Werner knallhart

Deutsche sind heute angeblich unhöflicher. Wie schön!

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Eine Frage des Kodexes

All diese dämlichen Fragen erledigen sich, wenn man sich darauf einigt: Es geht nicht allein um Höflichkeit. Die allein zeigt keine Wertschätzung, die zeigt nur, ob sich jemand durch Abspulen von Ritualen der Etikette unterordnet, um nicht aufzufallen.

Steigt man in Deutschland in einen Aufzug, grüßt man die Person, die schon darin steht. Tut man das in Kasachstan, macht man sich zum Idioten. Dort grüßt man nur den, den man kennt. Nicht, weil man dort Fremde gerne kränkt, sondern weil Fremde zu grüßen nicht zum Kodex gehört. Alles nur eingeübt. Hier wie da.

Was das Miteinander ausmacht, ist doch echte Wertschätzung. Und zwar gegenseitige. Augenhöhe! Alte Menschen verdienen nicht mehr Höflichkeit als junge. Sie verdienen aber mehr Rücksichtnahme. Deshalb hält man einer älteren Person die Tür auf. Weil man es gut mit ihr meint. Weil da jemand Hilfe braucht. Und so stehen Erwachsene in der Bangkoker U-Bahn für Kinder auf. Weil es Sinn macht. Nicht nur, weil es sich so gehört.

Der Knigge fürs Großraumbüro
"Fenster zu!" Dem einen ist es zu kalt und zugig, dem anderen zu warm und stickig. Einer der Hauptstreitpunkte in Großraumbüros ist die Raumtemperatur. Das bestätigte auch eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa. Gut ein Viertel der Befragten gab an, dass es um die Temperatur im Büro immer wieder Diskussionen gibt. Da hilft nur, Frostbeulen und Kollegen mit Dauerhitzewallungen in getrennten Räumen unterzubringen. Quelle: dpa
Ein Mann und eine Frau reden in einem Büro Quelle: Rofeld Hempelmann
Meeting Quelle: Kzenon-Fotolia.com
Eine Frau telefoniert Quelle: Hanik - Fotolia.com
Ein Mann mit zugeklebtem Mund Quelle: Mirko Raatz - Fotolia
Eine Frau schreit aus einem Computer heraus Quelle: SnappyStock
Mann an einem Kopierer Quelle: Arne Pastoor - Fotolia

Aber Höflichkeit um der Höflichkeit willen? Das ist wie ein "Entschuldigung", das man auf der Anklagebank aufsagt, damit die Haftzeit kürzer ausfällt. Damit man fein dasteht.

Nichts stresst mich mehr, als Leute, die mir höflicherweise die Tür aufhalten, obwohl ich noch zehn Meter entfernt bin. Dann muss ich rennen. Weil ich ja nicht unhöflich sein und den Türhalter warten lassen will.

Kennen Sie auch die Situation in der S-Bahn: Eine Dame steigt ein und blickt sich vergeblich nach einem freien Sitzplatz um. Sie ist rund Ende Fünfzig - oder aber auch Anfang Siebzig bei guter Pflege. Aufstehen oder nicht? Meine Mutter war damals vielleicht Anfang Sechzig, als ihr ein junges Mädchen ihren Platz anbot. Meine Mutter war danach richtig geknickt. Ich redete ihr damals gut zu: "Die Kleine hatte doch nicht mehr alle Tassen im Schrank." Das tat meiner Mutter gut.

Ein Kollege von der EDV roch immer nach Schweiß. Keiner (mich eingeschlossen) hat ihm das gesagt. Aus Höflichkeit. Irgendwann nahm sich eine studentische Aushilfe ein Herz und sagte: "Weißt du eigentlich..." Nein, wusste er nicht. Er war zwar peinlich berührt, aber auch dankbar. Und roch ab diesem Tag stets wie der junge Frühling. Dank fehlender Höflichkeit.

Halten Sie mir gerne die Tür auf, wenn Sie mir wirklich helfen wollen. Aber nicht, wenn Sie nur nicht unhöflich sein wollen. Duzen Sie mich, solange das Ausdruck von Sympathie ist. Sagen Sie mir, wenn ich Spinat zwischen den Zähnen habe, weil Sie finden, dass ich mich nicht noch weitere zwei Stunden beim Lächeln blamieren sollte. Echte Anteilnahme nehme ich gerne an.

"Fresse bitte". Stefan war unhöflich. Aber wir haben uns damals weggeschmissen vor Lachen. Bei unseren Lehrern haben wir "Fresse bitte" nur gedacht. Ob die davon profitiert haben? Ich sage: nein.

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