Zukunftsforscher Matthias Horx "Wir sind zu dekadent geworden"

Der Zukunftsforscher Matthias Horx plädiert für einen neuen Innovationsbegriff.

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Matthias Horx Quelle: dpa/dpaweb

WirtschaftsWoche: Herr Horx, über welche Innovation haben Sie sich zuletzt gefreut?

Horx: Meine Frau und ich richten gerade ein Haus in der Nähe von Wien ein – besonders beeindruckt hat uns der so genannte Quooker: Ein Wasserhahn, der immer genau die Menge heißes Wasser vorhält, die man gerade benötigt, um zum Beispiel schnell eine Tasse Tee zu brühen. Und dafür kaum Energie verbraucht. Also letztlich ein völlig simples Gerät ohne Schnickschnack, das aber sehr nützlich ist. Und genau das macht wahre Innovation aus: Reduzierung aufs Notwendige. Weniger und besser statt mehr und schneller.

Sind wir in diesem Sinne noch innovativ genug?

Die Zahl der Innovationen ist jedenfalls nicht unser Problem. Aber wir arbeiten größtenteils mit dem falschen Innovationsbegriff.

Warum?

Weil unsere Definition von Innovation noch zu sehr auf technologischen Fortschritt verengt ist.

Apple, Google, Facebook – die innovativsten Firmen der letzten Jahre sind allesamt Hightech-Unternehmen

Nur auf den ersten Blick. Natürlich ist da Technologie im Spiel. Letztlich geht es aber um viel mehr – nämlich die Rekonstruktion von Systemen. Bei Apple geht es nicht in erster Linie ums Bauen schöner Computer, sondern, mit iTunes, um eine Revolutionierung der Musikindustrie. Facebook arbeitet mit der Idee der Freundschaft, Google mit dem Leitmotiv Orientierung. Wirkliche Innovationen sind Sozio-Techniken. Die meisten Unternehmen aber wollen mit ihren so genannten Innovationen ja gar keine Probleme lösen, sondern Geld verdienen.

Was ist daran verkehrt? Eine Innovation, die den Bedürfnissen der Verbraucher befriedigt, verkauft sich automatisch. Eine, die daran vorbei geht, bleibt im Regal liegen.

Wir brauchen aber nicht so sehr immer neue Produktideen. Wir brauchen soziale Innovationen in allen Bereichen der Gesellschaft – Bildung, Gesundheit, Politik. Wir brauchen neue Rückkopplungssysteme.

Was meinen Sie damit?

Wir müssen weg kommen von einem System, das sich an den Symptomen mästet. Ein staatliches Umverteilungssystem, das die Leute ruhig stellt, zerstört sich auf Sicht selbst, weil die Kosten explodieren. Wir brauchen ein soziales System, das auf Aktivierung setzt. Oder nehmen Sie unser Gesundheitssystem: Das fokussiert viel zu sehr auf den Umgang mit Krankheit – besser wäre es, Gesundheit zu bezahlen. Und in der Politik krankt es an Rückkoppelung, weil die Menschen nicht mehr verstehen, wie und warum welche Entscheidungen zustande kommen. Und sich weitgehend ausgeschlossen fühlen aus dem politischen Prozess.

Globalisierung im Innovationsbereich

Was hat das noch mit Innovation zu tun?

Wir müssen uns verabschieden von der Vorstellung der klassischen heroischen Innovation. In den vergangenen 30 Jahren fällt mir da nur die Erfindung des Computers ein. Viele Innovationen sind heute nicht mehr Ergebnis eines genialen Heureka-Moments. Sondern langwierige graduelle Prozesse, die zunehmend nicht mehr von der westlichen Welt angestoßen werden.

Sondern?

Die Globalisierung hat, Gott sei Dank, auch den Bereich der Innovationen erfasst

Warum Gott sei Dank?

Weil die Innovationskultur der westlichen Hemisphäre doch sehr dekadent geworden ist. Ob wir noch ein paar zusätzliche Leitspursysteme in unsere Autos einbauen, spielt doch gar keine Rolle. Wir brauchen vielmehr Lösungen für die drei Milliarden Menschen, deren Bedürfnisse bislang weitgehend ignoriert wurden, die aber jetzt in die Konsummärkte eintreten. Die ganz andere sind als die, von  denen wir ausgehen. Die deswegen zunehmend vor Ort entwickelt werden, in Indien, China, Bangladesh. Und angesichts knapper werdender Ressourcen mittelfristig auch uns alten Industrienationen nutzen werden.

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