Woher aber rührt das Interesse an diesen Fragen – und warum ist ausgerechnet die Philosophie ihr Adressat? Jürgen Wiebicke, Moderator des "Philosophischen Radios" auf WDR 5, einer von vier Programmmachern der Phil. Cologne, beobachtet nach dem "Zerschellen der Weltbilder und politischen Glaubenssysteme" ein "neues Gefühl für den Ernst des Lebens", vor allem: eine "neu gewonnene Sprechfähigkeit der Philosophie", die sich der Lebenswelt der Menschen zuwendet. Der Wissenschaftsjournalist Gert Scobel, Redaktionsleiter des 3-Sat-Wissenschaftsmagazins "Scobel", stellt nicht nur ein Versagen von Wirtschafts- und Sozialtheorien fest, sondern auch eine "fundamentale Krise der Naturwissenschaften": Weder könne die Physik heute sagen, was Materie ist, noch könnten die Neurowissenschaften erklären, was das Gehirn im Innersten zusammenhält: "Alle haben den Mund zu voll genommen."
Auch die Ökonomen, versteht sich, die mit ihrem Alleserklärungsanspruch grandios gescheitert sind – und gegenüber denen die Philosophen mit ihrer Kultur des Befragens heute angenehm bescheiden wirken. Die Naturwissenschaftler und Ökonomen haben die Welt nur vollends erklären wollen; es kommt darauf an, sie annähernd zu verstehen – in diesem Satz liegt der ganze Zauber der Philosophie. Sie hat immer bezweifelt, dass das Verhalten von Menschen Gesetzmäßigkeiten unterliegt. Sie käme niemals auf die Idee, dass sich die Zukunft berechnen ließe. Sie wird den Menschen niemals als bloßes Reizreaktionsschema begreifen. Heute weiß jeder noch so fortschrittsbegeisterte Stammzellenforscher: Auf den Begleitschutz der Philosophie kann er nicht verzichten.
"Wir wissen weniger, als wir gedacht haben"
Eilenberger sieht die Rückkehr der Philosophie vor allem durch "drei Dynamiken" begünstigt. Erstens durch das Bewusstsein, dass unsere Lebensform erkennbar an ökonomische und ökologische Grenzen stößt. Zweitens durch eine Wohlhabenheit, die nicht mehr durch Wert-, wohl aber durch Sinnzuwächse gesteigert werden kann. Und drittens durch die Technisierung des Leibes (Gentechnologie), die Kants vierter Frage – Was ist der Mensch? – eine völlig neue Dimension verleiht.
Einen vierten Punkt macht Gert Scobel stark: Einerseits wissen wir "viel weniger, als wir gedacht haben"; andererseits mache uns die Masse des verfügbaren Wissens zu "Orientierungsanalphabeten", die nicht in der Lage seien, die Informationen zu verarbeiten, das Wissen zu ordnen. Beides lenke zurück zur Philosophie, der Orientierungswissenschaft schlechthin. Die Philosophie, so Scobel, regeneriere sich, indem sie ihre alten Fragen wiederentdecke – Fragen, die von den exakten Wissenschaften nicht beantwortet werden können. Zum Beispiel die Fragen nach der Weisheit oder nach dem guten, gelingenden Leben. Fragen, die, wie Scobel sagt, "automatisch" ins Denken führen: "Man traut der Philosophie wieder etwas zu: dass man im Denken zu wirklichen Erkenntnissen, zu verändernden Erfahrungen kommen kann, das interessiert die Leute" – allerdings auf höchst unterschiedlichem Niveau.