Statistiken und Fehlschlüsse Warum Pferde am liebsten Mädchen beißen

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Wie Fehlinterpretationen Debatten beeinflussen

Das liest sich alles harmlos, doch wer einmal die Logik durchschaut hat, wird staunen, wie viele gesellschaftliche Debatten auch zu wichtigen Themen auf solchen Fehlinterpretationen gründen. Dabei ist der dritte Fehler meist der Schwerwiegendste: Die Verwendung eines ungeeigneten Maßstabs.

In der Zeitung „Die Welt“ fand sich im vergangenen Jahr ein Artikel mit der dramatischen Überschrift „’Grafik des Untergangs’ prophezeit Börsen-Crash.“ Die dazugehörige Grafik zeigte die Entwicklungen des Dow-Jones-Indexes in den Jahren 1928 bis 1930 und 2012 bis 2014 im Vergleich. Die Übereinstimmung war faszinierend: Die Linie, die die Entwicklung der Jahre 2012 bis 2014 zeigte, lag praktisch deckungsgleich auf der Linie, die die Daten von 1928 bis 1929 bis kurz vor dem Börsencrash zeigte. Demnach müsste, so suggerierte die Grafik, in den kommenden Tagen ein gewaltiger Börsenzusammenbruch folgen.

Praktisch niemand merkte, dass die Linien nur deswegen deckungsgleich waren, weil für sie verschiedene Maßstäbe gewählt worden waren. Tatsächlich hatte sich der Index ab 1928 in knapp zwei Jahren verdoppelt, bevor er mit dem Börsenzusammenbruch 1929 wieder auf das alte Niveau zurückfiel. In der Zeit ab 2012 hatte er sich dagegen nur um etwa ein Fünftel erhöht. Investoren, die Grafiken zu lesen verstanden, konnten sich also die Panik sparen.

Umfrage und Statistiken bieten einzigartige Informationen, die durch nichts anderes zu ersetzen sind. Ihre vielleicht wichtigste Funktion besteht darin, den Betrachter aus seinen eigenen Vorurteilen herauszuzwingen. Vor allem für Entscheider ist das von großer Bedeutung, denn nicht selten zeigen die Daten, dass das Gegenteil dessen zutrifft, was einem vorher so einleuchtend erschien.

Wer glaubt, seine Vorstellungen von der Gesellschaft, seinen Kunden oder seiner Zielgruppe nicht überprüfen zu müssen, weil einem scheinbar ja schon der „gesunde Menschenverstand“ sagt, wie diese sich verhalten, der wird falsche Entscheidungen treffen. Aber auch für Journalisten oder interessierte Zeitungsleser lohnt es sich, sich wenigstens einige wenige Grundkenntnisse auf dem Gebiet der statistischen Logik anzueignen.
Das alte Vorurteil stimmt nämlich: Man kann mit Statistik tatsächlich (fast) alles beweisen - aber nur dem naiven Leser.

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