„Israel ist zu einem Vorort des Silicon Valley geworden“, sagt der deutsche Techserienunternehmer und erste Google-Finanzier Andy Bechtolsheim. Top-Start-ups wie Waze, Primesense oder Onavo wurden gleich reihenweise von US-Techfirmen aufgekauft. Die israelischen Gründer stecken die beim Verkauf erlösten Millionen dann oft gleich in die nächste Generation von Unternehmen. Es ist ein fruchtbarer Kreislauf: „Investitionen entscheiden nun mal über den Erfolg von Start-ups“, sagt Bechtolsheim.
Das hat auch die israelische Regierung früh erkannt, sie half beim Aufbau der Start-up-Szene in den Neunzigern mit dem Yozma-Programm: Um ausländische Investoren anzulocken, steuerte der Staat bei Investments von Wagniskapitalfonds 40 Prozent der investierten Summe bei – ein Modell auch für andere Länder.
Wer am Strand von Tel Aviv oder in einer der vielen Bars mit Israelis ins Gespräch kommt, hat gute Chancen, dass die stolz ihr Handy zücken: „Hier meine App, ich habe gerade gegründet.“ Der Gründergeist ist Teil des kollektiven Selbstverständnisses in einem jungen Land, das sich insgesamt als eine Art Start-up sieht. Und wer mit der Furcht vor Raketenangriffen aufwächst, hat wohl auch weniger Angst, mit Firmengründungen zu scheitern.
Gründertypen: So ticken junge Unternehmer rund um den Globus
Die prinzipientreuen Planer gehen äußerst methodisch an ihr Werk und freuen sich über den sorgfältig geplanten Erfolg. Aufgrund ihres ehrgeizigen Charakters nehmen sie nichts als bare Münze und stellen eine Menge Fragen.
Diese Ergebnisse gehen auf den "Walk With Me Report" von Sage zurück, der weltweit die Charakterzüge, Verhaltensweisen und Einstellungen der Y-Generation untersuchte.
Die Technikgetriebenen lieben ihre Arbeit und können es nicht ertragen, herumzusitzen und Däumchen zu drehen. Sie vertrauen auf die Power und Effizienz innovativer Technologien, um den Wettbewerbern immer einen Schritt voraus zu sein. Sie glauben an die Fähigkeit der Technologie, die Bedürfnisse der existierenden und zukünftigen Kunden akkurat zu erfüllen.
Die intuitiven Entdecker sind ungezwungen und unbekümmert, lieben das Unbekannte und erforschen unentdecktes Terrain. Sie vertrauen ihrem Bauchgefühl und lassen nicht locker. Ein modernes Image ist für sie extrem wichtig. Sie wollen etwas schaffen, an das sich alle erinnern.
Die Realisten sind einfallsreich und vertrauen auf Technologie, die die Erfolge erzeugt. Wenn sie sich entscheiden müssen, setzen sie mal auf ihr Bauchgefühl, mal auf Methodik.
Die Abenteuerlustigen schnell gelangweilt, suchen sie immer nach der nächsten Herausforderung. Sie kümmern sich nicht um Äußerlichkeiten. Sie arbeiten am besten für sich und glauben, dass der soziale Effekt überbewertet wird.
Chuzpe, die israelisch-charmante Dreistigkeit, hilft im Geschäftsleben. „Israelische Gründer sagen lang gedienten Intel-Managern geradewegs ins Gesicht, dass sie alles falsch machten“, sagt Roy Ramon, der Intels Partnerprogramm im Land leitet. Israelis sind offen, direkt, diskussionsfreudig und auch ein wenig stur. Sie halten an eigenen Ideen fest, auch wenn der Chef oder die ausländische Mutterfirma andere Anweisungen geben. „Es ist nicht einfach, Teams in Israel zu managen“, sagt Tzahi Weisfeld, der Microsofts weltweites Accelerator-Programm leitet, „doch wenn man es hinbekommt, sind die Ergebnisse phänomenal.“
Wie viele Gründer in Kalifornien kommen auch israelische Firmenchefs schon mal in Shorts und Flip-Flops in wichtige Meetings mit Investoren oder großen Konzernen. Das finden die Vorzeigeunternehmen aus dem Silicon Valley prima: „Ich war in fast jeder Ecke der Welt“, sagt Google-Manager Don Dodge, „doch in Israel fühle ich mich wie zu Hause.“ Auch deswegen haben IT-Giganten wie Apple, Microsoft oder Facebook ihre ersten und teilweise auch ihre einzigen Entwicklungscenter außerhalb der USA im „Silicon Wadi“ rund um Tel Aviv eröffnet.
Woher Startups ihr Kapital erhalten
82,5 %
Quelle: Deutscher Startup Monitor/Bundesverband Deutsche Startups, 2014
32,7 %
29,1 %
28,2 %
21,4 %
10,9 %
10,2 %
4,1 %
Inzwischen gibt es 327 Entwicklungszentren ausländischer Konzerne, vor drei Jahren waren es erst 250. Auch deutsche Manager kommen immer häufiger zur digitalen Frischzellenkur. „Ich liebe die Dynamik, mit der Israelis Innovation vorantreiben“, sagt etwa Telekom-Chef Timotheus Höttges, der jährlich in das kleine Land reist. Die Deutsche Telekom ist dort schon lange aktiv, betreibt ein Innovationslabor an der Ben-Gurion-Universität und in Tel Aviv einen Ableger seines Start-up-Accelerators Hubraum. Auch der neu strukturierte Investmentarm der Telekom legt einen besonderen Fokus auf das Land. „Die Hälfte unserer Investitionen dieses Jahr war in Israel“, sagt Guy Horowitz, Partner von Deutsche Telekom Capital Partners.
