Familie und Beruf Die Lüge von der Vereinbarkeit

Seite 3/3

Sammelsurium an Kümmerprogrammen

Der Zusammenhang zwischen weiblicher Erwerbsbeteiligung, lockereren Familienstrukturen und abnehmenden Geburtenzahlen ist, wie Streeck schreibt, „längst nicht zureichend erforscht“. Ganz zu schweigen von politischen Konsequenzen, die eine ernsthafte Demografiepolitik daraus ziehen könnte. Sich über die Ursachen der demografischen Entwicklung Gedanken zu machen, sie nicht nur zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung, sondern der Politik zu machen, bleibt in Deutschland mehr noch als in anderen Ländern tabu.

Demografie wird von der Bundeskanzlerin zwar in Sonntagsreden immer wieder als großes Zukunftsthema angesprochen. Doch dabei bleibt es dann auch. Die Demografiestrategie der Bundesregierung ist nur formal eine große Strategie. Tatsächlich ist sie ein Sammelsurium an Kümmerprogrammen, in dem die Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine Hauptrolle spielt. Eine politische Beruhigungspille, die die drohende Bevölkerungskatastrophe zu einer „Chance“ zu erklären versucht.

Die Kosten der totalen Arbeitsmobilisierung

Das demografische Problem und seine Ursache – das demografisch-ökonomische Paradoxon – grundlegend anzugehen, haben alle Regierungen der vergangenen Jahrzehnte versäumt, wie Herwig Birg in seinem Buch eindrucksvoll zeigt: Man hat auf verhängnisvolle Weise die Prioritäten verdreht. Die Bedürfnisse der Wirtschaft stehen seither unangefochten an erster Stelle.

Die stressigsten Jobs der Welt
Taxen Quelle: dpa
Zeitungsjournalisten Quelle: REUTERS
Reporter Quelle: dpa
Vorstandsmitglieder Quelle: Fotolia
Pressesprecher Quelle: dpa
Event-Manager Quelle: dpa
Polizisten Quelle: AP

Nun versucht man sich im Verschweigen dieses Versagens. Das Predigen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist insofern nichts anderes als der Versuch, zu verschleiern, was ganz offenkundig ist: Die totale Mobilisierung aller Arbeitsfähigen für die Wirtschaft zehrt an der Substanz. Sie wird bezahlt durch psychische Erschöpfung und vor allem: durch ungeborene Kinder. Eine bittere Erkenntnis, die große Sorgen bereitet. Kein Wunder, dass man in Wirtschaft und Politik lieber nicht davon redet.

Solange dabei weiterhin die Prioritäten verdreht bleiben, solange also das Bedürfnis der Wirtschaft nach menschlicher Arbeitskraft immer Vorrang hat, wird das illusionäre Versprechen der Vereinbarkeit eine Quelle dauernder Enttäuschung sein.

Wenn Männer und Frauen sich von der Illusion befreien und erkennen, dass sie nicht zwei Leben in einem führen wollen, dann werden sie dies sowohl der Wirtschaft als auch der Politik deutlich machen. Und dann müssen diese auch die Prioritäten wieder geraderücken: Die Wirtschaft hat dem Menschen zu dienen, nicht umgekehrt.

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie kann in einer emanzipierten geschlechtergerechten Gesellschaft dann nur bedeuten, dass zwei in Vollzeit arbeitende Elternteile nicht die Regel sein können. Wer von beiden weniger oder vielleicht auch gar nicht arbeitet, oder ob beide in Teilzeit arbeiten, ist deren Privatangelegenheit. Es zu ermöglichen wäre Angelegenheit des Staates und der Unternehmen

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%