Werner knallhart

Neuer US-Kaffeetrend: Die total verrückte Filter-Show

Was kommt gut 20 Jahre nach dem Siegeszug der Latte Macchiato? In den USA erlebt der Filterkaffee eine Renaissance. Aber natürlich nicht einfach so. Sondern als ganz wichtiger Lifestyle. Was kommt da auf uns zu?

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Quelle: dpa

Ich mag die Amerikaner. Und wir können froh sein, dass diese Weltmacht uns so ähnlich ist, dass wir sie intuitiv an unseren europäischen Maßstäben messen. Auch wenn wir dann manchmal den Kopf schütteln, Stichwort Trump. Oder schmunzeln müssen, Stichwort Filterkaffee. Denn eins muss man den Amis lassen: Sie probieren sich aus.

Was hat sich für uns Deutsche in Sachen Kaffee in den letzten Jahren Neues getan, außer dass Kuhmilch erst durch Sojamilch ersetzt wurde, dann Sojamilch durch diese Mandelmilch? 

Dass es heute im Karstadt-Restaurant zusätzlich zum "Pott Kaffee" auch "Kaffeespezialitäten" gibt, verdanken wir letztendlich der Kaffee-Revolution von Starbucks aus Seattle. Deutsche Teenager haben sich im vergangenen Jahrzehnt eine Starbucks-Filiale in ihrer Heimatstadt herbeigesehnt, wie wir in den 90ern eine Filiale von H&M.

Mythen rund um Kaffee
Kaffee Quelle: dpa
Kaffee-Filter Quelle: dpa
Kaffee Quelle: dpa
Kaffeetasse und Kaffeebohnen Quelle: dpa
Gerücht: Kaffee schadet dem HerzenDieses Gerücht scheint falsch zu sein, denn viele Studien ergaben sogar das Gegenteil: So fanden Forscher der Universität Utrecht heraus, dass täglich zwei bis vier Tassen Kaffee das Risiko eines Herzinfarkts um bis zu 20 Prozent senken können. Südkoreanische Wissenschaftler erklärten zudem, dass wenige Tassen am Tag verstopfte Arterien verhindern können. Auch ihre Forschungsergebnisse zeigten, dass Testpersonen, die drei bis fünf Tassen Kaffee pro Tag tranken, deutlich seltener unter Vorzeichen von Herzkrankheiten litten. Quelle: dpa
Gerücht: Kaffee schützt vor DiabetesZumindest senkt Kaffeekonsum das Diabetes-Risiko. Dies hat eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung ergeben. Bei täglich über vier Tassen Kaffee lässt sich das Diabetes-Risiko um ein Viertel senken. Quelle: dpa
Gerücht: Kaffee ist das beliebteste Getränk beim ersten DateTatsächlich geht mit 73,3 Prozent die Mehrheit der Deutschen beim ersten Date einen Kaffee trinken. Dies hat eine Umfrage der Online-Partnervermittlung ElitePartner ergeben. Essen gehen liegt mit 72,1 Prozent knapp dahinter. Nur 5,4 Prozent treffen sich beim ersten Date direkt zu Hause. Quelle: Fotolia

Aber mittlerweile ist es langweilig. Da muss was Neues kommen. Und es sieht so aus, als wenn wieder Amerika den neuen Trend lostritt: Cafés ohne Espresso, Latte, Cappuccino!

Da ist zum Beispiel Philz Coffee, eine kleine Kette mit Filialen in San Francisco, L. A. und Washington D. C.

Einfach auf die Tür zu schreiben "Hier kein Espresso", wäre natürlich zu wenig gewesen. Aber aus Mücken Elefanten machen, das tun die Amerikaner ja mit ungebremstem Enthusiasmus. Sie verpacken ein schnödes Konsum-Produkt mit einer faszinierenden Lifestyle-Aussage und haben damit immer wieder weltweiten Erfolg: Coca-Cola, Apple, Starbucks. Im Restaurant mit den Fingern zu essen, das war in den 70er-Jahren revolutionär: McDonald's war Avantgarde.

Und so inszeniert Philz Coffee seinen Filterkaffee zum mit Liebe und Mühe kreierten Genussmittel für Leute, die Kaffee schätzen können. Und ihn nicht in Milch untergehen lassen wollen.

Und all das funktioniert nicht ohne Show. Es braucht das Philz-Coffee-Prinzip. Die Kunden müssen mitspielen. Und das tun sie gerne. Denn sie sind ja Kaffee-Liebhaber - so wie die  Philz-Mitarbeiter. Wer das Theater mitträgt, wird Teil der großen Sache.

Was Ihr Kaffee-Geschmack über Sie aussagt
Wie trinken Sie Ihren Kaffee? Quelle: dpa
Schwarztrinker Quelle: dpa
Milchtrinker (Personen, die ihrem Kaffee Milch, Sahne und Zucker hinzufügen) Quelle: dpa
Frozen-Coffee-Trinker Quelle: dpa
Frozen-Coffee-Trinker Quelle: AP
Sojamilch und sonstige Extras Quelle: dpa
Journalisten warten auf den Beginn einer Pressekonferenz Quelle: AP

So, wie man bei Apple einen Termin vereinbart, um sich ordentlich im Store beraten zu lassen. So wie man bei McDonald's bei der Bestellung den Katalog runter rappelt, um Gegenfragen zu verhindern: mittel, ohne Eis, mit Ketchup, zum Mitnehmen.

