Autos sind elektrisch, Armbanduhren sind Nachrichtenzentralen, Fernseher sind krumm. Aber es gibt einen Lebensbereich, da hat sich in der Vergangenheit wenig getan, obwohl er jeden Menschen täglich betrifft - die Toilette.
Die Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte:
1. Der sonderbare Flachspüler, bei dem über Wasser liegen bleibt, was eigentlich duftversiegelt unter die Wasseroberfläche gehört, stirbt in Deutschland langsam aus. Das ist gut, denn der Flachspüler hat das Image unseres schönen Landes unter Touristen empfindlich gestört.
2. Urinale funktionieren mittlerweile auch ohne Spülung. Zwar müssen die Herren nun beim Wasserabschlagen durch den Mund atmen, aber dafür sparen die Betreiber der Anlagen das Geld für die Wasserinstallation.
3. Der Klodeckel mit Soft-Absenkung, der leise und langsam nach unten gleitet. Seitdem knallt es in unseren Bädern erst so richtig laut. Denn viele Soft-Verwöhnte schubsen die Deckel in ihrem Trott auch dort an, wo sie noch klassisch ungebremst nach unten auf die Brille donnern. Das macht wach. Auch den Hotelzimmernachbarn.
4. Nach dem Händewaschen eröffnet sich mittlerweile eine neue Welt. Zum einen: der Handtuchspender ohne Anfassen. Der geht so: Erst hält man die nasse Hand vor das rote Lämpchen und wartet. Dann tippt man mit den frisch gewaschenen Fingern auf das rote Lämpchen. Und wartet. Dann schlägt man mit dem Handballen gegen die Lampe und wartet. Dann wischt man sich die Hände an den Oberschenkeln trocken. Und prompt brummt das Papier heraus.
5. Supergebläse. Dort steckt man seine Hand passgenau in einen toasterartigen Schlitz, es dröhnt und danach sind die Hände nicht mehr ganz so nass. Die Herausforderung: die Handflächen nicht an die Innenwände des Gerätes pusten lassen, damit die Hände keimfrei bleiben. Ein Nervenkitzel wie früher beim Spiel "Der heiße Draht". Erlebnisgastronomie! Die Dinger sind nicht umsonst Red-Dot-Design-prämiert.
Soweit zu den vergangenen 20 Jahren. Nun scheint sich 2015 plötzlich so viel zu tun wie seit Erfindung der WC-Ente nicht mehr.
Erstens dürfen Mieter offiziell im Stehen pinkeln. Wenn durch Urinspritzer der Fußboden um die Toilette herum angegriffen wurde, muss das in der Regel der Vermieter hinnehmen. Das hat das Amtsgericht Düsseldorf (männlicher Richter) jetzt entschieden.
Damit wurde der einzige nennenswerte biologische Vorteil des Mannes gegenüber der Frau weiter manifestiert. Wenn es einen einzigen vernünftigen Grund gibt für das, was Psychologen Penisneid nennen, dann findet man den im sanitären Bereich. Das fällt vor allem auf bei Musikfestivals, nach langen Flugreisen in der Ankunftshalle und in der Theaterpause - an den Schlangen vor den Damentoiletten.
Aber es ist nur fair. Männer haben eine kürzere Lebenserwartung als Frauen und müssen daher mit dem verbleibenden Kontingent haushalten. Hinsetzen ist reinster Zeitluxus, den kann sich eben nicht jeder leisten. Blinder Marmor am Boden um die Schüssel herum ist Ausdruck der Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit. Wer im Stehen pinkeln, der lebt bewusster. Und was bitteschön, liebe Damen, ist erotischer als ein selbstreflektierter Mann?
Problematisch ist zweitens höchstens mein Versuch, Leserinnen jetzt den Vorteil von Unisex schmackhaft zu machen. Das wird nämlich langsam salonfähig. Es geht um Klos ohne Geschlechtertrennung. Die sind in Deutschland nämlich im Kommen.
In Berlin etwa gehen die Bezirksverwaltungen mutig voran. Das geht. Denn die Arbeitsstättenverordnung schreibt lediglich vor, dass Toilettenräumen von beiden Geschlechtern getrennt aufgesucht werden können müssen. Das geht auch nacheinander. Indem man die Unisex-Toilette bei der Benutzung abschließt.
