Werner knallhart

Moral in Serien: spritzendes Blut hui, nackte Haut pfui

Warum darf der Serienheld anderen in Nahaufnahme die Gehirnmasse an die Wand schießen, aber wenn er und seine Freundin im Bettchen kuscheln, dreht die Kamera ab? Nackt sein ist tabu, Gewalt-Szenen werden gefeiert. Ist das eine nur allzu menschliche Moralvorstellung?

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Ich denke einfach mal laut: Wenn im realen Leben hier bei uns im freien Westen eine junge Frau ihrer besten Freundin sagt: „Und dann habe gestern noch schön mit meinem Mann geschlafen“, was wird das wohl in der besten Freundin auslösen? Freude für die andere, vielleicht Eifersucht. Die Polizei hätte sie aber wohl nicht gerufen. Weil einvernehmlicher Sex ja durchaus zu begrüßen ist.

Hätte die junge Frau ihrer Freundin bei Erdbeerkuchen erzählt: „Du, übrigens, gestern habe ich meinem Schatz hinterrücks mit dem Brotmesser die Halsschlagader aufgeschnitten. Mann, Mann, Mann, das war vielleicht was“ - die beste Freundin hätte doch allen Grund dazu gehabt, mal ernsthaft nachzufragen, was das denn sollte. Dass am Ende die Polizei ein Wörtchen mitreden würde, ist zumindest sehr wahrscheinlich.

Kurz gesagt: Sex: gut. Gewalt: schlecht. Im wahren Leben. Dann aber frage ich mich: Warum ist das dann in Serien und Spielfilmen anders?

Ich erinnere mich an eine Szene bei Breaking Bad. Da wird der Inhaber eines Fastfood-Restaurants, Gustavo Fring, der im Hintergrund Teil eines gigantischen Drogenringes ist, Opfer eines Bombenanschlages. Schon mehrfach war er vorher Zielscheibe, und weil er zu den Bösen gehört, ist man als Zuschauer auf der Seite der Attentäter, der Serienhelden.

Die Bombe explodiert, man hört es knallen, da tritt das Anschlagsopfer plötzlich aus dem Staub in den Flur und zuppelt sich die Krawatte zurecht. Und man denkt: Verdammt, der alte Glückspilz ist nicht tot zu kriegen. Da fährt die Kamera langsam um ihn herum, man sieht die andere Seite seines Schädels - und blickt in seine leer gebombte rechte Augenhöhle, seine rechte Wange fehlt, die Zähne liegen frei, da fällt er tot zu Boden.

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Ich erinnere mich noch an den Abend, als ich die Szene mit Freunden zusammen gesehen habe: Wir blickten uns danach geschockt an und mussten anerkennend nicken. Diese Szene hatte gesessen.

Es ist ja unumstritten: Selbst der allsonntägliche Tatort profitiert davon, dass sich die Zuschauer an Mord und Totschlag ergötzen. Weil es so schön ist, dass es einem selber besser geht als den Opfern im Film. Das Leid der anderen als Unterhaltung.

Das ist das Prinzip von jedem Thriller, jeder Krimiserie. In modernen Serien muss es dann perfekt aussehen, wie die Klinge des Messers die Haut aufschneidet. Rausgeschlagene Zähne werden ausgespuckt, bei Schlägereien hört man die Knochen brechen wie Karotten, Arme und Beine werden perfekt per Computer retuschiert, so dass sie aussehen wie abgeschnitten oder weggeschossen, in Folterszenen werden Fingernägel gezogen und Rücken gepeitscht, bis das Blut spritzt. Wenn Film-Leichen lange unentdeckt in Kofferräumen herumliegen, dann erklingt zum Anblick des schwarz-blau-braun verwesten Fleisches noch das Summen der Schmeißfliegen drum herum. Gedärm hängt heraus, Splitterbrüche ragen aus der Haut, Hirnmasse läuft die Wand herunter. Perfekte Inszenierung. Vom Echten nicht zu unterscheiden.

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