Manche Revolutionen beginnen mit einem lauten Knall, andere leise und dezent. Ein Beispiel für Letzteres lieferte vor wenigen Wochen Pierre Nanterme, CEO der Managementberatung Accenture. Im Interview mit der „Washington Post“ erzählte er, dass sein Unternehmen die Personalentwicklung komplett umstellen werde.
Ab dem neuen Geschäftsjahr, das bei Accenture traditionell im September startet, entfallen die Mitarbeitergespräche („Performance Reviews“) in ihrer bisherigen Form. Es solle nur um die Angestellten und ihre Entwicklung gehen, sagte Nanterme: „Auf sämtliche Vergleiche mit Kollegen verzichten wir künftig.“ Der Grund: Die jährlichen Gespräche seien mit viel Aufwand, aber wenig Ertrag verbunden.
Was gute Führung ausmacht
Laut einer Umfrage der "Initiative Neue Qualität der Arbeit" unter 400 Führungskräften sind Flexibilität und Diversität sind weitgehend akzeptierte Erfolgsfaktoren. Das Arbeiten in beweglichen Führungsstrukturen, mit individueller Zeiteinteilung und in wechselnden Teamkonstellationen ist aus Sicht der meisten Führungskräfte bereits auf einem guten Weg. Die Idee der Förderung von Unterschiedlichkeit ist demnach in den Unternehmen angekommen und wird umgesetzt. Die Beiträge zur Führungskultur gerade aus weiblichen Erfahrungswelten werden äußerst positiv bewertet.
Prozesskompetenz ist für alle das aktuell wichtigste Entwicklungsziel. 100 Prozent der interviewten Führungskräfte halten die Fähigkeit zur professionellen Gestaltung ergebnisoffener Prozesse für eine Schlüsselkompetenz. Angesichts instabiler Marktdynamik, abnehmender Vorhersagbarkeit und überraschender Hypes erscheint ein schrittweises Vortasten Erfolg versprechender als die Ausrichtung des Handelns an Planungen, deren Verfallsdatum ungewiss ist.
Selbst organisierende Netzwerke sind das favorisierte Zukunftsmodell. Die meisten Führungskräfte sind sich sicher, dass die Organisation in Netzwerkstrukturen am besten geeignet ist, um die Herausforderungen der modernen Arbeitswelt zu bewältigen. Mit der kollektiven Intelligenz selbst organisierender Netzwerke verbinden diese Führungskräfte die Hoffnung auf mehr kreative Impulse, höhere Innovationskraft, Beschleunigung der Prozesse und Verringerung von Komplexität.
Hierarchisch steuerndem Management wird mehrheitlich eine Absage erteilt. Die meisten Führungskräfte stimmen darin überein, dass Steuerung und Regelung angesichts der Komplexität und Dynamik der zukünftigen Arbeitswelt nicht mehr angemessen sind. Zunehmende Volatilität und abnehmende Planbarkeit verringern die Tauglichkeit ergebnissichernder Managementwerkzeuge wie Zielemanagement und Controlling. Überwiegend wird die klassische Linienhierarchie klar abgelehnt und geradezu zum Gegenentwurf von „guter Führung“ stilisiert.
Kooperationsfähigkeit hat Vorrang vor alleiniger Renditefixierung. Über die Hälfte der interviewten Führungskräfte geht davon aus, dass traditionelle Wettbewerbsstrategien die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit erreicht haben und das Prinzip Kooperation weiter an Bedeutung gewinnt. Nur noch 29,25 Prozent der Führungskräfte präferieren ein effizienzorientiertes und auf die Maximierung von Profiten ausgerichtetes Management als ihr persönliches Idealmodell von Führung.
