Werner knallhart

Sollten wir den Valentinstag boykottieren?

Es ist doch typisch grüblerisch deutsch: Das ungute Gefühl, das aufsteigt, wenn wir uns gegen alle Traditionen von der Industrie alberne neue Feiertage reinwürgen lassen. Aber es gibt tatsächlich gute Gründe für diesen unsäglichen Kitschtag.

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Ein rotes Herz in einem Strauß roter Rosen Quelle: dpa

Ein Bekannter, der aus New York stammt, aber seit einigen Monaten in Berlin lebt und arbeitet, sagte mir vor einigen Tagen: „Nächste Woche Dienstag kann ich abends nicht. Da ist Valentinstag.“

Und ich befürchte, mein Mienenspiel konnte für einen Bruchteil einer Sekunde nicht verbergen, dass ich dies für eine ziemlich bekl..., na, sagen wir putzige terminliche Verpflichtung hielt. „Morgen ist Valentinstag“, klingt in meinen Ohren wie: „Morgen ist der 'Internationale Tag des Apfels'.“

Aber dann fiel mir ein: Na klar, der Mann ist Ami. Seit englische Einwanderer den Valentinstag nach Amerika eingeschleppt haben, geht es in den USA an jedem 14. Februar rund. Tonnen von Schokolade wandern da von den Schachteln auf die Hüften und Tausende Tonnen Blumen werden extra deswegen abgeerntet, in Vasen gesteckt, dann in Folie gewickelt, daheim wieder ausgewickelt, in Vasen gesteckt und schließlich weggeschmissen. Und ich weiß nicht, wie viel mehr Wälder in den USA noch stünden, wenn die Bäume ihr Leben nicht für das Papier einer Unzahl von hübsch geschmückten Liebesbriefen hätten lassen müssen.

Recht einfach: Rechtsprechung zum Thema Valentinstag

Finden Sie mich unromantisch? Finden Sie Liebesbekundungen nach Vorgabe durch den Kalender romantisch? Mein iPhone zeigt am 14.02. einen automatischen Termin an. Ich denk: Was ist denn da? Drücke drauf: Valentinstag.

Ist ja auch ein amerikanisches Telefon. Der Tag hat im angelsächsischen Raum eine Jahrhunderte lange Tradition. Wo der Tag seinen Ursprung hat, ist mal wieder umstritten. Womöglich im Gedenken an einen Priester namens Valentin, der in Südeuropa vor knapp 2000 Jahren heimlich Liebespaare getraut hat, die eigentlich nicht zusammen sein durften. Ich will sie nicht mit Details langweilen, zumal ich keine kenne. Aber so wurde Valentin wohl zum Patron der Liebenden. Und sein Gedenktag zu einem weiteren Feiertag der Süßwarenindustrie.

Die populärsten Irrtümer über die Liebe
Eine Frau zerreißt ihr Hochzeitsfoto Quelle: dpa
Liebe auf den ersten BlickGerade im Frühling spannt Amor seinen Bogen und zielt auf Männlein und Weiblein. Trifft er, entflammen die Herzen der Getroffenen und sie leben ab da glücklich bis an ihr Lebensende. So zumindest der Volksmund. Alles Blödsinn, sagt dagegen die Wissenschaft. Die Liebe auf den ersten Blick ist eine Erfindung Hollywoods, schreibt Christian Thiel, Autor des Buches „Wieso Frauen immer Sex wollen und Männer immer Kopfschmerzen haben “. Das, was wir für Liebe auf den ersten Blick halten, ist nur eine Mischung aus erotischer Anziehung und dem schönen Gefühl, begehrt zu werden. Es handelt sich also um Erotik auf den ersten Blick. Quelle: obs
Sozialer aufstieg durch Heirat Quelle: dpa
Immer mehr Singles Quelle: dpa
Rollenverteilung beim FlirtenBeim Flirten oder der Partnersuche ist der Mann der Jäger und die Frau das Wild, das es zu erlegen gilt, so zumindest die landläufige Meinung. Dabei wählen Männer ihre Beute nicht aus, sie werden ausgewählt, wie Paarberater und Buchautor Christian Thiel schreibt. Frauen werben um Männer mit nonverbalen Signalen und machen so den ersten Schritt: Sie schauen ihn an, lächeln ihm zu und signalisieren ihm somit, dass er sie ansprechen darf beziehungsweise soll. Folgt er der Aufforderung, macht er damit den zweiten Schritt. Quelle: dpa
Schönheit ist Trumpf Quelle: dpa
Beziehungen sind harte ArbeitHat man sich dann endlich gefunden, bleibt die Beziehung nur bestehen, wenn man viel harte Arbeit investiert. Beziehungsarbeit eben. Sie besteht aus quälend langen Beziehungsgesprächen, die der Partnerschaft gut tun sollen. Single- und Partnerschaftsberater Thiel hält davon gar nichts. Statt stundenlang darüber zu diskutieren, wie die Partnerschaft besser zu machen ist, sollten sich Partner lieber miteinander beschäftigen und die gemeinsame Zeit miteinander genießen. Eine Stunde kuscheln macht nämlich glücklicher als vier Stunden diskutieren. Und glückliche Partner bleiben auch länger zusammen. Quelle: Fotolia

Bei uns hier zunächst nicht. Mittlerweile aber schon so ein bisschen. Und jetzt die Frage: Dürfen wir uns diesem komischen Valentinstag hingeben, obwohl uns dieser Brauch von der Schokoladen- und Schnittblumen-Branche aufgedrängt wurde?

