Vorstellungsgespräche Streber haben es bei der Jobsuche schwer

Wen stellen Personaler eher ein: den Fleißarbeiter oder das Naturtalent? Forscher glauben, dass die Emsigen benachteiligt werden. Schuld daran ist einer Studie zufolge die Intuition der Personalchefs.

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Wen bevorzugen die Personalchefs eher, die Naturtalente oder doch die fleißigen Arbeiter? Eine Studie von Chia-Jung Tsay zeigt das Ergebnis. Quelle: Fotolia

Hier das Naturtalent, dem scheinbar alles mühelos zufliegt. Dort der harte Arbeiter, der sich alles mit Ausdauer und Biss erkämpft. Hand aufs Herz: Wen würden Sie eher einstellen?

Objektiv scheint es logisch, den zweiten Kandidaten zu bevorzugen. Immerhin zeigt der zuverlässig, was er drauf hat, während der erste Kandidat – so talentiert er auch sein mag – ein Spiel mit der Unsicherheit ist. Denn wir können nicht sicher sein, ob er sein Potenzial tatsächlich abruft. Doch offenbar ist uns das häufig lieber.

Ursprünglich stammt der Begriff „Talent“ vom griechischen „talanton“, was so viel heißt wie Waage oder Gewicht. Im Neuen Testament ist die Rede von einem anvertrauten Gut, woraus sich das heutige Verständnis ableitet: Talent ist eine Gabe, die man entweder hat oder nicht. Und die die meisten Menschen anscheinend bewundern – so sehr, dass sie sich davon enorm beeindrucken lassen.

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Denn tatsächlich tendieren sowohl Investoren als auch Personalchefs dazu, objektive Belege für Leistungen zu ignorieren. Beeindruckende Arbeitszeugnisse, tolle Abschlussnoten – alles nicht so wichtig. Anstatt auf harte Fakten verlassen sich die meisten Menschen beim Vorstellungsgespräch dann doch lieber auf ihre Intuition. Naturtalente sind klar im Vorteil.

Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie von Chia-Jung Tsay, Assistenzprofessorin am Universitätscollege in London. Sie präsentierte 194 potenziellen Investoren 36 fiktive Lebensläufe von zukünftigen Unternehmern. Darin enthalten waren vier Kriterien: wie viel Führungserfahrung die Nachwuchskräfte hatten, wie es um ihre Managementfähigkeiten im Vergleich zu Kollegen bestellt war, wie hoch ihr Intelligenzquotient war und wie viel Kapital sie bislang eingesammelt hatten. Die fünfte Information gab einen Hinweis darauf, ob der Kandidat seinen Erfolg eher natürlichem Talent oder hartem Fleiß zu verdanken hatte. Auf dieser Basis sollten die Investoren entscheiden, wem sie ihr Geld anvertrauen würden. Was sie nicht wussten: Das präsentierte Geschäftsmodell kam von ein und derselben Person. Lediglich die Lebensläufe waren manipuliert.

Und siehe da, Naturtalente überzeugten Investoren und Personaler eher als fleißige Ehrgeizlinge. Selbst Personen, die auf dem Papier wesentlich weniger qualifiziert waren, bekamen den Zuschlag – weil sie den Eindruck vermittelten, Naturtalent zu sein.

Tsays Studie deckt sich mit ihren früheren Untersuchungen. Vor einigen Jahren untersuchte sie zum Beispiel, wie begabte Musiker von Kollegen im Alter zwischen 18 und 65 bewertet wurden. Dafür konfrontierte sie die Aushilfsjuroren zunächst mit unterschiedlichen Kurzprofilen von zwei Pianisten. Das eine Porträt schilderte einen fleißigen und ehrgeizigen Künstler, das andere ein Naturtalent. Nun lauschten alle Freiwilligen 20 Sekunden lang dem Klavierspiel beider Künstler. Eine Kleinigkeit verschwieg die Forscherin den Testpersonen allerdings: Beide Stücke wurden von der gleichen Person gespielt.

Vorab hatten alle Probanden betont, dass Fleiß und Disziplin ganz sicher über Erfolg oder Misserfolg entscheiden würden. Bei der Beurteilung jedoch gaben sie dem Naturtalent die besseren Noten – und sahen bei ihm eine größere Chance für eine erfolgreiche Musikkarriere. Mehr noch: Sie waren sogar eher dazu bereit, den talentierten Musiker einzustellen und zu fördern. So einfach lässt sich unser Bauchgefühl also täuschen. Aber warum? Offenbar haben Menschen eine natürliche Präferenz für Talente. Laut Tsay sind sie authentischer und in den Augen vieler vertrauenswürdiger. Dadurch wirken sie sympathischer und offener. Wissenschaftler haben sogar einen Namen für dieses Vorurteil, sie nennen es naturalness bias. Und diese gedankliche Verzerrung kann für Unternehmen teuer werden. Wenn sich Personaler im Interview vom womöglich schlampigen Genie blenden lassen – und ihm den Vorzug vor dem emsigen Streber geben, der meist verlässlicher arbeitet.

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