Persönliches Coaching ist ein unverzichtbares Werkzeug für Führung. Mit dem Übergang zur Netzwerkorganisation schwindet der selbstverständliche Schonraum hierarchischer Strukturen. Die Durchsetzung eigener Vorstellungen über Anweisung werde immer schwieriger oder sei gar nicht mehr möglich. Mächtig ist nur, was auf Resonanz trifft. Einfühlungsvermögen und Einsichtsfähigkeit werden dadurch immer wichtiger. Alle Akteure, ob nun Führungskraft oder geführte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, bräuchten im Unternehmen mehr Reflexion und intensive Entwicklungsbegleitung.
Motivation wird an Selbstbestimmung und Wertschätzung gekoppelt. Die Führungskräfte gehen davon aus, dass die motivierende Wirkung von Gehalt und anderen materiellen Anreizen tendenziell abnimmt. Persönliches Engagement wird mehr mit Wertschätzung, Entscheidungsfreiräumen und Eigenverantwortung assoziiert. Autonomie werde wichtiger als Statussymbole und der wahrgenommene Sinnzusammenhang einer Tätigkeit bestimme den Grad der Einsatzbereitschaft.
Gesellschaftliche Themen rücken in den Fokus der Aufmerksamkeit. In der intuitiven Schwerpunktsetzung der Führungskräfte nimmt die Stakeholder-Perspektive des Ausgleichs der Ansprüche und Interessen von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen einen wachsenden Raum ein. Über 15 Prozent aller frei genannten Beschreibungen im Führungskontext beschäftigen sich mit Fragen der gesellschaftlichen Solidarität und der sozialen Verantwortung von Unternehmen.
Hohe Kosten bei niedrigem Gewinn? Ein Albtraum für jeden Unternehmensberater. Die Entscheidung, für mehr als 330.000 Accenture-Mitarbeiter weltweit das Ende der Zahlendiktatur einzuläuten, ist ein Paradigmenwechsel. Systeme zur Leistungsmessung gehen zurück auf den US-Mischkonzern General Electric (GE). Der Konzern versuchte seit den Siebzigerjahren, Methoden aus der Unternehmensbewertung auf Menschen zu übertragen. Der ehemalige GE-Chef Jack Welch kreierte in den Achtzigerjahren die 20-70-10-Regel. Demnach sollten 20 Prozent der Angestellten mit Boni belohnt, 70 Prozent gefördert und zehn Prozent entlassen werden.
Zugegeben, so radikal geht kaum ein Unternehmen vor. Doch in vielen Sparten, vor allem im Vertrieb, müssen sich die Angestellten an fragwürdigen Kennzahlen messen lassen. Zum Beispiel an der Zahl der Kundenkontakte über einen gewissen Zeitraum. Das Problem ist bloß: Die mag zwar viel über den vordergründigen Fleiß des Mitarbeiters aussagen – aber wenig über seine tatsächliche Motivation, Sorgfalt oder Entwicklung.
In letzter Zeit haben sich daher viele Großkonzerne dafür entschieden, Mitarbeiter künftig nicht mehr allein an Daten zu messen und miteinander zu vergleichen. Stattdessen verändern sie das starre System der Rücksprache zwischen Führungskraft und Mitarbeiter – und befreien alle Beteiligten vom engen Korsett der Jahresgespräche.
Laut einer Umfrage der US-Managementberatung CEB haben inzwischen immerhin sechs Prozent aller „Fortune“-500-Unternehmen interne Rankings komplett abgeschafft – quer durch sämtliche Branchen. Im Jahr 2012 verkündete Donna Morris, Personalchefin des Softwarekonzerns Adobe, das Aus der Mitarbeitergespräche. Die Angestellten seien die Unterredungen leid, die Gespräche nutzlos.
Der Modekonzern Gap, der Medizintechnikhersteller Medtronic und Softwareunternehmen Microsoft haben ihre Systeme ebenfalls abgeschafft. Und die Beratung Deloitte verkündete im März das Aus der Feedbackrunden. Auf Ranglisten der Angestellten wolle man künftig ebenso verzichten wie auf jährliche Gespräche.
