Werner knallhart

Moral in Serien: spritzendes Blut hui, nackte Haut pfui

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Nacktsein ist erst als Leiche erlaubt

Wenn wir es aber akzeptabel finden, uns durch eine solche Darstellung von Gewalt zu ergötzen, warum ist es dann so unmoralisch, sich am Liebesleben anderer zu erfreuen?

Warum darf der Schauspieler meist erst dann nackt sein, wenn er als aufgedunsene Wasserleiche aus dem See gezogen wird?

Wenn Filmhelden aber aus dem Bett steigen, halten sie sich ungelenk die Bettdecke vor die Hüfte, im Badezimmer ist immer die Duschkabine beschlagen und kopuliert wird in Unterwäsche oder unter der Decke. Hier wird der Bruch mit der Wirklichkeit in Kauf genommen. Nicht, dass das nicht zu ertragen wäre. Ich frage mich nur: Warum darf es eigentlich ausgerechnet hier so unrealistisch sein?

Nun könnte man sagen: Ich lege keinen Wert darauf, im Kino oder bei Netflix nackte Geschlechtsteile zu sehen. Aber legen Sie denn wert darauf, halb weg geschossene Gesichter zu sehen? Manchmal sind weggeschossene Gesichter dramaturgisch sinnvoll. Kann nackte Haut es nicht auch sein? Warum ist es legitim, beim Zuschauer das Gefühl von Angst, Ekel, Wut und Hass auszulösen, nicht aber das Gefühl sexueller Erregung?

Ist es verwerflicher, beim Zuschauer das Gefühl auszulösen von „oh, sehr erotisch, das würde ich jetzt auch gerne erleben“, als in einer Kochshow das Gefühl von „oh, sehr lecker, das würde ich jetzt auch gerne essen“?

Der Vorwurf an die Porno-Industrie, sie würde gerade jungen Zuschauern ein verzerrtes Frauenbild vermitteln, sie würde den Zuschauern Komplexe einhandeln, wenn sie die sportlichen Vorzeige-Körper mit ihren eigenen vergleichen, sie würde viele abstumpfen lassen, die Erwartungen an ihr eigenes Sexualleben zu hoch schrauben und es damit ruinieren, das ist ja bestimmt völlig richtig. Von den widrigen Bedingungen für die Darsteller einiger Produktionen mal ganz abgesehen.

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Aber wo gibt es denn eine Auseinandersetzung im Film mit Erotik und Sex außer in den diversen billigen XXX-Seiten im Internet?

Wäre es nicht schöner, wir würden in den hochwertigen Mainstream-Filmen und -Serien unsere Haltung zu Nacktszenen etwas entspannen und den Produzenten die Chance geben, Körperlichkeit genauso echt zu inszenieren wie alles andere? Das heißt ja nicht wildes Treiben von Minute eins bis zum Abspann. Sondern dort, wo es einfach gut passt, um die Geschichte aufzuwerten.

Dass Gewalt salonfähig ist, Sex aber als Schmuddelkram gilt, das ist doch wirklich seltsam. Und schade.

Ja, Sex ist etwas sehr Privates. Aber von Geschichten, die das Private erzählen, leben doch die Serien gerade. Hätten die vielen gut gemachten Serienproduktionen die Chance, einfach ganz souverän Erotik aus dieser Pfui-Ecke zu holen, was wäre das für ein Gewinn für eine sonst so aufgeklärte Gesellschaft, in der man heute in der Kantine ohne Hemmungen über seine hartnäckige Nasennebenhöhlenentzündung sprechen kann, seinen Knutschfleck aber unter einem Schal verstecken muss.

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