WirtschaftsWoche: Was war Ihr größter Stil-Ausrutscher im Geschäftsleben?
Bernhard Roetzel: Ausrutscher in diesem Sinne unterlaufen mir selten. Wenn, dann sind das vielleicht Ausrutscher in den Augen der Anderen. Ich erinnere mich an eine Abendveranstaltung, zu der ich als Einziger im Smoking gekommen bin - obwohl auf der Einladung Abendgarderobe angegeben war.
Wie sind Sie damit umgegangen?
Ich habe das thematisiert und immer die Konversation damit eröffnet. Dadurch haben sich amüsante und lustige Gespräche entwickelt. Es wäre lächerlich gewesen, den Fauxpas zu umspielen, indem man ihn verschweigt oder einfach nach Hause geht. In solchen Fällen macht ohnehin nicht der Gast etwas falsch, sondern der Gastgeber, weil er sich unklar ausgedrückt hat. Abendgarderobe heißt alles und nichts. Eigentlich müsste da etwas stehen, wie „Black Tie optional“. Das heißt, dass man einen Smoking oder einen dunklen Abendanzug anziehen kann. Oder „Come as you are“ - dass man in der Business-Kleidung kommt, die man am Tag schon anhatte.
Wie sollte man mit solchen Unklarheiten umgehen?
Ich rufe meist vorher an, um zu fragen, was genau in der Einladung gemeint ist. Dabei fällt niemandem ein Zacken aus der Krone. Wenn ich das erste Mal in einem japanischen Restaurant bin und nicht weiß, wie ich ein bestimmtes Gericht esse, dann kann ich doch auch einfach nachfragen. Souveränität zeigt sich gerade dann, wenn man nicht versucht, etwas vorzuspielen.
Was ist schlimmer: Overdressed oder underdressed?
Das kommt auf die Situation an: Im Business-Bereich lieber overdressed, privat lieber underdressed. Wenn ich in der Firma mit Anzug und Krawatte ankomme und alle anderen tragen Sakko und Chino, dann kann ich immer noch die Krawatte ablegen und alles ist in Ordnung. Wenn ich aber mit Sakko und Chino komme und alle anderen tragen einen Anzug mit Krawatte, dann kann ich schlecht nach Hause fahren und mich umziehen. Privat unter Freunden ist es kein Drama, mal zu leger gekleidet zu sein.
Es gibt derart viele Dresscodes – eigentlich sollten stilistische Ausrutscher damit von vorne herein ausgeschlossen sein, oder?
Eigentlich ja, aber man sollte diese wenigen Dresscodes auch kennen. Es geht hier um fünf bis zehn Begriffe, die sich jeder entweder merken oder im Internet nachschlagen kann.
Und doch haben viele ein Problem mit Dresscodes.
Viele Deutsche wollen sie gar nicht kennen oder befolgen, weil sie Äußerlichkeiten für unwichtig halten. Das ist der falsch verstandene deutsche Sinn für Individualität, der eher eine arrogante Ignoranz darstellt. Außerdem machen viele Gastgeber nur wage Angaben, wie beispielsweise „Abendgarderobe“. So wollen sie sich nicht festlegen, niemanden ausschließen oder auf den Schlips treten. Deshalb hat man Scheu, den Gästen zu sagen, was sie genau anziehen sollen. Dadurch entstehen jedoch Unsicherheiten und Fehltritte, die ein Gastgeber ausschließen sollte.
"Subtil sexy sein"
Gibt es in der Geschäftswelt ein Einheitsoutfit, mit dem man nichts falsch machen kann?
Immer gut ist der blaue Anzug mit einem hellblauen oder weißen Hemd, einfarbiger, dunkelblauer Krawatte, weißes Leineneinstecktuch und dazu schwarze Strümpfe und schlichte schwarze Oxford-Schuhe. Damit können Sie weltweit im Business auftreten und bei Abendveranstaltungen – wenn nicht gerade Smoking angesagt ist. Und selbst in einem solchen Fall sind Sie auch noch gut angezogen.
Und für Frauen?
Frauen können zu einem schwarzen Hosenanzug mit weißer Bluse und schwarzen Ballerinas oder Pumps greifen. Männer tragen im Geschäftsleben zwar kein schwarz, aber Frauen dürfen das. Genau so gut ist ein dunkles Kostüm oder ein Etui-Kleid.
