Viralmarketing Wenn Werbung sich im Netz selbst verbreitet

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Den Nutzen nicht vergessen

Die verrücktesten Werbeaktionen
U-Boot in MailandFür eine Versicherung, die ihre Kunden dafür sensibilisieren wollte, dass wirklich alles passieren kann, tauchte in Mailand ein U-Boot auf. Und zwar mitten in der Stadt. Es rammte einen Smart und riss den Asphalt auf. Die verwirrten Matrosen, die dem Boot entstiegen, wurden von Sanitätern abtransportiert. Quelle: Screenshot
Nacktshopping Quelle: dpa
Sexspielzeug für die Spielfreak-Frauen Quelle: dapd
Brötchen wie Brüste Quelle: Screenshot
Guerilla-MarketingSchon fast ein Klassiker sind die Guerilla-Marketingkampagnen von Nike, bei denen der Sportartikelhersteller übergroße Fußbälle so arrangierte, als seien sie in Gebäude oder Autos eingeschlagen. Auch gigantische Turnschuhe sollten auf die Produkte des Unternehmens aufmerksam machen. Quelle: Screenshot
Vorname gegen Gratis-Games Quelle: Screenshot
Die Kostenlos-Zeitung Quelle: dapd

Die erste erfolgreiche Viralkampagne rührt aus dem Jahr 1996. Sabeer Bhatia und Jack Smith hatten damals einen kostenlosen E-Mail-Dienst programmiert. Da schlug ihnen ein Investor vor, am unteren Ende der Nachrichten einen kurzen Text einzubauen: „Get your free E-Mail at Hotmail“. Beim Klick auf den Satz gelangten die Nutzer sofort zur Anmeldemaske.

Ein kleiner Trick mit großer Wirkung: Nach sechs Monaten hatte der Dienst eine Million Nutzer, ein Jahr später waren es schon zwölf Millionen.

Das gleiche Prinzip nutzen bei ihren Smartphones noch heute Apple („Von meinem iPhone gesendet“) und Blackberry („Via Blackberry gesendet“).

Dass die von Ökonom Berger propagierte Ansteckungsgefahr selbst in einem vermeintlich banalen Produkt wie einem Küchenmixer steckt, zeigt die Geschichte von Tom Dickson. Schon seit den Neunzigerjahren verkaufte der Gründer des Haushaltsgeräteherstellers Blendtec Küchenmixer. Ein Produkt mit überschaubarem Coolness-Faktor, das nicht unbedingt für raffinierte, ausgeklügelte Werbekampagnen taugt. Erst recht in Zeiten von Twitter, Facebook, YouTube und Co.

So weit zumindest die Theorie.

George Wright sah das anders. Der ehemalige Blendtec-Marketingchef ging an einem seiner ersten Arbeitstage durch die Fabrikhallen. Da entdeckte er auf dem Boden ein Häufchen Sägemehl. Holzreste in einer Mixerfabrik? Merkwürdig. Wright schaute sich um und entdeckte den Grund. Tom Dickson testete seine Produkte regelmäßig selbst, wenngleich ziemlich eigensinnig: Er legte kleine Holzstücke in die Mixer und schaltete die Maschinen an. Plötzlich hatte Wright eine Idee.

Für eine Handvoll Dollar kaufte er Glasmurmeln, Golfbälle, einen Laborkittel und eine Schutzbrille. Dann forderte er Dickson auf, sich in dieser Montur vor eine Kamera zu stellen, die Murmeln in den Mixer zu legen und den Knopf zu drücken. Ein paar Sekunden später war von den Glaskugeln nur noch Pulver übrig. Bei den Golfbällen war es genauso. Dann lud Wright die Videos auf YouTube hoch. Wenige Wochen später hatten sie mehr als sechs Millionen Abrufe.

Seitdem hat Dickson unterschiedliche Produkte geschreddert. CDs, Lampen, eine Vuvuzela, Digitalkameras, iPhones, iPads – und die Netzwelt mit seinen kurzen, amüsanten Filmchen daran teilhaben lassen. Unter dem Titel „Will it blend?“, also etwa „Lässt es sich mixen?“, demonstriert der Firmenchef die Kraft der rotierenden Klingen. Mit vollem Erfolg: Der YouTube-Kanal von Blendtec hat mittlerweile mehr als 220 Millionen Abrufe. Doch nicht nur das: Die Absatzzahlen stiegen seit 2006 um mehr als 700 Prozent.

Mit ein paar Videos und kleinem Budget schufen Dickson und Wright eine der erfolgreichsten Viralmarketing-Kampagnen aller Zeiten – und kurbelten gleichzeitig die Verkäufe an. Ohne zähe Brainstormings, teure Berater oder langwierige Ausschreibungen.

Was andere Unternehmen daraus lernen sollten? Auch abgedrehte Werbeformen können, ja müssen einen praktischen Nutzen vermitteln. Im Falle von Blendtec lautet er: Wer einen neuen, starken Mixer braucht, ist hier genau richtig. Denn die unterschwellige Botschaft heißt: Das Gerät kann sogar Telefone und Trompeten pulverisieren – da werden Äpfel, Bananen und Möhren sicher kein Problem sein.

Hinzu kommt: Der Mixer ist zentraler Bestandteil des Spots. Wer einem Bekannten davon berichten will, muss ihn zwangsläufig erwähnen – und wird unbewusst zum Markenbotschafter von Blendtec.

Einen ähnlichen Mechanismus nutzte im Jahr 2011 der dänische Bierhersteller Carlsberg. Für seine Kampagne mietete er einen Kinosaal und 148 finster dreinblickende Motorradfahrer. Im gesamten Saal waren noch genau zwei Plätze übrig – inmitten der tätowierten Biker.

Der Clou: Genau diese zwei Sitze hatte das Kino an verschiedene Pärchen verkauft. Wie würden sie reagieren? Wenig überraschend: Alle guckten verdutzt, als sie den Saal betraten und ihnen 296 Augen entgegenblickten. Einige zögerten kurz und verschwanden. Doch andere trauten sich, setzten sich auf ihre Plätze – und wurden Sekunden später von den Männern mit lautem Jubeln und einer Flasche Carlsberg belohnt.

Der Clip der belgischen Werbeagentur Duval Guillaume Modem wurde seitdem nicht nur bei YouTube mehr als zwölf Millionen Mal angeschaut. Er half auch der Bilanz des Bierbrauers. Der Carlsberg-Absatz stieg 2011 um fast sieben Prozent, in manchen Ländern wuchs der Konzern sogar zweistellig. Und das in einem Jahr, in dem der Bierkonsum in beinahe jedem europäischen Land sank.

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