Potzblitz! Behörden rechnen vor: Die Umstellung kostet rund 100 Euro. Für die Montage des neuen Toiletten-Piktogramms für beide Geschlechter. Fertig!
Ein herrlicher Traum von Hygiene
Wenn hier überhaupt jemand meckern darf, dann Männer. Jede Reinigungskraft wird bestätigen: Die schmuddeligeren Toiletten sind in der Regel die von den Frauen. Aber uns Männern bleiben ja die Urinale. Und Betriebe, Behörden, Restaurants sparen Platz und Geld. Und wer Unisex-Toiletten absurd findet, der sei daran erinnert: Zuhause gilt seit jeher Unisex. Von Zügen, Flugzeugen und Fernbussen mal abgesehen.
Drittens tanken die Toilettenfrauen und -männer Selbstvertrauen. Dank des Mindestlohns. Nur wir Gäste brauchen Aufklärung: Beim Personal, das vor Toiletten etwa in Kaufhäusern das Schälchen mit dem Kleingeld bewacht und zwischendurch die Toiletten reinigt, gab es bislang Unklarheit. Waren sie nun Reinigungskräfte, die mit dem tarifvertraglichen Mindestlohn zu bezahlen waren?
Mitunter war die Rechtsprechung der Auffassung: Wer weniger als die Hälfte seiner Arbeitszeit putzte und überwiegend am Schälchen auf Spenden wartete, gehöre nicht dazu. In einzelnen Fällen wurde das Personal von den Reinigungsunternehmen aufgeteilt - in die Gruppe der Putzkräfte und die zur Bewachung des Tellers. Letztere wurden dann gerne mal mit Löhnen unter Mindestlohn abgespeist.
Jetzt gilt für alle zumindest der gesetzliche Mindestlohn. Der Bundesinnungsverband des Gebäudereeinigerhandwerks spricht ihnen allesamt sogar den tariflichen Mindestlohn zu, der im Westen bei 9 Euro 55 liegt (Ost: 8 Euro 50).
Damit dürfen auch wir Gäste aufatmen. Die Angestellten sind nicht von unseren Spenden abhängig. Sie sind nicht Bettler, sie sind Reinigungskräfte. So wie Supermarktkassierer auch nicht auf Spenden warten. Spenden Sie an der Eisdielentheke?
Der Mindestlohn stärkt die Position des Toilettenpersonals als Handwerkerinnen und Handwerker. Heute wie gestern bekommen sie übrigens in der Regel das gesammelte Kleingeld nicht direkt ausbezahlt. Und schon gar nicht komplett.
Je nach Sammelplatz wären sie sonst regelrechte Großverdiener, denn mitunter kommen an einigen Anlagen täglich Hunderte von Euro zusammen. Tatsächlich fließt das Geld oft in die Kassen der Reinigungsfirmen, die davon die Löhne bezahlen.
Eigentlich müssten wir Gäste den freiwilligen Obolus verweigern. Aus Respekt. Denn dann würden die Reinungsunternehmen Druck auf die Auftraggeber (Warenhäuser, Kinos, Restaurants, Diskos, Parteitage) machen, ihrerseits einen höheren Beitrag zu zahlen, ohne den von den Kunden einzufordern.
Und die wenig inspirierende Geldsammelei vor Kunden, die mit halb trocken geföhnten Händen in ihren Taschen beschämt nach Münzen suchen, hätte ein Ende. Es wäre Zeit für mehr Handwerk frei. Wie wäre es etwa im Winter mit Garderoben in Warenhäusern? Da kommt das Trinkgeld ganz nebenbei rein. Nur so eine Idee.
Was kommt als Nächstes? Materialforscher haben dieser Tage ihre neueste Errungenschaft vorgestellt. Einen Stoff, der Wasser regelrecht abstößt. Abperlen tut es ja schon von Teflon. Aber dazu muss man die Pfanne kippen. Beim neuen Material springt das Wasser von der ebenen Oberfläche regelrecht ab wie von der heißen Herdplatte.
Geplanter Einsatzort: der Sanitärbereich. Und damit wird plötzlich alles wunderbar einfach und ekelfrei. Im Stehen pinkeln, Unisex und danach reinigen: ein gemeinsamer herrlicher Traum von Hygiene. Wir leben in einer Übergangszeit. Unsere Enkel werden über unsere Probleme nur milde lächeln: Pipikram!