Visitenkarten Worauf es bei der Visitenkarte ankommt

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Weniger ist mehr

Karten zeigen, wer man ist – oder sein möchte. Für Douglas, der seinen Adelstitel auf der Visitenkarte weglässt, funktionieren sie wie „Aushängeschilder“. Der CEO, den Vorstandsvorsitzende auf ihrer Karte stehen haben, demonstriere: „Hier kommt ein ganz Großer.“ Das müsse nichts Einschüchterndes, gar Bedrohliches haben. Visitenkarten würden auf Augenhöhe weitergegeben: „Wer von Herrn Kaeser die Karte bekommt, hat keine Angst vor Herrn Kaeser.“

Man sieht, Visitenkarten informieren nicht nur, sie markieren auch einen sozialen Abstand. Der Stuttgarter Designer Jochen Rädeker, der eine Sammlung historischer Visitenkarten besitzt, erzählt, in China sei es selbstverständlich, dass der Inhaber eines Unternehmens eine 400 Gramm starke Visitenkarte aus handgeschöpftem Papier besitzt, während der Assistent mit 200 Gramm Vorlieb nimmt. Das Prestige eines Geschäftsmanns in den USA ist auch an der Schriftprägung und Farbe des Papiers erkennbar. Die „Wall Street Yuppies“, die der amerikanische Autor Bret Easton Ellis in seinem Roman „American Psycho“ in einer New Yorker Bar zusammenführt, sind regelrechte Kartenfetischisten.

Nach den „Begrüßungs-Bellinis“ kommt es zum Showdown: Der Held der Geschichte holt seine neuen Visitenkarten aus seiner „Brieftasche aus Gazellen-Leder“, klatscht sie auf den Tisch, „elfenbeinfarben“, sagt er, „die Schrift heißt Silian Rail“ – und wird von den Kollegen gekontert, die ihrerseits ihre Visitenkarten zücken: „eierschalenfarben, Romana“, „erhabene Schrift, blasses Nimbus-Weiß“.

Diese Fehler brechen Bewerbern das Genick
Ein Mann mit Fragezeichen über dem Kopf Quelle: Fotolia
Eine Kündigung liegt in einem Büro auf einem Kalender Quelle: dpa
Ein Mann hält einen Lebenslauf in der Hand Quelle: Blumenbüro Holland/dpa/gms
Ein unbefristeter Arbeitsvertrag Quelle: dpa
Frau zählt Geldscheine, die sie in der Hand hält Quelle: Fotolia
brennender 20 Euro-Schein Quelle: Fotolia
Frau macht ein nachdenkliches Gesicht Quelle: Fotolia

Visitenkarten sind eine kleine Bühne

Karten sind kleine Ausrufezeichen. Sie bieten auf einem Stückchen Karton, im 55-x-85-Format einer Kreditkarte, eine Miniaturbühne der Persönlichkeit. Man kann leise auftreten, wie der Architekt Hadi Teherani, auf dessen dunkelgrauer Karte in feinen weißen Lettern nur der Name steht, oder laut, wie der chinesische Recycling-Unternehmer Chen Guangbiao: Auf seinen selbst entworfenen Visitenkarten wirbt er mit dem Titel „berühmtester Wohltäter Chinas“.

Visitenkarten gehören zum Branding, sie sind Teil des Corporate Designs, das den Mitarbeiter auf der Visitenkarte als Firmenvertreter ausweist. Nicht zufällig ist sein Name in der Regel kleiner geschrieben als der des Unternehmens. Man drängelt sich nicht vor. Daher auch die Vorliebe der Geschäftswelt für neutrale, seriös wirkende Visitenkarten. Spielerisches ist verpönt, erst recht in konservativen Kreisen wie den Wirtschaftsprüfern oder den Bankern.

