Statistiken und Fehlschlüsse Warum Pferde am liebsten Mädchen beißen

Menschen lassen sich gerne von Statistik manipulieren. Nicht wegen falscher Zahlen, sondern falscher Schlüsse. Die drei häufigsten Denkfehler.

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Wie man Statistiken richtig liest, damit Sie nicht auf Manipulation reinfallen. Quelle: Marcel Stahn

Es gibt einige wenige Dinge, auf die man sich als Umfrageforscher absolut verlassen kann. Eines davon ist, dass wann immer man bei einem Vortrag oder in einem Artikel Ergebnisse präsentiert, die jemandem nicht gefallen – und das ist eigentlich fast immer der Fall –, dieser sich mit dem Satz zu Wort meldet: „Ich glaube keiner Statistik, die ich nicht selbst gefälscht habe.“ Seltsamerweise wird dieser Satz hartnäckig Winston Churchill zugeschrieben, der einen solchen Unsinn nie gesagt hätte.

Es gibt keinen Grund für Sozialwissenschaftler, angesichts solcher Reaktionen in selbstgerechtes Klagen zu verfallen. Denn dieses Verhalten ist die Folge eines Versäumnisses der Experten, die in den letzten Jahrzehnten viel zu wenig dafür getan haben, den Menschen ihre Methoden nahezubringen.

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Zwar füllt die Methodenliteratur zur Umfrageforschung Bibliotheken, doch sie ist praktisch ausschließlich für ein Fachpublikum geschrieben. Journalisten, Politiker, Werbefachleute oder interessierte Bürger, die mit statistischen Daten umgehen möchten, ohne dafür gleich ein sozialwissenschaftliches Studium absolvieren zu müssen, finden praktisch nichts, was ihnen hilft, diese Informationsquelle zu erschließen.

Durchschaubare Manipulationen

Dagegen gibt es immer wieder populäre Texte, die vor den Fußangeln warnen, die in statistischen Analysen und damit im Prinzip auch in Umfragen lauern können. Triumphierend werden den Lesern die Tricks vorgeführt, mit denen allerlei Manipulatoren Statistiken zur Irreführung der Öffentlichkeit missbrauchen.

Statt jedoch den Lesern ein Werkzeug an die Hand zu geben, mit dem sie die meist mit etwas Übung leicht durchschaubaren Manipulationen erkennen und somit die Mehrzahl korrekter statistischer Informationen für sich nutzbar machen können, wird ihnen der Eindruck vermittelt, die Manipulation sei allgegenwärtig.

Thomas Petersen


Das Publikum nimmt diese Botschaft gerne zur Kenntnis, denn sie bietet eine schöne Rechtfertigung für die bequeme Haltung, sich mit lästigen statistischen Informationen gar nicht erst auseinanderzusetzen.

Doch natürlich sind die allermeisten Statistiken nicht gefälscht, und wer glaubt, sie ignorieren zu können, dem entgehen wichtige Informationen. Allerdings muss man die „Sprache der Zahlen“ verstehen. Die meisten Fälle von Irreführung durch Statistik sind nicht auf falsche Zahlen zurückzuführen, sondern darauf, dass Menschen falsche Schlüsse aus richtigen Zahlen ziehen, weil sie sie nicht richtig zu lesen verstehen. Mit Statistiken umgehen lernen ist wie lesen lernen. Man muss sich das Symbolsystem, in dem die Informationen aufgezeichnet sind, aneignen und den Umgang damit üben.

Wer ein Harry-Potter-Buch liest, schaut dabei auf ein höchst abstraktes Gebilde: Buchstaben und Buchstabenkombinationen, die, einem komplizierten Regelwerk folgend, zu äußerst komplexen Zeichenketten: Wörtern, Sätzen, Absätzen und Kapiteln, zusammengefügt wurden. Weil man aber in vielen Schuljahren mühsam gelernt hat, solche komplexen Zeichenketten zu entschlüsseln, merkt man bei der Lektüre gar nicht mehr, welche enorme kognitive Leistung man vollbringt. Der Entschlüsselungsprozess erfolgt ganz automatisch, und in der Vorstellung des Lesers erzeugen die abstrakten Zeichen ganz lebendige Vorstellungswelten.

Die Falle der "Scheinkorrelation"

Nicht anders ist es auch beim Umgang mit Statistiken. Der Unterschied ist nur, dass ungeübte Nutzer oft irrtümlicherweise glauben, sie könnten sie lesen, weil sie Zeichen verwenden, die man aus anderen Zusammenhängen kennt, nämlich Zahlen und Buchstaben. Jemand, der das Alphabet nicht beherrscht, macht sich dagegen über seine Fähigkeit, einen Abenteuerroman zu lesen, meist keine Illusionen. Statistiken erzählen Geschichten, erzeugen Vorstellungswelten, die nicht weniger lebendig – und darüber hinaus wesentlich realer – sind als die, die durch die Lektüre von Harry-Potter-Büchern im Hinterkopf des Lesers entstehen. Doch sie sind nur zugänglich, wenn man Statistiken lesen lernt, wie man einst das ABC lernen musste.

