Verhaltensgenetik "Charisma ist erblich"

Der Londoner Verhaltensgenetiker Robert Plomin über die Vererbung von Intelligenz, beruflichen Erfolg und die Zukunft der Genforschung.

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Plomin, 60, ist seit 1994 Professor am Institut für Psychiatrie des Londoner King’s College. Seit über 30 Jahren beschäftigt er sich mit der Vererbung menschlicher Eigenschaften. Plomin gilt als einer der renommiertesten Verhaltensgenetiker weltweit.

WirtschaftsWoche: Professor Plomin, sind wir die Sklaven unserer Gene, oder können wir unseren Erfolg selbst bestimmen?

Robert Plomin: Bis zu einem gewissen Maß. Wir können zwar relativ frei über uns selbst bestimmen. Aber jeder kann nur das meiste aus dem machen, was ihm mit auf den Weg gegeben wurde.

Und das heißt konkret?

Ich glaube, dass jemand mit sehr geringem musischen Talent ein passabler Musiker werden kann, wenn er fleißig übt. Ich betone: ein passabler Musiker, kein Mozart!

Wurden Mozart und Einstein also zu Genies, weil es so in ihrem Erbgut festgelegt war?

Über diese Art von extremen Talenten weiß die Forschung zum heutigen Zeitpunkt recht wenig. Sie müssen nicht zwangsläufig auf Gene zurückzuführen sein. Auch wenn die genetische Ausstattung sicher wichtig ist, so heißt das nicht automatisch, dass Talent vorbestimmt ist.

Sie beschäftigen sich seit über 30 Jahren mit Verhaltensgenetik. Welche Entdeckung hat Sie am meisten überrascht?

Zwei Dinge: Zum einen, dass die Erblichkeit von Intelligenz so hoch ist. Keine andere Charaktereigenschaft zeigt solche gleichbleibend stimmigen Resultate, egal, wie man die Studien gestaltet. Was mich zudem persönlich verblüfft hat, ist, dass dieselben Gene, die Intelligenz beeinträchtigen können, auch Probleme hervorrufen wie etwa Leseschwäche.

Wenn Intelligenz größtenteils erblich ist, heißt das dann nicht, dass Erfolg genauso erblich ist?

Es wurden inzwischen fast alle Aspekte der Persönlichkeit erforscht, und die Ergebnisse wiesen immer auf einen genetischen Einfluss hin. Daher würde ich sagen: Ja, Charisma oder andere Persönlichkeitsmerkmale, die in der Arbeitswelt eine Rolle spielen, sind erblich.

Was ist also wichtiger für ein Kind: kluge Eltern oder eine gute Erziehung?

Die Kontroverse –  Veranlagung oder Umwelt? – ist eine der ältesten Diskussionen der Verhaltenswissenschaft. Ich hoffe wirklich, dass die Menschen diese Frage bald umformulieren. Denn die Forschungsergebnisse zeigen, dass es nicht um Anlage oder Umwelt geht, sondern wie diese beiden Faktoren zusammenwirken.

Was würden Sie dann Eltern raten?

Sie müssen verstehen, dass die Stärken und Schwächen ihrer Kinder teilweise an genetischen Unterschieden liegen. Ein unsportliches Kind wird wahrscheinlich nie eine Medaille bei einer Olympiade gewinnen. Eltern sollten also versuchen, die Begabungen ihrer Kinder herauszufinden, und diese früh fördern.

Die Genforschung hat in den vergangenen Jahren viel bewegt. Was erwarten Sie noch?

Ich bin zuversichtlich, dass jeder von uns in ein paar Jahren seine komplette DNA kennen wird. Aber dadurch werden wir nicht automatisch jedes Detail unserer Gene kennen und erst recht nicht, warum wir so werden, wie wir sind.

Werden wir eines Tages mithilfe eines Gentests unsere Erfolgschancen vorhersagen können?

Genetische Effekte werden nicht durch ein einzelnes Gen verursacht, sondern durch kleine Effekte vieler Gene. Es ist schwierig, all diese Gene zu identifizieren. Und selbst wenn das gelänge, würde man nur die Hälfte wissen. Denn die Umwelt spielt eben auch immer eine Rolle.

Können Sie die Ängste der Leute im Zusammenhang mit der Genforschung verstehen?

Ein Teil dieser Angst beruht auf einem Missverständnis. Manche glauben, dass die genetische Erforschung menschlicher Eigenschaften unsere Freiheit und unseren freien Willen einschränkt...

...Sie meinen eine Welt, in der der Nachwuchs im Labor genetisch programmiert wird?

Die Erforschung der genetischen Grundlagen unseres Verhaltens wird diese Tür nicht öffnen. Natürlich müssen wir vorsichtig sein und über die gesellschaftlichen und ethischen Aspekte reden. Aber es gibt auch Grund zur Freude: Wir werden besser verstehen, warum Menschen das tun, was sie tun.

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