Ich habe Philz in Washington ausprobiert. Dort funktioniert das Procedere so: 

Schritt1. Die Auswahl der Bohnen

"What can I get you, sir?" Alle Sorten werden von Philz selber geröstet. Und es sind über - Achtung! - zwanzig Varianten, unterteilt in dunkle Röstung, mittelstarke Röstung, milde Röstung und koffeinfrei. Die Sorten heißen teilweise einfach "Aromatic Arabic" oder "Dark French", andere nennen sich "Ambrosia Coffee of God", "Dancing Water", "Sooo Good" oder "Greater Alarm". Hinter jeder Sorte steht auf den großen Tafeln je drei Geschmacks-Attribute. Die Sorte "Jacob's Wonderbar" etwa soll nach Schokolade, Nüssen und Nelke schmecken, "Philharmonic" nach Kardamom, Zimt und Pflaume.

Wohl gemerkt: Keins der Aromen wird als Sirup aus Flaschen reingepumpt. Das Nuss-Aroma etwa entsteht durch eine Röstung mit etwas Nuss-Öl. Kardamom kommt ebenfalls bei der Röstung hinzu. Alle anderen Aromen stammen aus den Kaffeebohnen selber. Und bei "Tantalizing Turkish" kommt am Ende noch ein Zweig frischer Minze in den fertig aufgebrühten Kaffee.

Ich wähle die Kaffeebecher-Größe, die Milchsorte (aus Kuh, Soja, Fettstufe und Süßungsgrad) und gehe vor an die Kasse.

Kaffee mit viel Gebrüll

Schritt 2: die Snacks und Bezahlen

Aha. An der Kasse sucht man sich also dann das Essen aus: Kürbiskuchen, Croissant, Quiche, Scone, Toast mit Avocadocreme, Granola-Müsli, so was. Dann bezahlt man und nennt seinen Vornamen. Während ich das mit der Kassiererin erledige, wird am Kaffeetresen schon der Filterkaffee hergestellt. Das Prinzip: One Cup at a Time. Jede Tasse wird frisch aufgebrüht. Warmhalte-Kannen gibt es nicht. Der Barista (alles Jungs und Mädels im Erstsemster-Alter) schippt ein Häuflein Bohnen aus dem Fass mit der Sorte der Wahl in die Mühle. Dann faltet er einen Papierfilter in einen löchrigen Metallzylinder und stellt diesen auf einen Ständer, der Platz bietet für rund 12 solcher Zylinder nebeneinander. Dann füllt er das frische Kaffeemehl in den Filter und gießt heißes Wasser drüber, bis ein dampfender Schaum hochkommt. Dann läuft der Kaffee durch den löchrigen Zylinder in den darunter gestellten Pappbecher (Steingut ist Philz fremd). Jeder Barista betreut vier Filter und rührt mal hier mal da im heißen Schaum.

Das laute Fauchen von Espresso-Maschinen entfällt. Dafür wird sehr viel geschrien.

Schritt 3. Der Schrei

Denn nun wartet man nun auf das Gebrüll, das einem signalisiert, dass sein unter Schritt 1 georderte Kaffee fertig ist. "Large Julie's Ultimate Medium sweet Soyyyy", dröhnt ein Barista. "Small Greater Alarm skimmed milk!", kräht eine kleine Barista mit Kinderstimme. Das ist meiner. Ich sehe noch, wie sie meinen Kaffee in einen anderen Becher umfüllt und wieder zurück. Soll der Kaffee atmen oder abkühlen? Wurscht. Mein Becher ist randvoll. Ich soll ihn probieren."Make sure it's perfect", säuselt die kleine Frau. So steht es wortwörtlich auch auf der Tafel. Und ich denke mir: "Ist es nicht ihr Job, das sicher zu stellen?" Ich nippe, verbrenne mir die Zungenspitze, lächele anerkennend (das deutsche Pendant zum amerikanischen "Awesome!") und balanciere den Becher zum Tisch. Doch da kommt schon Schritt 4.

Schritt 4. Essen abholen

Von der Kasse schallt es: "Marcus! Your toast with avocado and your butter croissant. Marcus!" Und ich frage mich: Wozu brauchen die meinen Namen, wenn sie doch meine ganze Bestellung durch die Gegend rufen? Naja. Ich laufe wieder los. Jetzt ist alles da. Ich habe gut funktioniert. Ich bin jetzt irgendwie ein bisschen Philz. Wie alle anderen, die Hippen, die um mich herum Kaffee nippen, gedankenversunken auf den Stühlen wippen und auf ihren MacBooks tippen.

Schritt 5. Kaffee mit Tafel abgleichen

Ich nippe und drehe mich zur Tafel um. "Greater Alarm: Nüsse, Beeren, Ananas". Ich schlürfe, schmatze, schlucke. Nüsse? Eindeutig. Beeren? Ich denke an Brombeeren und schmecke kurz etwas brombeeriges. Ananas? Hmm. Nicht den Hauch. Aber macht nichts. Bei einer Weinprobe schmeckt ja auch jeder was anderes.

Kaffeearoma statt der Milchorgie aus dem letzten Jahrtausend. In Berlin versuchen einige Kaffee-Hipster ja auch schon, den Filterkaffee zu reaktivieren. Aber viel zu bescheiden und inkonsequent, als kleiner Nischengag neben den Macchiatos. Ich stecke mir meine Kopfhörerstöpsel in die Ohren, beiße in mein Avocado-Toast und frage mich: "Geht Filterkaffee aus zwanzig Sorten auch ohne das Barista-Gezeter durch den ganzen Laden?" Wenn ja, dann stehen den Milchaufschäumern in deutschen Großstädten womöglich unsichere Zeiten bevor. Und vielleicht trinken wir im Jahr 2030 ja auch bei Karstadt Filterkaffee mit frischer Minze. Oder wir denken uns mal was Eigenes aus.

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