Es gibt einige wenige Dinge, auf die man sich als Umfrageforscher absolut verlassen kann. Eines davon ist, dass wann immer man bei einem Vortrag oder in einem Artikel Ergebnisse präsentiert, die jemandem nicht gefallen – und das ist eigentlich fast immer der Fall –, dieser sich mit dem Satz zu Wort meldet: „Ich glaube keiner Statistik, die ich nicht selbst gefälscht habe.“ Seltsamerweise wird dieser Satz hartnäckig Winston Churchill zugeschrieben, der einen solchen Unsinn nie gesagt hätte.
Es gibt keinen Grund für Sozialwissenschaftler, angesichts solcher Reaktionen in selbstgerechtes Klagen zu verfallen. Denn dieses Verhalten ist die Folge eines Versäumnisses der Experten, die in den letzten Jahrzehnten viel zu wenig dafür getan haben, den Menschen ihre Methoden nahezubringen.
Zum Autor
Dr. Thomas Petersen ist Projektleiter am Institut für Demoskopie Allensbach und Lehrbeauftragter an den Universitäten Dresden und Krems (Donau). Zuletzt erschien von ihm “Die Vermessung des Bürgers. Wie Meinungsumfragen funktionieren“ (UVK Verlagsgesellschaft).
Zwar füllt die Methodenliteratur zur Umfrageforschung Bibliotheken, doch sie ist praktisch ausschließlich für ein Fachpublikum geschrieben. Journalisten, Politiker, Werbefachleute oder interessierte Bürger, die mit statistischen Daten umgehen möchten, ohne dafür gleich ein sozialwissenschaftliches Studium absolvieren zu müssen, finden praktisch nichts, was ihnen hilft, diese Informationsquelle zu erschließen.
Durchschaubare Manipulationen
Dagegen gibt es immer wieder populäre Texte, die vor den Fußangeln warnen, die in statistischen Analysen und damit im Prinzip auch in Umfragen lauern können. Triumphierend werden den Lesern die Tricks vorgeführt, mit denen allerlei Manipulatoren Statistiken zur Irreführung der Öffentlichkeit missbrauchen.
Statt jedoch den Lesern ein Werkzeug an die Hand zu geben, mit dem sie die meist mit etwas Übung leicht durchschaubaren Manipulationen erkennen und somit die Mehrzahl korrekter statistischer Informationen für sich nutzbar machen können, wird ihnen der Eindruck vermittelt, die Manipulation sei allgegenwärtig.
Das Publikum nimmt diese Botschaft gerne zur Kenntnis, denn sie bietet eine schöne Rechtfertigung für die bequeme Haltung, sich mit lästigen statistischen Informationen gar nicht erst auseinanderzusetzen.
Doch natürlich sind die allermeisten Statistiken nicht gefälscht, und wer glaubt, sie ignorieren zu können, dem entgehen wichtige Informationen. Allerdings muss man die „Sprache der Zahlen“ verstehen. Die meisten Fälle von Irreführung durch Statistik sind nicht auf falsche Zahlen zurückzuführen, sondern darauf, dass Menschen falsche Schlüsse aus richtigen Zahlen ziehen, weil sie sie nicht richtig zu lesen verstehen. Mit Statistiken umgehen lernen ist wie lesen lernen. Man muss sich das Symbolsystem, in dem die Informationen aufgezeichnet sind, aneignen und den Umgang damit üben.
Wer ein Harry-Potter-Buch liest, schaut dabei auf ein höchst abstraktes Gebilde: Buchstaben und Buchstabenkombinationen, die, einem komplizierten Regelwerk folgend, zu äußerst komplexen Zeichenketten: Wörtern, Sätzen, Absätzen und Kapiteln, zusammengefügt wurden. Weil man aber in vielen Schuljahren mühsam gelernt hat, solche komplexen Zeichenketten zu entschlüsseln, merkt man bei der Lektüre gar nicht mehr, welche enorme kognitive Leistung man vollbringt. Der Entschlüsselungsprozess erfolgt ganz automatisch, und in der Vorstellung des Lesers erzeugen die abstrakten Zeichen ganz lebendige Vorstellungswelten.