Sprecher des Homosexuellen-Netzwerks Arco "Homosexualität zu verstecken, ist anstrengend"

Mit 16 Jahren begann Christian Weis seine Ausbildung zum Bankkaufmann in der Pirmasenser Filiale der Commerzbank. Dort traf er bereits am ersten Tag auf seinen Ausbildungsleiter Hartmut Fischer. Fischers offener Umgang mit seiner Homosexualität prägte Weis. Heute, 15 Jahre später, ist er Sprecher des LGBT-(LesbianGayBisexualTransgender) Netzwerkes Arco der Commerzbank.

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Sprecher des LGBT-Netzwerkes

WirtschaftsWoche: Warum gehört die sexuelle Orientierung an den Arbeitsplatz?

Christian Weis: Es gibt zwar immer auch Leute die sagen, Sexualität gehört ins Schlafzimmer, aber das stimmt so nicht ganz. Dass ich schwul bin, betrifft auch meine Arbeit und meine Freizeit. Ich möchte auch einen Tag Sonderurlaub bekommen, wenn ich heirate. Ich möchte auch in den Schulferien Urlaub nehmen. Ich habe zwar keine Kinder, aber mein Freund arbeitet als Lehrer.

Wie haben Sie sich geoutet?

Sich outen ist keine einmalige Sache, sondern passiert immer wieder und tagtäglich. Sage ich Partner oder Partnerin? Erzähle ich von meinem Mann oder täusche ich eine Ehefrau vor? Ich kann ja nicht immer schweigen, wenn die Kollegen mich etwas Privates fragen – damit würde ich mich sozial isolieren. Ich sage auch nicht: Ich bin schwul. Ich hab das immer verpackt, zum Beispiel in dem ich sage, dass ich am Wochenende mit meinem Freund zum Christopher Street Day fahre. Das mache ich seit 11 Jahren so und noch nie habe ich eine negative Reaktion darauf bekommen.

Wie viele Commerzbank-Mitarbeiter haben sich öffentlich geoutet?

Für die Commerzbank liegen uns keine konkreten Zahlen vor. Wir gehen aber davon aus, dass sich der größte Teil der homosexuellen Mitarbeiter geoutet hat. Unter den ARCO-Mitgliedern haben wir eine Umfrage gemacht, da waren es 80 Prozent.

LGBT(LesbianGayBisexualTransgender)-Netzwerke

Und die Nichtgeouteten?

Lügen, vertuschen und verstecken ist anstrengend. Einige führen ein Doppelleben. Ich erinnere mich an einen schwulen Mitarbeiter, der zuhause Frau und Kinder sitzen hatte. Der ist jeden Morgen mit Bauchschmerzen aufgewacht, weil er Angst hatte sich im Büro zu verplappern. Das wirkt sich natürlich auch negativ auf Gesundheit und Arbeitsleistung aus.

"Ich glaube gar nicht, dass es ein Tabu-Thema ist"

Experten begrüßen Hitzlspergers Coming Out

Warum ist Homosexualität in der Wirtschaft im Gegensatz zur Politik gerade in Managerkreisen immer noch ein Tabu-Thema?

Ich glaube gar nicht, dass es ein Tabu-Thema ist. Wir sind ja mit unserem Netzwerk ganz öffentlich sichtbar, zum Beispiel auf dem Christopher Street Day. Ich denke, die meisten schwulen Vorstände sind vor Ihren Vorstandskollegen sehr offen. Zum Beispiel hat sich vor ein paar Jahren ein ehemaliger Dax-Vorstand geoutet. Da bin ich mal zum Spaß auf seinen Firmen-Lebenslauf gegangen. Das stand seit drei Jahren, dass er in einer eingetragenen Lebensgemeinschaft lebt.

Aber es wäre doch ein Zeichen, wenn sich ein weiterer Dax-Vorstand öffentlich outen würde.

Hitzlsperger hat sich geoutet, weil er die Diskussion über Homosexualität im Fußball vorantreiben will. Vorstände müssen sich sehr genau überlegen, ob sie mit ihrem Privatleben in der Öffentlichkeit stehen wollen oder mit ihren Inhalten. Ich glaube viele entscheiden sich für letzeres. Außerdem gehören die heutigen Vorstände meist noch einer anderen Generation an. Die mussten sich teilweise richtig verstecken - so etwas prägt. Das wird sich mit der nächsten Generation ändern, die werden offener damit umgehen.

Informiert sich der potentielle Commerzbank-Nachwuchs bei Ihnen? Wie wichtig ist Toleranz für Bewerber?

Das ist sehr wichtig. Arco ist mit seinen 480 Mitgliedern das größte seiner Art in Deutschland, wir sind über soziale Netzwerke und private Kontakte weit verzweigt. Da kommen täglich Anfragen von Leuten, die überlegen bei der Commerzbank anzufangen. Ein anderes Beispiel ist die Karrieremesse Sticks and Stones. Viele Menschen kommen dorthin, um sich über die Homofreundlichkeit von Unternehmen zu informieren. Das sind überraschenderweise meistens gar keine Schwulen oder Lesben, sondern Heteros. Zum Beispiel die alleinerziehende Mutter, die sich dadurch auch mehr Offenheit und Toleranz für die eigene Situation erhofft.

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