Theologe und Unternehmer Ulrich Hemel Managementfehler der katholischen Kirche

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Ökumenischer Gottesdienst in Quelle: dpa

Woher rührt diese seltsame Sprachlosigkeit und Weltferne?

Nun, wer sich vor allem um die Unbeflecktheit des eigenen Erscheinungsbildes sorgt, kommt automatisch ins Stottern und Stammeln, sobald die Wirklichkeit das Ideal blamiert. Mancher Bischof weiß nicht, wie er zu den Menschen sprechen soll, weil er sich viel zu sehr auf die Logik seiner Institution gestützt hat, statt auf die Logik des Zuhörens.

Haben wir es mit einer Kirche zu tun, die den Blick viel zu stark nach innen richtet und sich an ihrem Selbstbild berauscht?

Natürlich nicht immer und überall. Wir sollten bitte nicht vergessen, dass es nach wie vor ganz hervorragende Laien, Priester und Bischöfe gibt, die vorbildlich handeln. Organisatorischer Narzissmus in der Kirche heißt aber, dass das eigene Bild wichtiger ist als die Botschaft, die sie verkündet. Genau darin liegt eine Selbsterhöhung, eine Selbstbetörung, die in dem Maße unglaubwürdig wird, wie ich mir der Unvollkommenheit nicht mehr bewusst werde. Das ist ja das, was die Leute so verstört: dass sie Bischöfe sehen, die sagen: Schade, dass das mit dem Missbrauch so gelaufen ist – aber noch schlimmer ist es, dass die Presse so viel darüber berichtet. Man spricht dann vom „Missbrauch des Missbrauchs“!

Das ist noch höflich ausgedrückt. Viele werden das Verhalten der Bischöfe als Offenbarungseid einer weltfremden, empfindungsarmen, als einer endgültig in sich verpanzerten Kirche empfunden haben.

Sicher. Warum hat es die Kirche nicht geschafft zu sagen: „Ja, ich habe gefehlt. Ich war sicher nicht die einzige Institution, die Kinder geprügelt hat, es gab bestimmte Einflüsse, einen bestimmten Zeitgeist, aber trotzdem: Ich war verantwortlich – und ich bitte um Verzeihung“? Es wäre ganz einfach gewesen, aber diese einfachen Sätze sind nicht gefallen oder nicht gehört worden. Ein bisschen Demut hätte dem einen oder anderen unter den Kirchenmännern gut zu Gesicht gestanden, denn Demut ist, theologisch gesehen, Wirklichkeitserkenntnis: Erkenne, welche Position du vor Gott und den Menschen hast.

Was wäre eine geeignete Reaktion der Kirche gewesen?

Die katholische Kirche verfügt über einen unermesslichen Reichtum an Formen. Nehmen Sie zum Beispiel die Fußwaschung an Gründonnerstag. Wenn eine selbstsouveräne Kirche sich eingestehen könnte, sündig zu sein: Was hätte Benedikt daran gehindert, an Gründonnerstag die Fußwaschung bei Missbrauchsopfern vorzunehmen? Eine ganz einfache Sache. Und ein starkes Symbol. Die Liturgie hat Kraft – man muss sie nur entdecken.

Könnte es sein, dass sich hinter dem autoritären Gestus mancher Kirchenführer die Ahnung versteckt, die Kirche könnte überflüssig werden?

Die Kirche wird niemals überflüssig sein.

Woher wissen Sie das?

Ich weiß es nicht. Aber ich glaube es. Mag sein, dass sie in der organisatorischen Form, in der wir sie heute erleben, eines Tages überflüssig ist. Na und? Für den Heiligen Geist kommt es nicht darauf an, ob es ein bischöfliches Ordinariat gibt oder nicht.

Liegt in der Selbstentblößung der Amtskirche auch eine Chance?

Eine Riesenchance sogar. Die frohe Botschaft liegt wieder vor uns, ohne dass die Kirche sie verdecken könnte: Sie wartet förmlich darauf, jetzt wieder entdeckt zu werden. Diese Kirche muss sich aus der Mitte ihrer Glaubensgemeinschaft heraus erneuern, oder theologisch gesprochen: Sie muss sich die Erneuerung nicht vom Papst und den Neoklerikalen einreden, sondern vom Heiligen Geist schenken lassen.

Heißt das, dass das Pontifikat Benedikts beerdigt ist? Oder dass durch eine Art List der Vernunft die Erneuerung, die Benedikt sich wünscht, tatsächlich eintreten wird – wenn auch auf ganz andere Weise als gedacht?

Wir Theologen reden nicht von der List der Vernunft, sondern von der Überraschungsfähigkeit des Heiligen Geistes – und wir feiern sie an Pfingsten. Diese Überraschungsfähigkeit kann sehr wohl dazu führen, dass Wirkungen sich völlig konträr zu den Absichten entwickeln. Dafür gibt es in der Geschichte Beispiele genug. Und daher bleibe ich bei meiner Hoffnung auf eine erneuerte Kirche, die auch für heutige Menschen anziehend und einladend ist!

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