Wohnen in Deutschland Leben in einer Schallschutzwand an der Autobahn

Das lange, bunte Gebäude an der Autobahn halten die meisten für ein riesiges Parkhaus. Doch in Wirklichkeit wohnen mehrere hundert Menschen in der „Papageiensiedlung“ vor den Toren Frankfurts - schon seit Jahrzehnten.

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Wenn die Göbels kochen, rasen Autos und Lastwagen direkt vor ihrem Küchenfenster vorbei - mehr als 133 000 pro Tag. Vom Haus bis zur stark befahrenen Autobahn 66 Wiesbaden-Frankfurt sind es nur wenige Meter. Der 360 Meter lange Wohnkomplex, die „Papageiensiedlung“, verläuft parallel zur vierspurigen Autobahn, schließt sich direkt an die Lärmschutzwand an und schirmt so das Quartier „Engelsruhe“ in Frankfurt-Unterliederbach vom Verkehrslärm ab. „Wir wohnen in einer Schallschutzwand“, sagt Oliver Göbel.

„So nah an der Autobahn kann doch kein Mensch wohnen, sagen meine Kollegen immer“, erzählt der Tischler. „Und wenn ich sie dann einlade, sind sie überrascht, wie leise es ist.“ Emdad Azman, der aus Bangladesch stammt, und mit Frau und drei Kindern auch in einer der 286 Sozialwohnungen lebt, sagt: „Vom Verkehrslärm hören wir nur ein kleines bisschen, wenn das Fenster zu ist.“ Allerdings: „Wenn meine Frau kocht, mit vielen Gewürzen, und wir dann lüften, ist es schon laut.“ Lüften direkt an der Autobahn? Die Fallwinde vom Taunus sorgten ruckzuck für frische Luft, sagen die Anwohner. Positiv wirkten auch die Bäume zwischen Haus und Autobahn.

Vor rund 30 Jahren - als noch viel weniger Fahrzeuge über die damals nur zweispurige Autobahn bretterten - habe er mit den Nachbarn auf dem schmalen Grünstreifen zwischen Haus und Autobahn sogar gegrillt und Planschbecken für die Kinder aufgestellt, sagt Göbel. „Heute ist das vor allem die Hundewiese.“

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Die „Papageiensiedlung“ galt bei ihrer Fertigstellung 1974 als lärmtechnisches Vorzeigeprojekt und zog Fachleute aus anderen Ländern an. Der Name geht auf das Farbkonzept des Industriedesigners Friedrich-Ernst von Garnier zurück: Jeder Block hatte eine andere Farbe. Seit der Renovierung vor zehn Jahren sind die acht Hauseingänge aber nicht mehr ganz so bunt: Farben wie Dunkelbraun und Lila passten nicht mehr in die Zeit. „Man wohnt zum Süden raus“, erklärt Göbel, weshalb die Menschen in der Cheruskerstraße der Lärm nicht stört. „Auf dem Balkon höre ich vor allem das Vogelgezwitscher.“ Außerdem freut sich der 50-Jährige über die Spielstraße vor seinem Haus. Marianne Müller lebt seit 26 Jahren in dem sechs- bis siebenstöckigen Wohnkomplex, - wegen des Fernblicks auf den Taunus - inzwischen im fünften Stock. „Als ich 1990 eingezogen bin, war der Teufel los“, erinnert sich die 79-Jährige. Sie sei damals sogar mit einem Klappmesser bedroht worden. Das Quartier „Engelsruhe“ - benannt nach einem Bauern namens Engel, der auf dem Grundstück seine Ruhe gesucht haben soll - war weder friedlich noch ruhig, sondern berüchtigt. Heute sagt Müller: „Das ist ein ruhiges Wohnen hier. Ein paar Quertreiber allerdings gibt es immer.“

In der „Engelsruhe“ mit ihren rund 3500 Einwohnern habe sich viel getan, sagt Quartiersmanagerin Marja Glage von der Caritas. Von 1999 bis 2012 war das Viertel Teil des Bund-Länder-Programms Soziale Stadt. Seit 2013 gehört es zum Frankfurter Programm Aktive Nachbarschaft. Ein Drittel des Wohnungsbestands sei abgerissen und neu gemacht worden. Und es gibt viele Angebote - die auch angenommen würden, weil die Bewohner sie mitgestalten konnten. Göbel, der auch Vorsitzender des Nachbarschaftsvereins ist, ergänzt: „Wir sind sehr gut vernetzt.“

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Konstanz Quelle: dpa
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Juist Quelle: dpa
Starnberger See Quelle: dpa
Düsseldorf Quelle: dpa
 Frankfurt am Main Quelle: dpa

Ein Kettenraucher auf dem Nachbarbalkon, Streit um Parkplätze, Essensgerüche im Treppenhaus, laute Musik und Kinder, die noch spät abends vor dem Haus Fußball spielen, gehören zu den alltäglichen Konflikten in der „Papageiensiedlung“ mit ihren schätzungsweise mehr als 800 Bewohnern. „Ein sozialer Brennpunkt ist die Siedlung nicht“, sagt Anita Bucuk von der Nassauischen Heimstätte, die die Wohnungen verwaltet. „Wie in ähnlichen Gebäuden ist das Zusammenleben sehr anonym und es gibt eine hohe Fluktuation im Vergleich zu kleineren Wohngebäuden.“ Roswitha Nierobisch, die schon mehr als 20 Jahre in dem Lärmschutzriegel zu Hause ist, sagt: „Die meisten Nachbarn grüße ich und mehr nicht. Aber sie sind alle lieb und nett.“ Allerdings: Manche kippten abends ihr Essen oder sogar ganze Müllsäcke vom Balkon. Kein Wunder, dass dies Ratten anziehe. Auch Antonia Basta nervt „die Rattenplage“. „Der Hausmeister ist da dran, kann aber wegen der spielenden Kinder keine Fallen aufstellen.“

Basta ist mit ihrer Familie vor 15 Jahren in die Siedlung gezogen und wollte eigentlich nicht lange bleiben. „Es sind so viele Leute, 30 Parteien in jedem Haus.“ Inzwischen hat sie viele Kontakte zu anderen Familien geknüpft und schätzt die Infrastruktur im Viertel. Wie Glage und Göbel engagiert sie sich für ein gutes nachbarschaftliches Zusammenleben. Als „Kiezläuferin“ spricht sie die Menschen auf der Straße an, hilft ihnen bei Behördengängen und kümmert sich um die Kinder. Auch das gehört zum Programm Aktive Nachbarschaft.

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