Werner knallhart

Neuer US-Kaffeetrend: Die total verrückte Filter-Show

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Kaffee mit viel Gebrüll

Schritt 2: die Snacks und Bezahlen

Aha. An der Kasse sucht man sich also dann das Essen aus: Kürbiskuchen, Croissant, Quiche, Scone, Toast mit Avocadocreme, Granola-Müsli, so was. Dann bezahlt man und nennt seinen Vornamen. Während ich das mit der Kassiererin erledige, wird am Kaffeetresen schon der Filterkaffee hergestellt. Das Prinzip: One Cup at a Time. Jede Tasse wird frisch aufgebrüht. Warmhalte-Kannen gibt es nicht. Der Barista (alles Jungs und Mädels im Erstsemster-Alter) schippt ein Häuflein Bohnen aus dem Fass mit der Sorte der Wahl in die Mühle. Dann faltet er einen Papierfilter in einen löchrigen Metallzylinder und stellt diesen auf einen Ständer, der Platz bietet für rund 12 solcher Zylinder nebeneinander. Dann füllt er das frische Kaffeemehl in den Filter und gießt heißes Wasser drüber, bis ein dampfender Schaum hochkommt. Dann läuft der Kaffee durch den löchrigen Zylinder in den darunter gestellten Pappbecher (Steingut ist Philz fremd). Jeder Barista betreut vier Filter und rührt mal hier mal da im heißen Schaum.

Das laute Fauchen von Espresso-Maschinen entfällt. Dafür wird sehr viel geschrien.

Schritt 3. Der Schrei

Denn nun wartet man nun auf das Gebrüll, das einem signalisiert, dass sein unter Schritt 1 georderte Kaffee fertig ist. "Large Julie's Ultimate Medium sweet Soyyyy", dröhnt ein Barista. "Small Greater Alarm skimmed milk!", kräht eine kleine Barista mit Kinderstimme. Das ist meiner. Ich sehe noch, wie sie meinen Kaffee in einen anderen Becher umfüllt und wieder zurück. Soll der Kaffee atmen oder abkühlen? Wurscht. Mein Becher ist randvoll. Ich soll ihn probieren."Make sure it's perfect", säuselt die kleine Frau. So steht es wortwörtlich auch auf der Tafel. Und ich denke mir: "Ist es nicht ihr Job, das sicher zu stellen?" Ich nippe, verbrenne mir die Zungenspitze, lächele anerkennend (das deutsche Pendant zum amerikanischen "Awesome!") und balanciere den Becher zum Tisch. Doch da kommt schon Schritt 4.

Schritt 4. Essen abholen

Von der Kasse schallt es: "Marcus! Your toast with avocado and your butter croissant. Marcus!" Und ich frage mich: Wozu brauchen die meinen Namen, wenn sie doch meine ganze Bestellung durch die Gegend rufen? Naja. Ich laufe wieder los. Jetzt ist alles da. Ich habe gut funktioniert. Ich bin jetzt irgendwie ein bisschen Philz. Wie alle anderen, die Hippen, die um mich herum Kaffee nippen, gedankenversunken auf den Stühlen wippen und auf ihren MacBooks tippen.

Schritt 5. Kaffee mit Tafel abgleichen

Ich nippe und drehe mich zur Tafel um. "Greater Alarm: Nüsse, Beeren, Ananas". Ich schlürfe, schmatze, schlucke. Nüsse? Eindeutig. Beeren? Ich denke an Brombeeren und schmecke kurz etwas brombeeriges. Ananas? Hmm. Nicht den Hauch. Aber macht nichts. Bei einer Weinprobe schmeckt ja auch jeder was anderes.

Kaffeearoma statt der Milchorgie aus dem letzten Jahrtausend. In Berlin versuchen einige Kaffee-Hipster ja auch schon, den Filterkaffee zu reaktivieren. Aber viel zu bescheiden und inkonsequent, als kleiner Nischengag neben den Macchiatos. Ich stecke mir meine Kopfhörerstöpsel in die Ohren, beiße in mein Avocado-Toast und frage mich: "Geht Filterkaffee aus zwanzig Sorten auch ohne das Barista-Gezeter durch den ganzen Laden?" Wenn ja, dann stehen den Milchaufschäumern in deutschen Großstädten womöglich unsichere Zeiten bevor. Und vielleicht trinken wir im Jahr 2030 ja auch bei Karstadt Filterkaffee mit frischer Minze. Oder wir denken uns mal was Eigenes aus.

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