Zunächst einmal ist es nicht der erste Brauch, den wir aus dem Ausland kopiert haben. Hitler-Fans, die glauben, der Muttertag sei auf des Führers Mist gewachsen, irren mal wieder. Die Idee, der Mama in den ersten Jahren aus Dankbarkeit für alles eine selbst gemachte Laubsägearbeit auf den Frühstückstisch zu legen und in späteren Jahren einen Blumenstrauß per Fleurop vorbei zu schicken, ist inspiriert von der Idee der Amerikanerin Anna Marie Jarvis, die sich in den USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts ganz ohne kommerziellen Hintergedanken etablierte. Die Nazis erweiterten den Muttertag dann um ihr eigenes Bild von der guten Mutter als Garantin der „germanischen Herrenrasse“: Oben rum lecker kochen, unten rum schön viel gebären.
Großgemacht wurde der Tag in Deutschland aber schon in den 20er-Jahren von den deutschen Blumenhändlern, die die amerikanische Idee dankbar aufgriffen.

In Saudi-Arabien ist der Valentinstag verboten

Oder Halloween: Als junger Redakteur war ich Anfang des Jahrtausends nicht unmaßgeblich daran beteiligt, den entgeisterten Zuschauern von Europas erfolgreichstem Kindersender Super RTL die Vorzüge eines total verrückten US-Feiertages für Kinder zu erläutern, an dem man gruselig verkleidet an Haustüren massenhaft Süßigkeiten erpresst. Heute habe ich Angst, dass mir so ein aufgedrehtes Jüngelchen mal wieder Zahncreme ans Klingelschild schmiert, nur weil ich an Halloween nicht devot mit Mars und Duplo parat stehe.

Anders herum sind wir Deutschen regelrecht Export-Weltmeister, was Bräuche angeht. Und ich rede nicht nur vom Oktoberfest. Ob in den USA, Chile, Sri Lanka oder Thailand: Nirgends gibt es den Dezember ohne den Weihnachtsbaum, einem Designartikel-Klassiker engineered in Germany. Obwohl zum Beispiel die meisten Thailänder als Buddhisten sicherlich weder wissen, woher der Weihnachtsbaum kommt, noch, was an Weihnachten eigentlich genau gefeiert wird. Dort ist die Weihnachtszeit im Wesentlichen eben die Zeit der Zimt-Cappuccinos unter roten Girlanden bei Starbucks mit Plastiktanne. Man macht mit, was Spaß macht. Inspiriert von Starbucks und Co. Weil es einfach mal was anderes ist.

Ist das peinlich? Nein, es ist höchstens unbekümmert konsumfreudig. Aber passt unbekümmert konsumfreudig wiederum zum Valentinstag als dem romantischen Tag der Liebenden? Nein, finde ich. Aber vielleicht bin ich einfach nicht unbekümmert genug. Romantik nach Terminlage ist für mich ein unüberwindbarer Widerspruch in sich.

Da wirft man dann noch eben eine Schachtel Schokolade in den Einkaufswagen, die das ganze Jahr im Supermarkt zu haben ist, aber in diesen Tagen irgendwo quer ein Herz auf dem Deckel kleben hat, oder wahlweise Weingummi, Badeperlen und Bier in ähnlicher Herzchen-Saisonverpackung. Naja.

Und trotzdem nehme ich hin, dass der Valentinstag gefeiert wird. Denn: Was soll denn sonst noch kommen? Kirchliche Feiertage verlieren an Bedeutung, muslimische Feiertage werden sich wohl so schnell nicht ins Herz der großen Mehrheit hierzulande schmeicheln. Wer sein Alltags-Leben ein bisschen mehr aufpeppen will, nimmt Valentin und Halloween mit Kusshand, vielleicht kriegen die Bierbrauer ja auch noch den St. Patrick's Day durch, der Lebensmittelhandel Erntedank als Schlemmer-Sause, die Fischindustrie und die Spirituosenhändler den Midsommar Mitte Juni. Wenn es den Leuten Spaß macht...