So kleiden Sie sich richtig
Wie kleidet man sich ordentlich? Dabei geht es um mehr als die Frage, ob mit oder ohne Krawatte. Welche Aussagen lassen sich durch welche Kleidung transportieren? Das ist keineswegs Jacke wie Hose. Ein Crashkurs.
Im Englischen heißt es „it fits“, wenn etwas passt. Daher das Wort „Outfit“. Ihre Kleidung sollte in drei Kategorien passen: Dem Anlass entsprechend, dem Typ entsprechend und der individuellen Aussage entsprechend. Genau in der Schnittmenge liegt das für sie optimale Outfit.
Anzug oder Kostüm sollten Werte wie Vertrauen und Sicherheit widerspiegeln. Das gilt auch für Mitarbeiter im Back-Office. Ein Ziel ist Understatement. Die Kleidung sollte modern und nicht bieder wirken; dunkle Business-Farben wirken am besten.
Es gilt, einen Tick schicker zu sein als im klassischen Business. Hosen mit Pullover gehen maximal in der Werbebranche. Ansonsten eher kompletter Hosenanzug oder Blazer-Hose-Kombi für Damen, Anzüge und Kombinationen für Herren. Anspruchsvoll, gehobene Qualität und dunklere Farben.
Professioneller Look ist hier unabdingbar. Klassische Kostüme, Anzüge und Kombinationen in mittleren bis dunkleren Farbtönen. Farben dürfen nicht ins Auge springen, sollten aber modern sein.
In der Werbung oder bei den Medien darf es bunter und ausdrucksstark zugehen. Hier ist Nähe angesagt und schwarze Kleidung ist da sehr hinderlich.
Für besonders große Männer empfehlen sich farbliche Unterteilungen. Also zum Beispiel blaue Hose oder roter Pullover. Das unterbricht die Größe und lässt Sie weniger lang wirken. Männer mit langen Beinen tragen am besten längere Jacken und Ärmel.
Ist Ihr Körper insgesamt kurz, empfiehlt sich farblich Ton in Ton. Farbliche Unterteilungen würden die Kürze betonen. Haben Sie kurze Beine, sollten Sie von Hosenaufschlägen absehen – und auch davon, Ärmel aufzukrempeln.
Tiefsinnige und Kreative wollen sich ausdrücken. Die Erscheinung darf Außergewöhnliches bieten, also kreativer Kragen, Schmuck, extravagante Brille oder bunte Farben. Bodenständige Typen verwenden besser natürliche Materialien und Erdtöne. Dramatiker und Extrovertierte mögen vielleicht asymmetrisch geschnittene Kleidung – sie sollten dann aber darauf achten, dass sie niemals billig wirkt. Zu sportlichen Typen passen Blau und Grün.
Sollten Sie eine schlanke Frau sein und Kleidergröße 32 bis 34 tragen, sehen Röhrenjeans super aus. Ab Kleidergröße 40 sehen Sie mit ihnen dicker aus. Es liegt also stets an der Form ihres Körpers.
Sind Schulter, Taille und Hüfte gleich breit, empfiehlt sich eine gerade Hose oder ein gerader Rock.
Die Schulter ist schmaler als die Hüfte. Hier sollten Sie Hosen und Rücke in der sogenannten A-Linie mit kurzen Oberteilen kombinieren.
Die Schulter ist breiter als die Hüfte: Hier empfehlen sich Caprihosen, Röhrenhosen und enge Röcke. Die schmalen Hosen lassen sich gut in Stiefel stecken.
Die Figur ist wie eine 8 geformt. Sie ist eine sehr weibliche Figurform. Die Röcke sind konisch geschnitten, sie werden zum Knie hin schmaler. Passende Hosen sind Hosen in Bootcut-Schnitten.
Für Männer haben Sie mit dem Anzug nur ein Kleidungsstück aufgezählt, für Frauen gleich drei verschiedene. Wie kommt’s?