Deutsche Autobauer suchen hier gar ihr Zukunftsheil: Volkswagen hat 300 Millionen Euro in die Taxi-App Gett gesteckt. Zudem haben VW und BMW strategische Partnerschaften mit Mobileye geschlossen. Das Unternehmen bietet derzeit die beste Kameratechnik und Bilderkennungssoftware für autonome Autos. Mobileye kann es sich leisten, die bisherige Kooperation mit Tesla aufzukündigen. Nach Unfällen mit Teslas Autopiloten wollten die Israelis ihren hervorragenden Ruf schützen.
So ist es weltweit um den Gründergeist bestellt
Für den Amway Entrepreneurial Spirit Index (AESI) 2015 haben das Konsumgüterunternehmen Amway und die Technische Universität München 49.775 Menschen aus 44 Ländern dazu befragt, wie erwünscht es in ihrem Heimatland ist, Unternehmen zu gründen, wie leicht es ist, sich selbstständig zu machen und wie es um die Stabilität gegen sozialen Druck bestellt ist. 100 Punkte sind zu erreichen.
Im weltweiten Durchschnitt wird ein Wert von 51 erreicht, in Schulnoten entspräche das einer vier, was die Gründerfreundlichkeit auf unserem Planeten angeht.
Nur in wenigen Ländern ist der Gründergeist noch schwächer ausgeprägt als in Deutschland. Mit einem Indexwert von 31 (von 100 möglichen Punkten) liegt Deutschland nur noch vor Polen, Kroatien und Japan.
In Deutschland ist eine Unternehmensgründung für nur 26 Prozent der Befragten eine erwünschte Karriereoption. Lediglich 29 Prozent halten eine Gründung mit ihren eigenen Fähigkeiten für durchführbar. Immerhin 38 Prozent würden sich von ihrem sozialen Umfeld nicht von der Idee eines eigenen Unternehmens abbringen lassen. Auch die Generation Y in Deutschland steht kaum besser da. Zwar halten 37 Prozent der 14- bis 34-Jährigen eine Gründung für erstrebenswert, allerdings vertraut nur ein Viertel auf seine eigenen Fähigkeiten (26 Prozent).
Türkei
Die Türkei rutscht mit 62 Punkten noch in die Top 10 der AESI 2015 und ist damit eines der freundlichsten Länder für Gründer weltweit.
Brasilien
Knapp hinter der Türkei befindet sich Brasilien mit 69 Punkten. Die persönlichen und sozialen Faktoren, welche die Absichten einer Person beeinflussen, ein Unternehmen zu gründen scheinen hier deutlich über dem weltweiten Durchschnitt zu liegen.
Slowenien
Slowenien ist mit 70 Punkten auf Platz 8 der 44 befragten Länder - ein befriedigendes Ergebnis.
Malaysia
Der Staat in Südostasien belegt mit 73 Punkten Platz 7 des weltweiten Gründergeist-Rankings.
Mexiko
Der Gründergeist Mexikos hat sich mit 74 erreichten Punkten bis auf Platz 6 gekämpft.
Südafrika
74 Punkte erhielt Südafrika als Indexwert, der aus dem Durchschnitt der drei gleich gewichteten Dimensionen "Erwünschtheit", "Durchführbarkeit" und "Stabilität gegen sozialen Druck" gebildet wird.
Vietnam
Mit mehr als drei Viertel (77 Punkte) der erreichbaren Punkte landet Vietnam auf Rang 4 von 44.
Thailand
Ein nahezu ähnlicher Gründergeist besteht in Thailand. Der Staat in Südostasien bekam bei der Umfrage durchschnittlich 79 Punkte.
China
Kurz hinter Indien auf Platz 2 befindet sich China mit ebenfalls 79 Punkten.
Bei Gleichheit des Wertes entscheidet die ungerundete Zahl über den Rang.
Indien
Mit 79 Punkten ist Indien der Spitzenreiter des AESI 2015 und hat somit den weltweit besten Gründergeist.
Die Reputation des Landes ist so gut, dass dies absurderweise zum Problem geworden ist: Denn das Start-up-Wunder stößt allmählich an seine Grenzen. Ran Gishri, Manager des Start-ups Taboola, zückt sein Smartphone und zeigt ein Foto von einem gerade geführten Bewerbungsgespräch. Auf dem Bild ist eine Tasse Cappuccino, im weißen Milchschaum zeichnet sich ein bräunliches Gesicht ab. Es ist der Bewerber, dessen Konterfei die Firma mit einer eigens angeschafften Spezialmaschine in den Kaffee gezaubert hat, um ihm zu schmeicheln. „Es ist verrückt, was wir inzwischen machen müssen, um Leute zu bekommen“, sagt Gishri. „Facebook, Google und Co. jagen uns die guten Entwickler ab.“ Der Programmierermangel hat Politiker alarmiert. Avi Hasson, Chefberater des Wirtschaftsministeriums, warnt in einem Bericht, dass in den nächsten Jahren 10.000 Entwickler fehlen. Israel will erstmals Arbeitsvisa an ausländische Ingenieure vergeben.
Das Land wäre nicht Israel, wenn nicht einige auch in diesem Problem wieder eine Chance sehen würden. So wie Yossi Vardi, der den Messenger ICQ aufbaute und nach zwei Jahren an AOL verkaufte. Vardi, ganz Pionier, sieht im Fachkräftemangel sogar die Basis für politischen Wandel. „Statt nach außen zu schauen, müssen wir uns auf das ungenutzte Potenzial im eigenen Land besinnen“, rät Vardi. Vor allem bei den Arabern gebe es viele Talente, die bisher ignoriert würden. Die zu integrieren, das wäre tatsächlich das nächste große Wunder.