Unfreiwillige Komik

Fehlinterpretationen von Statistiken können gelegentlich eine charmante unfreiwillige Komik entfalten, wobei ihnen in den allermeisten Fällen einer von nur drei Denkfehlern zugrunde liegt. Dazu drei Beispiele, für jeden Denkfehler eines:

Im „Hamburger Abendblatt“ erschien einmal der folgende Artikel: „Hunde beißen am liebsten Männer, Katzen bevorzugen ältere Frauen und Pferde Mädchen. Das fand Eilif Dahl von der norwegischen Ärztevereinigung heraus. Er untersuchte anhand von 1051 Fällen in einer Osloer Klinik das Beißverhalten der Tiere.“

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Hier ist der Redakteur offensichtlich auf eine sogenannte „Scheinkorrelation“ hereingefallen: Wenn zwei Dinge gleichzeitig geschehen oder die sonst wie statistisch miteinander zusammenhängen, neigt man dazu, sie als Ursache und Wirkung zu interpretieren. Doch das kann ein Irrtum sein.

Oft gibt es einen Faktor im Hintergrund, der den Zusammenhang leicht erklärt, wie in diesem Fall die Vorlieben der Tierhalter: Wen sonst soll ein Pferd denn beißen als pubertierende Mädchen? Andere Menschen dürften höchst selten in die Reichweite seiner Zähne kommen.

Man kann das Phänomen auch mit einem alten Witz erklären: Ein Mann geht eine Straße entlang. Alle drei Schritte macht er einen Luftsprung und klatscht in die Hände. Ein Passant sieht dies und fragt: „Warum tun Sie das?“ Die Antwort: „Um die Krokodile fernzuhalten.“ „Aber es gibt hier doch gar keine Krokodile.“ „Na bitte, da haben Sie’s!“

Das zweite Beispiel: Der Bayerische Rundfunk meldete: „Wer meint, eine Zigarette beruhige die Nerven, wird überrascht sein. Denn gerade Raucher sind offenbar besonders anfällig für Panikattacken. Das haben Wissenschaftler in Detroit und an der Columbia-University in New York belegt. Sie befragten über 5000 Personen nach Anzeichen für Panikattacken (...).

Das Ergebnis: Für Menschen, die täglich zur Zigarette greifen, ist das Risiko, in Panik zu geraten, zwei bis dreimal höher als für Nichtraucher. Grund dafür könnten noch unbekannte Wirkungen des Nikotins auf Prozesse im Gehirn sein.“

Es spricht einiges dafür, dass hier Ursache und Wirkung vertauscht wurden. Man muss nur Ursache und Wirkung in Gedanken einmal probehalber umdrehen, dann verwandelt sich die vermeintliche Sensation in die banale Meldung, dass Hektiker häufiger zur Zigarette greifen als innerlich ruhige Menschen. Es mag es ja sein, dass Zigarettenrauch nervös macht, doch zumindest braucht man keine Verweise auf rätselhafte, bisher unbekannte Wirkungen des Nikotins, um den Zusammenhang zwischen Rauchen und Nervosität leicht zu erklären. Der Pionier der Umfrageforschung Elmo Roper hätte gesagt: „Sie meinen also, weil die Grillen zirpen, geht die Sonne unter?“

Wie Fehlinterpretationen Debatten beeinflussen

Das liest sich alles harmlos, doch wer einmal die Logik durchschaut hat, wird staunen, wie viele gesellschaftliche Debatten auch zu wichtigen Themen auf solchen Fehlinterpretationen gründen. Dabei ist der dritte Fehler meist der Schwerwiegendste: Die Verwendung eines ungeeigneten Maßstabs.

In der Zeitung „Die Welt“ fand sich im vergangenen Jahr ein Artikel mit der dramatischen Überschrift „’Grafik des Untergangs’ prophezeit Börsen-Crash.“ Die dazugehörige Grafik zeigte die Entwicklungen des Dow-Jones-Indexes in den Jahren 1928 bis 1930 und 2012 bis 2014 im Vergleich. Die Übereinstimmung war faszinierend: Die Linie, die die Entwicklung der Jahre 2012 bis 2014 zeigte, lag praktisch deckungsgleich auf der Linie, die die Daten von 1928 bis 1929 bis kurz vor dem Börsencrash zeigte. Demnach müsste, so suggerierte die Grafik, in den kommenden Tagen ein gewaltiger Börsenzusammenbruch folgen.

Praktisch niemand merkte, dass die Linien nur deswegen deckungsgleich waren, weil für sie verschiedene Maßstäbe gewählt worden waren. Tatsächlich hatte sich der Index ab 1928 in knapp zwei Jahren verdoppelt, bevor er mit dem Börsenzusammenbruch 1929 wieder auf das alte Niveau zurückfiel. In der Zeit ab 2012 hatte er sich dagegen nur um etwa ein Fünftel erhöht. Investoren, die Grafiken zu lesen verstanden, konnten sich also die Panik sparen.

Umfrage und Statistiken bieten einzigartige Informationen, die durch nichts anderes zu ersetzen sind. Ihre vielleicht wichtigste Funktion besteht darin, den Betrachter aus seinen eigenen Vorurteilen herauszuzwingen. Vor allem für Entscheider ist das von großer Bedeutung, denn nicht selten zeigen die Daten, dass das Gegenteil dessen zutrifft, was einem vorher so einleuchtend erschien.

Wer glaubt, seine Vorstellungen von der Gesellschaft, seinen Kunden oder seiner Zielgruppe nicht überprüfen zu müssen, weil einem scheinbar ja schon der „gesunde Menschenverstand“ sagt, wie diese sich verhalten, der wird falsche Entscheidungen treffen. Aber auch für Journalisten oder interessierte Zeitungsleser lohnt es sich, sich wenigstens einige wenige Grundkenntnisse auf dem Gebiet der statistischen Logik anzueignen.
Das alte Vorurteil stimmt nämlich: Man kann mit Statistik tatsächlich (fast) alles beweisen - aber nur dem naiven Leser.

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