Frauen haben es schwerer. Denn bei Männern steht seit den Fünfzigerjahren das Grundgerüst für die Geschäftskleidung. Für sie gab es vor dem Zweiten Weltkrieg nur noch wenige Veränderungen – zum Beispiel, dass man keinen Gehrock mehr angezogen hat. Frauenkleidung hat jedoch durch die gesellschaftlichen Veränderungen nach dem Ersten Weltkrieg und in den Sechzigerjahren gigantische Umbrüche erlebt. Wir hatten erst den Siegeszug der Hose, dann des Minirocks.
Was bedeutet das für die Geschäftskleidung von Frauen?
Frauen haben deutlich mehr Auswahlmöglichkeiten und können damit auch deutlich mehr falsch machen: Wenn sie zu attraktiv aussehen, ist das schlecht. Wenn sie zu konservativ aussehen, ist das auch schlecht. Wenn ihr Look zu sportlich ist, ist das doof. Wenn ihr Look nicht sportlich genug ist, ist das auch doof.
Und wie sexy darf eine Frau sein?
In deutschen Büros darf sie gar nicht sexy sein, weil sie dann als doof gilt - oder die anderen Frauen hassen sie. Die Sexyness muss subtil sein.
Wie bekommen das Frauen hin?
Wenn ich mich frage, ob der Rock zu kurz ist, dann ist er zu kurz. Die einschlägige Meinung der Modeberater ist, dass ein Rock „knieumspielend“ sein muss. Der Ausschnitt darf nicht so tief sein, dass man als Mann automatisch hingucken will. Gleiches gilt für die Transparenz der Bluse.
Tendieren Sie zum Kostüm oder zum Anzug?
Das sollte eine Frau nach Figur und Wohlbefinden entscheiden. Wenn eine Frau im Privatleben immer nur Röcke und Kleider trägt, dann sollte sie im Geschäftsleben nicht gerade auf einen Hosenanzug umsteigen, weil sie sich dann schnell unwohl fühlt. Und dieses Unwohlsein wird schnell in Unsicherheit umschwenken.
"Deutsche sind Ästhetik-Muffel"
Wie modisch dürfen Frauen und Männer denn sein?
Männer haben lediglich die Wahl zwischen klassisch und modisch. Dabei sollten sie sich immer für klassisch entscheiden, da sie sonst schnell einen flatterhaften Eindruck machen. Frauen dürfen sich im Businessbereich deutlich modischer geben und haben dafür auch die größere Wahlfreiheit. Es gibt den Hosenanzug in 100 Varianten – von top-modisch bis knatschig.
Nutzen Frauen diesen Spielraum aus?
In Deutschland hat sich für Frauen leider in vielen Branchen der mausgraue, stinklangweilige, unsexy geschnittene Hosenanzug mit plumpen Pumps durchgesetzt. So wollen Frauen im Geschäftsleben vermeiden, zu attraktiv auszusehen, um ihre Kompetenz zu unterstreichen. Deshalb tragen sie Business-Kleidung, die sie privat nie tragen würden. In Amerika, Frankreich oder Italien sieht das anders aus: Da gibt es Managerinnen, die sehr elegant im Kleid oder Kostüm auftreten und trotzdem hochqualifiziert und erfolgreich sind.
Sind wir Deutsche denn solche Modemuffel?
Deutsche sind weniger Modemuffel, sondern generelle Ästhetik-Muffel. Sie meinen, es kommt nur auf die inneren Werte an.
Kommt es das nicht?
Natürlich kommt es auf die inneren Werte an, aber das schließt nicht aus, dass man auch das Äußere ansprechend gestaltet. So sehen das etwa Italiener. In Deutschland denkt man oft, dass ein schönes Äußeres ein schadhaftes oder verdächtiges Inneres verbirgt.
Haben Sie ein Beispiel?
Das beste Beispiel aus der Politik ist Michel Friedman, der aus verschiedenen Gründen in der Öffentlichkeit unbeliebt war. Man kann über ihn sagen, was man will, aber sein Kleidungsstil ist sehr gut. Doch selbst das kreiden ihm manche an. Dabei ist er so angezogen, wie in Italien oder Frankreich jeder einigermaßen angesehene Geschäftsmann unterwegs ist.
Was wünschen Sie sich persönlich optisch für die Geschäftswelt?
Manager sollten sich kleidungstechnisch auf dem gleichen Niveau bewegen wie ihre Qualifikation und ihr Einkommen. Der britische Dramatiker Noël Coward sagte schon: „The most talented people dress like stock brokers.”