Ein Bekannter, der aus New York stammt, aber seit einigen Monaten in Berlin lebt und arbeitet, sagte mir vor einigen Tagen: „Nächste Woche Dienstag kann ich abends nicht. Da ist Valentinstag.“
Und ich befürchte, mein Mienenspiel konnte für einen Bruchteil einer Sekunde nicht verbergen, dass ich dies für eine ziemlich bekl..., na, sagen wir putzige terminliche Verpflichtung hielt. „Morgen ist Valentinstag“, klingt in meinen Ohren wie: „Morgen ist der 'Internationale Tag des Apfels'.“
Aber dann fiel mir ein: Na klar, der Mann ist Ami. Seit englische Einwanderer den Valentinstag nach Amerika eingeschleppt haben, geht es in den USA an jedem 14. Februar rund. Tonnen von Schokolade wandern da von den Schachteln auf die Hüften und Tausende Tonnen Blumen werden extra deswegen abgeerntet, in Vasen gesteckt, dann in Folie gewickelt, daheim wieder ausgewickelt, in Vasen gesteckt und schließlich weggeschmissen. Und ich weiß nicht, wie viel mehr Wälder in den USA noch stünden, wenn die Bäume ihr Leben nicht für das Papier einer Unzahl von hübsch geschmückten Liebesbriefen hätten lassen müssen.
Recht einfach: Rechtsprechung zum Thema Valentinstag
Nicht nur für Blumenläden, auch für Süßwarenhersteller ist der Valentinstag wichtig. Ein Antragsteller wollte sich deshalb die Marke „Valentin“ sichern und diese für Torten, Pralinen und Schokolade exklusiv verwenden. Ohne Erfolg. Der Zusatz „Valentin“ deute auf ein „Geschenk oder Mitbringsel zum Valentinstag“ hin, sei aber kein betrieblicher Herkunftshinweis, urteilten die Richter am Bundespatentgericht (25 W (pat) 44/11).
Ein Ex-Moderator der Unterhaltungsshow „Wetten, dass..?“ wies während einer Sendung mehrfach auf den Valentinstag hin. Eine Zeitschrift sah einen möglichen Zusammenhang zwischen Moderation und einer Kooperation mit einem Blumenversand. Verdacht: Schleichwerbung. Der Moderator wies die Vorwürfe zurück, wollte sein Dementi aber nicht zitieren lassen. Nach der Veröffentlichung des Artikels verlangte er eine Gegendarstellung. Obwohl er auf sein Recht auf Stellungnahme zuvor verzichtet hatte, bekam er die nachträgliche Richtigstellung zugesprochen (Landgericht Hamburg, 324 O 116/13).
Ein Geschäft zeigte sich am Valentinstag von seiner großzügigen Seite: Es versprach seinen Kunden, die eine Kundenkarte hatten, einen Gutschein über zehn Euro. Einen Konkurrenten störte dies. Er zog vor Gericht und unterband die Avancen. Eine solche Werbung sei nur zulässig, wenn direkt „die Einzelheiten und Bedingungen der Inanspruchnahme des Gutscheins“ angegeben würden, urteilten herzlose Richter (Landgericht Arnsberg, 9 O 18/11).
Finden Sie mich unromantisch? Finden Sie Liebesbekundungen nach Vorgabe durch den Kalender romantisch? Mein iPhone zeigt am 14.02. einen automatischen Termin an. Ich denk: Was ist denn da? Drücke drauf: Valentinstag.
Ist ja auch ein amerikanisches Telefon. Der Tag hat im angelsächsischen Raum eine Jahrhunderte lange Tradition. Wo der Tag seinen Ursprung hat, ist mal wieder umstritten. Womöglich im Gedenken an einen Priester namens Valentin, der in Südeuropa vor knapp 2000 Jahren heimlich Liebespaare getraut hat, die eigentlich nicht zusammen sein durften. Ich will sie nicht mit Details langweilen, zumal ich keine kenne. Aber so wurde Valentin wohl zum Patron der Liebenden. Und sein Gedenktag zu einem weiteren Feiertag der Süßwarenindustrie.
Bei uns hier zunächst nicht. Mittlerweile aber schon so ein bisschen. Und jetzt die Frage: Dürfen wir uns diesem komischen Valentinstag hingeben, obwohl uns dieser Brauch von der Schokoladen- und Schnittblumen-Branche aufgedrängt wurde?
