Ungesunder Lebensstil Arbeitslose sind oft übergewichtig

Wo der Anteil der Arbeitslosen hoch ist, sind meist auch mehr Menschen übergewichtig als anderswo. Das zeigt der aktuelle "Well Being Index" für die USA. Für Deutschland gilt dasselbe.

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Eine Chirurgin führt im Stadtkrankenhaus Schwabach (Bayern) eine Nachuntersuchung an einem Adipositas-Patienten durch. Quelle: dpa

Das Städtchen Huntington im US-Bundesstaat West Virginia war mal eine boomende Stadt. In den Fünfzigerjahren ernährten vor allem Bergbau und Stahlindustrie 86.000 Einwohner. Jetzt sind es nicht einmal mehr 50.000. Die Arbeitslosenrate liegt bei etwa 8 Prozent, was für die USA sehr viel ist.

Spitze sind die Huntingtoner aber in einer anderen Disziplin: Essen. Laut dem aktuellem „Well Being Index“ von Gallup-Healthways hat die Stadt die meisten Fettleibigen pro Kopf in den USA: Rund 40 Prozent der Huntingtoner sind „adipös“.

Nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO ist adipös, wer einen Körpermasseindex (BMI) von über 30 hat. Bei einem BMI zwischen 25 und 30 spricht man von Übergewicht.

Der BMI berechnet sich aus Körpermasse in Kilogramm, geteilt durch das Quadrat der Körperlänge (in Metern). Ein 1,80 Meter großer Mensch mit einem Gewicht von 80 Kilogramm hat also ein BMI von etwa 24,7.

Der Well Being Index zeigt einen Zusammenhang, der auch in anderen westlichen Wohlstandsökonomien belegt ist. In Gemeinden mit hohen Arbeitslosigkeitsraten ist der Anteil an Übergewichtigen ebenfalls hoch.

Der Grund: Während früher die Armen meist dünn oder sogar unterernährt waren, weil sie sich schlicht nicht die nötigen Kalorien leisten konnten, sind die sozial Schwachen der Gegenwart im Schnitt deutlich öfter übergewichtig als wohlhabendere Menschen.  

Nun sagt dieser Zusammenhang noch nichts über Ursache und Wirkung aus. Werden Menschen oft dick, weil sie arbeitslos sind, oder werden und bleiben sie eher arbeitslos, weil sie schon dick sind?

Vermutlich existieren beide Wirkrichtungen.

Riskante Lebenswelten

So essen die Deutschen am liebsten
FleischDie Deutschen lieben Fleisch. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag des Bundesagrarministers Christian Schmidt (CSU) kommen bei vier von fünf Deutschen (83 Prozent) Fleisch und Wurst mehrmals in der Woche auf den Tisch. Quelle: AP
GeschlechtsunterschiedeBesonders Männer und Bürger aus den neuen Bundesländern bestehen auf ihr tägliches Schinkenbrötchen und ihr Schnitzel. Insgesamt ernähren sich Frauen gesünder als Männer. Schmidt sprach insgesamt von einem „eigentlich ziemlich guten Befund“. Gemeinsam mit Forsa-Chef Manfred Güllner bescheinigte der Minister den Deutschen bei ihrem Ess- und Konsumverhalten die Note 2 bis 3. Das Klassenziel sei erreicht, einige Werte müssten aber noch verbessert werden. Quelle: Fotolia
PastaLaut dem Ernährungsreport 2016 ist das Lieblingsgericht der Deutschen aber nicht Wurst oder Steak, sondern Pasta. Die dann vermutlich mit Hackfleischsauce. 35 Prozent nennen Spaghetti, Spätzle & Co als Lieblingsgericht. Quelle: AP
LieblingsessenWeitere Lieblingsgerichte nach Nudeln sind Gemüse- und Kartoffelgerichte (18 Prozent) sowie Fischgerichte (16). Salat bezeichneten 15 Prozent als ihre Leibspeise, das Schnitzel nannten nur elf Prozent. Quelle: dpa
Vegetarier und VeganerNur drei Prozent der Deutschen verzichten ganz auf Fleisch und Wurst. Nur sechs Prozent der Frauen und lediglich ein Prozent der Männer geben an, nie Fleisch oder Wurst zu essen, wie aus von Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) vorgelegten „Ernährungsreport 2016“ hervorgeht. Quelle: Blumenbüro Holland/dpa/gms
Bio-LebensmittelIm Trend liegen eine artgerechte Tierhaltung sowie Regionales: Fast alle Befragten wären bereit, für Fleisch aus tiergerechter Haltung mehr zu zahlen. 86 Prozent der Verbraucher sind für ein besseres Einkommen der Landwirte. Etwas mehr als drei Viertel legen zudem Wert darauf, dass die Lebensmittel aus der Region kommen. Quelle: dpa
EinkaufenTrotz steigenden Angebots nutzt laut der Umfrage bisher kaum jemand (durchschnittlich weniger als 1 Prozent) die Möglichkeit, Lebensmittel im Internet zu bestellen und sich diese nach Hause liefern zu lassen. Aber jeder Fünfte nutzt das Smartphone und „googelt“ beim Einkauf. Trotzdem fühle sich aber auch fast ein Viertel der Befragten (24 Prozent) weniger gut bis schlecht informiert über die Lebensmittel, die sie kaufen. Quelle: dpa