Bald dürften weitere Unternehmen folgen – denn in der CEB-Umfrage kam ebenfalls heraus, dass 95 Prozent aller Personaler damit unzufrieden sind, wie ihr Arbeitgeber die Feedbackrunden organisiert. Knapp 90 Prozent gaben sogar offen zu, dass dabei keine brauchbaren Informationen herauskommen. Daher gilt das Gespräch vielen als lästige und sinnlose Pflichtübung – auch weil die Messungen fragwürdig sind.
Sinnlose Pflichtübung
Die Entscheidungen von Accenture und Deloitte deuten nun darauf hin, dass solche Verfahren auf dem Rückzug sind. Langsam erkennen die Personaler, dass die Beurteilungen ihr ursprüngliches Ziel verfehlen. Theoretisch sollen sie die Leistung der Angestellten verbessern. Praktisch erreichen sie oft das Gegenteil. Das ist inzwischen sogar wissenschaftlich belegt.
Bereits im Jahr 1996 bezweifelte der Organisationspsychologe Avraham Kluger von der Hebräischen Universität von Jerusalem in einer Übersichtsstudie die Sinnhaftigkeit des Instruments. Bei einer Analyse von knapp 25.000 Gesprächen stellte er fest, dass die Rückkopplung des Chefs die Leistung des Mitarbeiters immerhin in jedem dritten Fall reduziert. Psychologen vermuten heute, dass das Feedback die Wahrnehmung des Angestellten einschränkt. Der Mitarbeiter sei danach vor allem darauf erpicht, gewisse Kennzahlen unbedingt zu erreichen. Hauptsache, er steht am Ende nicht schlechter da als seine Kollegen. Diese mutieren von Mitstreitern zu Konkurrenten, die es zu besiegen gilt.
10 Tipps für den perfekten Chef
Jeder Mensch macht Fehler, denn Menschen sind nicht perfekt. Durch diese Eigenschaft werden Menschen überhaupt erst liebenswert. Wichtig ist jedoch, dass wir um unsere Fehler wissen und Wege finden, wie diese Fehler behoben werden können. Fehler, richtig verstanden, führen zu einer Weiterentwicklung der eigenen Persönlichkeit und des Unternehmens.
Es ist daher verwunderlich, warum immer noch so viele Chefs meinen, dass sie perfekt sind. Eine solch grobe Selbstüberschätzung führt letztlich zu Arroganz und einem Stillstand an Wachstum (sowohl persönlich als auch unternehmerisch).
Darin liegt die Größe eines wirklich „perfekten“ Chefs. Er verwendet die Kenntnis seiner Fehler für die persönliche Weiterentwicklung. Gute Führungspersönlichkeiten meinen nicht, „jemand zu sein“, sondern verstehen sich als „jemand, der wird“ und zwar jeden Tag ein wenig mehr.
Eine wesentliche Eigenschaft von „perfekten“ Chefs ist, dass sie Menschen mögen. Viele so genannte Führungskräfte mögen aber nicht einmal sich selbst, geschweige denn andere Menschen. Unter solchen Umständen wird Führung nur schwer möglich sein. Um exzellent zu sein, muss man das, was man tut, lieben. Und um exzellent zu führen, muss man Menschen lieben.
Der „perfekte“ Chef sagt und meint „Wir!“ und nicht „Ich!“ Er ist ein Teamspieler. Im 21. Jahrhundert werden nur Teams gewinnen und nicht Einzelspieler. Die Mondlandung beispielsweise war auch nicht das Werk eines einzelnen Menschen, sondern das mehrerer tausend Ingenieure, auch wenn die visionäre Kraft eines Wernher von Brauns dahinter stand. Aber er hätte es niemals alleine geschafft.
Der „perfekte“ Chef fordert Menschen heraus. Er will Leistung erleben und regt Menschen an, sie zu erbringen. Dabei orientiert er sich nur ungern am Durchschnitt, sondern an Spitzenleistungen. Der „perfekte“ Chef gibt sich mit dem zweitbesten Ergebnis nicht zufrieden.