Zunächst einmal ist es nicht der erste Brauch, den wir aus dem Ausland kopiert haben. Hitler-Fans, die glauben, der Muttertag sei auf des Führers Mist gewachsen, irren mal wieder. Die Idee, der Mama in den ersten Jahren aus Dankbarkeit für alles eine selbst gemachte Laubsägearbeit auf den Frühstückstisch zu legen und in späteren Jahren einen Blumenstrauß per Fleurop vorbei zu schicken, ist inspiriert von der Idee der Amerikanerin Anna Marie Jarvis, die sich in den USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts ganz ohne kommerziellen Hintergedanken etablierte. Die Nazis erweiterten den Muttertag dann um ihr eigenes Bild von der guten Mutter als Garantin der „germanischen Herrenrasse“: Oben rum lecker kochen, unten rum schön viel gebären.
Großgemacht wurde der Tag in Deutschland aber schon in den 20er-Jahren von den deutschen Blumenhändlern, die die amerikanische Idee dankbar aufgriffen.
In Saudi-Arabien ist der Valentinstag verboten
Oder Halloween: Als junger Redakteur war ich Anfang des Jahrtausends nicht unmaßgeblich daran beteiligt, den entgeisterten Zuschauern von Europas erfolgreichstem Kindersender Super RTL die Vorzüge eines total verrückten US-Feiertages für Kinder zu erläutern, an dem man gruselig verkleidet an Haustüren massenhaft Süßigkeiten erpresst. Heute habe ich Angst, dass mir so ein aufgedrehtes Jüngelchen mal wieder Zahncreme ans Klingelschild schmiert, nur weil ich an Halloween nicht devot mit Mars und Duplo parat stehe.
Anders herum sind wir Deutschen regelrecht Export-Weltmeister, was Bräuche angeht. Und ich rede nicht nur vom Oktoberfest. Ob in den USA, Chile, Sri Lanka oder Thailand: Nirgends gibt es den Dezember ohne den Weihnachtsbaum, einem Designartikel-Klassiker engineered in Germany. Obwohl zum Beispiel die meisten Thailänder als Buddhisten sicherlich weder wissen, woher der Weihnachtsbaum kommt, noch, was an Weihnachten eigentlich genau gefeiert wird. Dort ist die Weihnachtszeit im Wesentlichen eben die Zeit der Zimt-Cappuccinos unter roten Girlanden bei Starbucks mit Plastiktanne. Man macht mit, was Spaß macht. Inspiriert von Starbucks und Co. Weil es einfach mal was anderes ist.
Ist das peinlich? Nein, es ist höchstens unbekümmert konsumfreudig. Aber passt unbekümmert konsumfreudig wiederum zum Valentinstag als dem romantischen Tag der Liebenden? Nein, finde ich. Aber vielleicht bin ich einfach nicht unbekümmert genug. Romantik nach Terminlage ist für mich ein unüberwindbarer Widerspruch in sich.
Da wirft man dann noch eben eine Schachtel Schokolade in den Einkaufswagen, die das ganze Jahr im Supermarkt zu haben ist, aber in diesen Tagen irgendwo quer ein Herz auf dem Deckel kleben hat, oder wahlweise Weingummi, Badeperlen und Bier in ähnlicher Herzchen-Saisonverpackung. Naja.
Und trotzdem nehme ich hin, dass der Valentinstag gefeiert wird. Denn: Was soll denn sonst noch kommen? Kirchliche Feiertage verlieren an Bedeutung, muslimische Feiertage werden sich wohl so schnell nicht ins Herz der großen Mehrheit hierzulande schmeicheln. Wer sein Alltags-Leben ein bisschen mehr aufpeppen will, nimmt Valentin und Halloween mit Kusshand, vielleicht kriegen die Bierbrauer ja auch noch den St. Patrick's Day durch, der Lebensmittelhandel Erntedank als Schlemmer-Sause, die Fischindustrie und die Spirituosenhändler den Midsommar Mitte Juni. Wenn es den Leuten Spaß macht...
Und wer denkt: Was soll denn dieser unchristliche Konsumterror, der sehe es doch mal so: In Saudi-Arabien ist der Valentinstag verboten. Obwohl auch viele Menschen im arabischen Raum den Valentinstag mögen.
Bei uns darf jeder so, wie er will. Der Valentinstag ist also nicht nur ein Romantik-auf-Knopfdruck-Tag, der der Industrie Geld in die Kassen spült. Er ist ein herzrotes Symbol für eine offene Gesellschaft, in der Leute gut bei anderen tolerieren können, was sie für sich selber ablehnen. So gesehen mag ich den Valentinstag. Und nehme mir feierlich die Freiheit, ihn zu ignorieren.