Soziale Netzwerke Die Macht von Facebook wird überschätzt

Seite 4/5

Buchcover

Neben der mangelnden Komplementarität haben soziale Netzwerke eine zweite Schwachstelle. Handlungsfähigkeit von Macht braucht Verhandlungsfähigkeit. Soziale Netzwerke sind aber nicht verhandlungsfähig. Sie haben keinerlei Repräsentanten. Jeder spricht für sich und damit tendenziell niemand für alle.

Hinter der Macht-Anmutung der sozialen Netzwerke steht aber auch ein, wie wir meinen, massiver demokratiepolitischer Rückschritt. Nämlich die Auffassung, dass es so etwas wie einen „allgemeinen Willen“ gibt, wie ihn Rousseau mit der „volonté générale“ formuliert hat. Seine These: Wenn die Bürger keinerlei Verbindung in Form von Gruppen oder Verbänden untereinander hätten, würde, wenn das Volk wohlunterrichtet entscheidet, aus der großen Zahl der kleinen Unterschiede immer die volonté générale hervorgehen – und die Entscheidung wäre immer gut.

 Soziale Netzwerke suggerieren, dass sich dieser „allgemeine Wille“ machtvoll ausdrückt und auch Macht entwickelt, wenn möglichst viele für sich sprechen. Man brauchte also nicht verhandeln, abtauschen und „dealen“, sondern nur „voten“ und dann die Ergebnisse der Abstimmungen zu „Rankings“ zusammenfassen.

Doch weder gibt es den „allgemeinen Willen“, der sich als ideologisches Konstrukt erwiesen hat, noch kann sich Macht formieren, wenn jeder auf sich selbst gestellt bleibt. Die sozialen Netzwerke sind nicht dazu in der Lage, Macht zu verdichten, weil dies Repräsentation und Strukturen erfordert. Der „Neo-Rousseauismus“ der sozialen Netzwerke ist mit der Machtkultur unserer repräsentativen Demokratie unvereinbar, weil er zwar viele geheime „Abstimmungen“ kennt, aber keinen Abgleich und Ausgleich von Interessen im Zuge von Verhandlungen.

Das Repräsentationsdefizit der sozialen Netzwerke ist aber nicht der einzige Grund für ihr Machtdefizit. Es fehlt das entscheidende Stück – die Brücke von der digitalen Welt in die Realität: die Anbindung an die eigentlichen Machtstrukturen unserer Gesellschaft. Es gibt keine Schnittstelle, an der sich eine allfällige Macht der sozialen Netzwerke in reale politische Macht transformiert. Die bisherigen Erfahrungen zum Thema der elektronischen Demokratie zeigen, dass elektronische Dialoge eine Bereicherung im demokratischen Deliberationsprozess sind. Wenn man so will, dann realisiert sich in der elektronischen Netzwerk-Kommunikation die alte aufklärerische Forderung nach Publizität. Es kann, darf und soll über alles geredet und diskutiert werden.

Keine Verschiebung

Aber von einer Verschiebung unserer Macht-Architektur in den digitalen Raum kann nicht die Rede sein. Denn unser demokratisches Gefüge ist und bleibt repräsentativ-demokratisch verfasst. Elektronische oder reale Basisdemokratie hat in diesem System keine Zukunft. Denn niemand in diesem System, der über Macht verfügt, hat Interesse, diese Macht zu reduzieren oder zu verlieren. Sehr klar zeigen das Untersuchungen zum sogenannten Mittelsmann-Paradoxon. Kein Abgeordneter denkt daran, sich und seine Macht abzuschaffen. Aber nur er selbst könnte das im repräsentativ-demokratischen System möglich machen.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%