Von dem Gedanken, stets der Beste in allen Bereichen sein zu wollen, müssen sich Führungspersönlichkeiten trennen. Der „perfekte“ Chef konzentriert sich auf seine Stärken und seine Hauptaufgaben.
Grundvoraussetzung eines „perfekten“ Chefs sind gelebte Werte, die von allen Mitarbeitern als Führungsgrundsätze empfunden werden. Nur so entsteht das viel geforderte Vertrauen.
Letztlich geht es um das wesentliche: Der „perfekte“ Chef bewirkt, dass Menschen Ziele erreichen. Das Wesen guter Führung ist Wirksamkeit.
Meistens halten wir unsere Meinung für die Wahrheit, basierend auf der Wirklichkeit, wie wir sie empfinden. Häufig entspricht unsere Wirklichkeit jedoch nicht der Realität. Der „perfekte“ Chef setzt sich auf den Stuhl des anderen. Wer durch die Augen anderer sieht, entdeckt eine Fülle von Wirklichkeiten.
Quelle: Perspektive Mittelstand
Erst recht, wenn die Bewertungen messbare Folgen haben. Meinungsforscher von TNS Infratest fanden im Jahr 2011 heraus: Bei etwa jedem vierten deutschen Angestellten hat die regelmäßige Leistungsbewertung durch den Vorgesetzten Einfluss auf das monatliche Bruttogehalt.
Ein Scheitern ist in dieser Wettbewerbssituation umso schlimmer. Dann kann negatives Feedback den Angestellten umso stärker demotivieren.
Zu diesem Ergebnis kam im Jahr 2013 eine Studie von Satoris Culbertson, Managementprofessorin an der Kansas-State-Universität. 234 Angestellte sollten ihr mitteilen, wie zufrieden sie mit den Bewertungen ihrer Vorgesetzten waren. Außerdem wollte Culbertson wissen, wie lernbereit sie waren oder ob sie neue, ungewisse Herausforderungen aus Angst vor Fehlern mieden.
Wenig überraschend: Probleme mit kritischen Anmerkungen hatten vor allem jene Angestellten, die leistungsorientiert dachten und Wert darauf legten, wie ihre Kollegen ihre Arbeit beurteilten.
Doch mehr noch: Selbst jene Mitarbeiter, die vor allem an der eigenen Weiterentwicklung interessiert waren und somit Interesse an konstruktivem Feedback haben müssten, ließen sich sogar von gut gemeinter Kritik irritieren. Ein Grund mehr, rein datenbasierte Beurteilungen der Belegschaft abzuschaffen.
Daran appelliert auch Rüdiger Hossiep, Wirtschaftspsychologe der Ruhr-Universität Bochum. Es habe katastrophale Folgen für die Zusammenarbeit, die Leistung der Mitarbeiter in Zahlen gefasst zu vergleichen, interne Ranglisten aufzustellen und diese mit Boni zu verknüpfen: „Das ist der Tod jeder Vertrauenskultur“, sagt Hossiep.
Das soll nicht heißen, dass Vorgesetzte kein Feedback mehr geben sollen. Im Gegenteil. Bloß dürfen solche Gespräche nicht nur einmal im Jahr stattfinden und niemals allein auf Basis fragwürdiger Kennzahlen.
Accenture-Chef Pierre Nanterme will in den kommenden Monaten ein neues System aufbauen, in dem die Angestellten zeitnah Feedback erhalten, zum Beispiel nach Abschluss eines Projekts. „Manager müssen die richtige Person für die richtige Stelle auswählen und sie mit ausreichend Freiraum ausstatten“, sagte Nanterme der „Washington Post“ im Interview. „Die Kunst guter Führung besteht nicht darin, Angestellte ständig miteinander zu vergleichen.“