reputationspunkte zu sammeln.

Reputation, die sich dann irgendwann in echtes Geld ummünzen lassen sollte. Und eine derartige Ökonomie ist tatsächlich innerhalb des und mit dem Web 2.0 entstanden. Die Erträge aus den Effekten dieser Ökonomie stehen jedoch in einem fast absurden Verhältnis zu den Erträgen jener, die mit den Daten über die „User“ und Mitglieder, über ihre Eigenschaften und ihr Kommunikationsverhalten ein Multimilliarden-Dollar-Business aufziehen. In der Web-2.0-Welt fällt die Netzwerkrendite an die Netzwerkunternehmer. Sie aggregieren die Daten ihrer Millionen Nutzer. Jene, die die Daten bereitstellen und die offenkundig ihr Kommunikationsverhalten beobachten lassen, haben keinen Anteil an der Netzwerkrendite.

Abhängigkeit statt Macht

Facebook & Co. sollen nicht helfen, die Anwender reich zu machen. Es ist umgekehrt: Die „User“ sind der Input, sie sind das Tool, das Facebook und all den anderen Datensammlern und Datenverwertern hilft, selbst eine Netzwerkrendite zu erwirtschaften. Es gilt der Grundsatz: Wenn dir ein Produkt gratis angeboten wird, dann bist du als Kunde in der Regel selbst das Produkt. Mitglieder von sozialen Netzwerken werden so nicht zu Treibern, sondern zu Getriebenen der etablierten Macht. Die wahrhaft Mächtigen halten die Herde der Schafe in den Gattern der sozialen Netzwerke, auf der Jagd nach ihren Identitäten, nach ihren Kommunikationsinhalten und ihren Verhaltensmustern. Und sie treiben sie in die individuelle Selbstaufgabe, durch totale Transparenz und energetische Verausgabung. Das Ergebnis ist Abhängigkeit statt Macht.

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