Training Die Macht der Stimme

Seite 3/5

Fernsehmoderator mit Quelle: AP

In Zeiten, in denen wir uns weder auf den Wahrheitsgehalt von Worten noch die Beweiskraft von Bildern verlassen können, bekommt die Stimme ein völlig neues Gewicht. Sie ist nicht nur eindeutiges Erkennungsmerkmal, sondern nahezu unverfälschlich und damit eine ebenso authentische wie „intime Visitenkarte“ der Persönlichkeit, sagt der Flensburger Stimmforscher Hartwig Eckert. Die Sprache ist ein Verräter. Sie entlarvt die Gemütslage des Sprechers ebenso wie dessen Absichten.

Das limbische System, die Schaltzentrale für Gefühle, wirkt unmittelbar auf sämtliche Zwischentöne: Ist jemand traurig, erschlafft seine Sprechmuskulatur, die Stimmlippen reagieren verzögert und vibrieren sanfter. Prompt klingt die Stimme tiefer, kraftloser, undeutlicher. Desinteresse oder Frust machen die Stimme flach und monoton, der Sprachmelodie fehlt Modulation. Und wer gestresst oder nervös ist, klingt gepresst und dünn, dem Sprecher schnürt es sprichwörtlich die Kehle zu.

Diese Stimmlippenbekenntnisse sind global gleich und unabhängig vom Kulturkreis. Das macht sie für die internationale Kommunikation universell interpretierbar – aber auch für die Forschung interessant.

Selbst ungeübte Ohren können aus der Stimme das Alter eines Menschen heraushören

Eines der bekanntesten Experimente dazu lieferte der Psychologe Klaus Scherer von der Universität Genf: Er ließ Schauspieler inhaltlich sinnlose Sätze aus Elementen verschiedener Sprachen auf Band sprechen und dudelte das Kauderwelsch Menschen diverser Nationen vor. Obwohl keiner ein Wort verstand, erkannten sowohl Engländer wie Spanier, Italiener, Franzosen oder Deutsche, ob die Mimen erfreut, verärgert, traurig oder ängstlich waren.

Mehr noch: Selbst ungeübte Ohren können aus der Stimme das Alter eines Menschen heraushören, wie etwa der Berliner Sprachforscher Markus Brückl in seiner Dissertation festgestellt hat. Ältere Menschen sprechen meist langsamer als junge, artikulieren weniger deutlich, ebenso nimmt die Rauheit und sogenannte Behauchtheit ihrer Stimme zu. Von Letzterem sprechen Wissenschaftler, wenn sich beim Reden zu jedem Laut ein leichtes Rauschen mischt.

Das Bemerkenswerte an Brückls Studien ist: Was wir heraushören, ist weniger das chronologische Alter eines Menschen, dafür aber sein biologisches, also wie fit der Sprecher ist. Dieses biologische Alter kann im Schnitt bis zu vier Jahre vom numerischen abweichen, was zugleich bedeutet: Durch gezieltes Stimmtraining lässt sich das persönliche Image um einige Jahre verjüngen oder altern.

Jüngste Forschungsergebnisse deuten gar darauf hin, dass selbst einzelne Charakterzüge einer Person hörbar sind. Die Vermutung steckt bereits im lateinischen Wortstamm „per-sonare“, dem „Durchtönen“. Der Berliner Kommunikationswissenschaftler Walter Sendlmeier wollte es genauer wissen und hat dazu vor wenigen Wochen eine Versuchsreihe gestartet. Er untersucht, ob und wie sehr die in der Psychologie verwendeten „Big Five“ der Persönlichkeitsmerkmale – Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrungen, soziale Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit – durch die Stimme reflektiert werden.

Bei einem Versuch mussten sich elf ausgewählte Sprecher zunächst selbst einschätzen und danach drei Stimmproben aufnehmen: einen Vokalton von sechs Sekunden Dauer, einen vorgelesenen Text und einen Freitext. Aus den beiden Textproben wurden jeweils 17-sekündige Fragmente kopiert, die inhaltlich kaum Rückschlüsse auf die Sprecher zuließen. Anschließend wurden alle drei Aufnahmen 30 Hörern vorgespielt, die die Sprecher charakterisieren sollten. „Schon bei dem gehaltenen Vokal gab es eine erkennbare Korrelation zwischen der Eigen- und der Fremdwahrnehmung“, sagt Sendlmeier. Vor allem aber das Maß an Neurotizismus und Extraversion wurde in den Hörproben deutlich erkannt. Oder anders formuliert: Wer psychisch labil oder stabil, wer introvertiert oder extrovertiert war, der klang auch so.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%