Schöne Visitenkarten unterscheiden sich im Detail, in der Feinheit der Typografie, in der Präsentation des Logos. Auf engstem Raum drückt sich hier aus, was Sigmund Freud den „Narzissmus des kleinen Unterschieds“ genannt hat. Jeder zweite Visitenkarten-Knigge warnt vor „witzigen“ Ideen. Trotzdem meinen manche Freiberufler, sie könnten sich dem Publikum durch ausgefallenes Design einprägen. Zum Beispiel der Käsehändler, der mit einer Miniatur-Käsereibe als Visitenkarte wirbt. Der Sommelier, dessen Karten Glasränder von Rotwein schmücken. Die Hebamme, aus deren Kartenhülle auf Druck die Karte am Faden herausfällt. Der Scheidungsanwalt, dessen Karte dank Perforation in der Mitte in zwei Teile getrennt werden kann. Solche Gimmicks, meinte der „Economist“ jüngst, langweilen schnell – „oder kratzen unangenehm, wie im Fall der Käse-Karte“.

Repräsentation und Information

Auf die klassische Visitenkarte gehört nur der Name, bemerkt Asfa-Wossen Asserate, der Autor der „Manieren“, „was man sonst noch von sich mitteilen möchte, schreibt man dazu“. Hans-Georg Pospischil, Professor für Kommunikationsdesign an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart, wundert sich, dass dieses „Dazu“ immer mehr wird. Die meisten Visitenkarten seien „überfrachtet mit Daten“. Man fühle sich „nicht mehr beschenkt, sondern belästigt“. Pospischils Vorschlag: Die repräsentative Funktion der Karte von der informativen Funktion zu trennen. Auf der Vorderseite der Karte steht das Logo, auf der Rückseite stehen die Daten zur Person. Oder, noch besser, man gibt auf seiner Karte nur die Internet-Adresse an: Die „com-Karte“, so Pospischil, lenke die Aufmerksamkeit auf die Web-Site, die alle wichtigen Kontaktinformationen versammelt und damit zur erweiterten Visitenkarte wird.

Tatsächlich tauscht man in der Start-up-Szene Visitenkarten fast nur noch elektronisch aus, etwa indem man seine Smartphones aneinanderhält. Trotzdem, Nachrufe auf die Visitenkarte sind verfrüht. Selbst im Silicon Valley, weiß der „Economist“ zu berichten, überreicht man immer noch Karten aus Papier: Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, auf dessen Visitenkarte eine Zeit lang „I’m CEO, bitch“ stand, händigt Geschäftspartnern inzwischen eine feine, erwachsen gewordene Visitenkarte aus. Auch der digitalisierte Zeitgenosse hält sich offenbar gern an das kleine Viereck, wenn er sich einen Namen in Erinnerung rufen will. Dass man bei einem Meeting statt auf die Visitenkarte auf sein iPhone schaut, um sich zu vergewissern, wie der andere heißt, findet Hubertus Graf Douglas „peinlich“.

Offenbar lässt sich eine Verbindung zwischen zwei Menschen, ein Wir-Gefühl, gestisch besser bekräftigen als digital. Karten verpflichten. Man mache nur einmal die Probe und rufe einen indischen Geschäftsmann an, der einem seine Karte beim Stehempfang zugesteckt hat: Sofort ist man wieder im Gespräch.

Kein Wunder, dass Karten sogar in der Szene der Hipster und Nerds wieder „schick“ sind. Der Kartentausch gehört zu den vertrauensbildenden Maßnahmen. Er ist und bleibt, um mit dem Frankfurter Soziologen Tilman Allert zu reden, ein „Türöffner der Kommunikation“. Die Karte, die man seinem Gegenüber gibt, verspricht Erreichbarkeit. Sie ist, im wahrsten Sinne des Wortes, eine verbindliche Zwischenmenschlichkeit. Ihre Botschaft heißt: Vergiss mich nicht!

Freilich, erst wer diese Erinnerung nicht mehr braucht, hat es wirklich geschafft. „Wir arbeiten alle daran“, so Jürgen Werner, „die Visitenkarte zu überwinden.“ Ob Angela Merkel eine Visitenkarte hat? Vielleicht. Aber nötig hat sie sie nicht.

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