„Ach, wenn wir es so übertreiben würden, dann kämen wir vor lauter Hände desinfizieren gar nicht mehr zum Arbeiten.“ Eindeutiger Schwachsinn! Das bestätigt Ihnen jeder Arzt, der halbwegs bei Trost ist. Aber nach meiner Erfahrung ist solche eine Schlamperei Gang und Gäbe. Nicht nur in dieser Praxis. Und weist man darauf hin, wird amüsiert abgewunken. Anderes Beispiel, andere Branche: Da nimmt eine Kölner Optikerin einem Kunden seine gebrauchten Kontaktlinsen ab, um sie im Tretmülleimer zu entsorgen. Weil das Fußpedal aber ausgeleiert ist, öffnet sie den Eimer mit der Hand. So wie sie es wohl schon etliche Male getan hat, nachdem sie anderen Kunden im Auge herumgefummelt hatte. Dann kommt sie zurück und will dem Kunden die neuen Kontaktlinsen einsetzen, ohne sich vorher die Hände zu waschen. Auf den Hinweis des Kunden, dass das ja wohl bedenklich sei, reagiert sie genervt: „Sonst stört das keinen.“
Problem-Keime in Krankenhäusern
Etwa drei bis fünf Prozent der Krankenhauserreger sind Stämme des auf Haut und Schleimhaut lebenden multiresistenten Staphylococcus aureus (MRSA), gegen die es noch vier bis fünf wirksame Antibiotika gibt. Andere, im Darm lebende Bakterien (ESBL) hingegen produzieren bestimmte Enzyme, die sie gegen die meisten Antibiotika-Klassen resistent machen. Besonders schwierig sind Infektionen mit KPC (Carbapenemase bildende Bakterien der Art Klebsiella pneumoniae) zu behandeln, weil hier auch Carbapeneme als letzte neue Wirksubstanzen versagen und die Ärzte auf ein veraltetes Antibiotikum ausweichen müssen. Die Entwicklung neuer Antibiotika hinkt hinterher.
Etwa 90 Prozent der Krankenhausinfektionen rühren von Keimen her, die mit einem Antibiotikum wirksam bekämpft werden können. Problematischer sind Erreger, die Resistenzen entwickelt haben. Das geschieht vermutlich unter anderem, weil Antibiotika in der Tiermast, aber auch bei Menschen zu häufig und nicht zielgenau verabreicht werden. Dadurch werden Antibiotika-empfindliche Bakterien abgetötet, während die Antibiotika-resistenten sich umso konkurrenzloser vermehren können.
Das Gros der Keime, die in Krankenhäusern für Infektionen sorgen, sind normalerweise harmlose Bakterien, mit denen viele Menschen besiedelt sind. Geraten diese zumeist im Darm vorkommenden Keime jedoch in Blutbahn, Blase oder Lunge, können sie vor allem immungeschwächten Menschen zur Gefahr werden.
Der alltägliche Hygiene-Wahnsinn. Und wir lassen uns das viel zu oft bieten oder achten erst gar nicht drauf. Aber wenn eine Bäckerei mal ein Haar ins Brötchen eingebacken hat, von dem nun wirklich keinerlei Gefahr ausgeht, dann wird dieser vermeintliche Drecksladen nie wieder betreten. Und ist beim Joghurt das Mindesthaltbarkeitsdatum um zwei, drei Tage abgelaufen, schmeißen wir ihn aus hygienischen Gründen weg. Weil das ja sonst eklig ist. Dann kaufen wir neuen im Supermarkt. Dabei berühren wir dann den Griff vom Einkaufswagen, den vorher tausende von Kunden angefasst haben. Dann greifen wir nach dem unverpackten Obst, das wir später vor dem Essen für zwei Sekunden symbolisch unter kaltes Leitungswasser halten. Haben Sie schon einmal gesehen, wie ein Mitarbeiter mit scharfem Reinigungsmittel die Griffe der Einkaufswagen reinigt? Ich in meinem ganzen Leben noch nie! In schwedischen Supermärkten werden die Einkaufswagen übrigens mitunter automatisch desinfiziert. Wie effektiv das ist, kann ich allerdings nicht sagen. Es ist wieder mal nur ein Sprühnebel.
Grundsätzlich gilt: Die meisten Atemwegsinfektionen werden nicht durch die Luft, sondern durch Schmierinfektion von Gegenständen über die Hände oder direkt von Hand zu Hand übertragen. Da beneide ich Kulturen, in denen man sich im Arbeitsleben zur Begrüßung freundlich voreinander verbeugt. Auch wenn das je nach hierarchischem Rang ganz schön auf die Bandscheiben gehen kann. Aber hygienischer ist es. Solange man nicht anfängt, die Füße zu küssen.
Demjenigen, dem es gelingt, uns Deutschen flächendeckend durch alle Branchen beizubringen, dass Hygiene keine Schande ist, dem küsse ich die Füße trotzdem.