Die Kieler Adipositas-Präventionsstudie (KOPS) konnte 2013 zeigen, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die in sozial schwachen Wohngegenden aufwachsen und leben, häufiger übergewichtig sind. „Auch Lebenswelten können ‚adipogen‘ wirken, sie können das Risiko für Übergewicht erhöhen“, fasst Manfred James Müller, einer der beiden Sprecher des Kompetenznetzes Adipositas, die Ergebnisse der Studie zusammen.

Eine hohe Verkehrsdichte sowie Kriminalitätsrate begünstigen demnach die körperliche Inaktivität und den Medienkonsum. In entsprechenden Wohngegenden, die in aller Regel auch besonders hohe Arbeitslosenquoten aufweisen, gehen die Menschen seltener aus dem Haus und bewegen sich weniger. Eine niedrige Schulbildung verstärkt den nachteiligen Einfluss solcher Lebenswelten.

Dazu kommen speziell bei Arbeitslosen sicher auch psychische Faktoren. Die Psychologen Karsten Paul und Klaus Moser haben in mehreren Untersuchungen gezeigt, dass vor allem Langzeitarbeitslose überdurchschnittlich oft unter psychischen Krankheiten leiden. Die "sächsische Längsschnittstudie", die seit 1987 läuft, zeigt ein ähnliches Ergebnis. Vom psychischen Unwohlsein durch Arbeitslosigkeit ist es dann nur ein kleiner Schritt zum übermäßigen Essen, das bekanntlich für viele Menschen eine ähnliche Funktion hat wie Nikotin, Alkohol und andere Suchtmittel. Es gibt aber auch Hinweise darauf, dass Arbeitgeber Bewerber mit Übergewicht ungern einstellen, weil sie sie für weniger produktiv halten.

Dass Übergewichtige häufiger krank sind, ist medizinisch eindeutig belegt. Die Ausgaben für Adipositas im deutschen Gesundheitswesen werden nach Angaben des „Kompetenznetzwerkes Adipositas“ auf circa 17 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Vor allem das Risiko von Herzkreislaufkrankheiten und Diabetes-2 ist bei übergewichtigen und erst recht bei fettleibigen Menschen sehr viel höher. Dies hat sich auch unter Arbeitgebern längst herumgesprochen.

Der Zusammenhang zwischen Übergewicht und den sozialen Lebensumständen sollte allerdings nicht davon ablenken, dass Übergewicht längst nicht nur ein Problem der Arbeitslosen und wenig Gebildeten ist. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) beobachtete in ihrem "Obesity Update 2012" in allen Mitgliedsländern einen wachsenden Anteil von Übergewichtigen, gerade auch Kindern. Etwa jeder zweite Bürger in einem Mitgliedsland der OECD ist inzwischen übergewichtig, jeder sechste gilt als fettleibig.

Wenn es so weitergeht, rechnet die OECD damit, dass 2020 zwei Drittel der Menschen in ihren Mitgliedsstaaten übergewichtig sein werden.

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