Verliebt, verlobt, versteuert
Wer den diesjährigen Valentinstag zu einem Heiratsantrag nutzen möchte, sollte wissen, dass schon mit dem Heiratsversprechen – also der Verlobung – wichtige Rechtsfolgen eintreten. Ein so genanntes Verlöbnis ist ein Vertrag, in dem die Verlobten sich verpflichten, später eine gemeinsame Ehe einzugehen. Diese gegenseitige Verpflichtung ist allerdings nicht einklagbar, erklärt der Bund der Steuerzahler (BdSt) beantwortet die wichtigsten Fragen. Um einen Vertrag wirksam schließen zu können, müssen die Verlobungswilligen geschäftsfähig sein. Wer etwa stark betrunken ist, also unter einer „vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit“ leidet, kann sich nicht wirksam verloben. Quelle: dpa
Bei Verträgen zwischen nahen Angehörigen schaut das Finanzamt oft ganz genau hin. Zu den nahen Angehörigen gehören neben Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern auch Verlobte. Damit die geschlossenen Verträge vom Finanzamt anerkannt werden, müssen sie wirksam geschlossen und denen unter Fremden geschlossenen Verträgen entsprechen. Das heißt: Die Vereinbarungen müssen dem entsprechen, was üblicherweise auch mit einem anderen Vertragspartner vereinbart wird. Verlobte sollten also vorsichtig sein, wenn sie mit dem Partner ein Arbeitsverhältnis eingehen, einen Mietvertrag aufsetzen oder ihm ein Darlehen gewähren. Quelle: dpa
In der Regel gelten Verlobungsgeschenke als Schenkung mit aufschiebender Bedingung. Somit wird die Schenkung erst wirksam, wenn die Ehe geschlossen wird. Folglich greift bei großzügigen Verlobungsgeschenken die Steuerpflicht erst nach der Eheschließung, und Verlobungsgeschenke mit einem Wert von bis zu 500.000 Euro bleiben steuerfrei. Quelle: AP
Sollten es sich die beiden Partner anders überlegen und ihre Verlobung auflösen, gilt dieser Freibetrag aber nicht. In diesem Fall gilt lediglich ein Freibetrag von 20.000 Euro. Vorweg ausgehändigte Geschenke müssen dann entweder zurückgegeben oder die Schenkung versteuert werden. Der über den Freibetrag hinausgehende steuerpflichtige Erwerb wird mit einem Mindeststeuersatz von 30 Prozent bemessen. Bei kostspieligen Geschenken sollten Verlobte an die geltenden Freibeträge im Schenkungsteuerrecht denken, um Steuernachzahlungen zu vermeiden, empfiehlt der Bund der Steuerzahler. Quelle: dpa
Vor dem Gesetz gelten Verlobte als Angehörige und haben im Steuerrecht ein Auskunfts- und Eidesverweigerungsrecht. Daher ist es möglich, im Besteuerungs- und Ermittlungsverfahren sowie bei Betriebsprüfungen, die den Partner betreffen, die Aussage zu verweigern. Quelle: dpa-dpaweb
Für Eheleute und eingetragene Lebenspartner gelten im Steuerrecht bestimmte Sonderregelungen. Begründet ist diese Sonderstellung darin, dass die Ehe und eingetragene Lebenspartnerschaft eine gleichberechtigte Erwerbs- und Verbrauchsgemeinschaft sind, in der die Partner gemeinsam zum Haushaltseinkommen beitragen. Quelle: dpa
In Deutschland haben Ehepaare die Wahl, ob sie ihr Einkommen individuell oder gemeinsam versteuern. Erzielen die Eheleute unterschiedlich hohe zu versteuernde Einkommen, ist in der Regel die Zusammenveranlagung mit dem Splitting-Verfahren die für sie beste Variante. Das Splitting trägt der Tatsache Rechnung, dass verheiratete Paare über das gleiche Haushaltseinkommen verfügen und damit auch gleich viel Einkommensteuer zahlen – unabhängig davon, wie viel jeder Partner zum Einkommen beiträgt. Entscheiden sich die Partner dafür, zusammen veranlagt zu werden, kann das Finanzamt dann auch beide in die Pflicht nehmen, die Einkommensteuer zu zahlen. Quelle: dpa

Und wer denkt: Was soll denn dieser unchristliche Konsumterror, der sehe es doch mal so: In Saudi-Arabien ist der Valentinstag verboten. Obwohl auch viele Menschen im arabischen Raum den Valentinstag mögen.

Bei uns darf jeder so, wie er will. Der Valentinstag ist also nicht nur ein Romantik-auf-Knopfdruck-Tag, der der Industrie Geld in die Kassen spült. Er ist ein herzrotes Symbol für eine offene Gesellschaft, in der Leute gut bei anderen tolerieren können, was sie für sich selber ablehnen. So gesehen mag ich den Valentinstag. Und nehme mir feierlich die Freiheit, ihn zu ignorieren.

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