Thomas Sattelberger "Teilhaben ist die neue Wertschöpfung"

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Innovationskerker oder "Ausbrauch aus alten Strukturen"?

Bei kleinen Unternehmen mag das funktionieren, aber in Konzernen wird man da schnell an Grenzen stoßen...

Bei Google werden Führungskräfte schon heute explizit danach beurteilt, wie wenig sie sich durch Mikromanagement in die Aufgaben ihrer Mitarbeiter einmischen und wie gut sie diese – in Umkehrung klassischer Führungsmodelle – in ihrer persönlichen Entwicklung fördern.

Was bei Google klappt, muss bei deutschen Unternehmen nicht automatisch funktionieren...

Selbst bei Unternehmen, die über eine Shareholdervalue-Logik gesteuert werden, sind solche Freiräume möglich. Und die Dinosaurier haben keine Wahl. Schauen Sie doch mal, wie E.On oder RWE schlingern. Wie stark die deutschen Automobilhersteller in der Defensive sind durch Googles selbstfahrendes Auto, Toyotas Hybridmodell und das Elektroauto von Tesla. Unternehmen müssen die Fähigkeit zur Beidhändigkeit sicherstellen – also einerseits so lange wie möglich die Chancen ihres traditionellen Geschäftsmodells nutzen, aber gleichzeitig Zukunftsmodelle testen und sich an der Schnittstelle beider Bereiche intelligent kannibalisieren. Das geht nicht ohne eine veränderte Arbeitskultur.

Wie schlechte Chefs ihre Mitarbeiter vergraulen
Mitdenken nicht erwünschtWunsch: Manuel B., 23, arbeitet im Bereich Kundenservice im Back Office. Er möchte, dass Vorgesetzte ihn ernst nehmen und ihm Handlungsspielraum lassen. Sein Chef muss für ihn ein Vorbild sein. Respekt erhält ein Vorgesetzter von Manuel, wenn er seine Sache gut macht und ihm etwas beibringen kann – nicht umgekehrt.Mitarbeiterrealität: Manuel B. ist unzufrieden mit seinem Chef, denn er fühlt sich nicht gefördert. Er ist ein flinker Kopf und denkt mit. Wenn er ineffiziente Arbeitsschritte und Fehler identifiziert, will er sie gerne verändern – am liebsten eigenständig. Auch beim Chef entdeckt er solche Fehler. Der will aber nichts davon wissen – Manuel hat nichts zu melden. Er soll sich gefälligst an die Arbeitsanweisungen halten – das war’s. Quelle: Fotolia
Im Ton vergriffenWunsch: Inge S., 49, arbeitet in einer sozialen Einrichtung. Sie wünscht sich, dass Vorgesetzte freundlich und angemessen kommunizieren. Insbesondere mit den psychisch erkrankten Menschen erwartet sie einen einfühlsamen Umgang.Mitarbeiterrealität: Inge S. erlebt ihre Chefin als dominant und unsensibel: „Sie verträgt keine Kritik, teilt aber gut aus. Sie versucht mir Arbeiten aufzudrücken, auch wenn ich ihr sage, dass das die Kollegin macht. Wenn jemand in ihr Büro kommt und sie im Gespräch stört, reagiert sie sehr genervt und unwirsch. Das ist unsachgemäß und für eine Chefin nicht gebührlich.“ Quelle: Fotolia
Ich kompetent, du nichtWunsch: Lara M., 27, ist Personalreferentin. Sie braucht eine Führungskraft, die ihr Anerkennung zeigt, sie unterstützt und ihr Selbstsicherheit gibt: „Sie muss ansprechbar sein, wenn ich Schwierigkeiten habe, ohne dass mir das als Inkompetenz ausgelegt wird. Ich möchte spüren, dass meine Arbeit und das, was ich tue, gesehen werden. Auch der menschliche, herzliche Umgang ist mir wichtig.“Mitarbeiterrealität: Lara M. fühlt sich verunsichert und demotiviert. Sie wurde schlecht eingearbeitet, dafür wird sie nun von ihrem Chef umso mehr kontrolliert. Sie erhält von ihm sehr viel Kritik und wenig positive Rückmeldung: „Ich weiß immer schon, egal wie ich es mache, ist es ihm sowieso nicht recht. Das nagt sehr an meinem Selbstbewusstsein. Er verhält sich immer nach dem Motto ‚Ich bin der Chef und nur was ich sage, ist richtig‘.“ Quelle: Fotolia
Leise Töne überhörtWunsch: Barbara L., 56, ist Verwaltungsangestellte. Für sie ist es wichtig, dass Vorgesetzte sie und die anderen Mitarbeiter gleichberechtigt behandeln. Sie möchte, dass ihr Chef ihren Verantwortungsbereich respektiert und sich genauso an die Regeln hält, wie es von ihr selbst erwartet wird.Mitarbeiterrealität: Barbara L. erlebt leider etwas anderes: „Er hört die Mitarbeiter mehr, die lauter schreien. Ich bin eher ruhiger und setze mich nicht so stark durch. Dadurch komme ich oft kürzer.“ Neulich setzte ihr Chef einfach einen neuen Lieferanten ein, ohne sie darüber zu informieren, geschweige denn sich mit ihr abzustimmen. „Da stehe ich bei den anderen dumm da, wenn ich nicht einmal darüber Bescheid weiß.“ Quelle: Fotolia
Wo das Chaos regiertWunsch: Bettina O., 38, ist verantwortlich für die interne Kommunikation in ihrem Unternehmen. Sie arbeitet sehr gerne selbstständig und liebt eine „lange Leine“. Von Vorgesetzten braucht sie eigentlich nur eine klare Richtungsvorgabe. Dabei wünscht sie sich auch, dass ihr Chef ein Bild davon hat, was sie tut.Mitarbeiterrealität: Bettina O. stellt ihre Strategie alleine auf. Ihre Vorschläge werden kritisiert, aber Verbesserungshilfen erhält sie keine. Sie sieht ihren Chef nur sehr unregelmäßig: „Er weiß dadurch oft gar nicht, was bei mir los ist. Manchmal besprechen wir meine Prioritäten und später fragt er nach der unwichtigsten davon. Oder er fragt mich, ob ich Zeit hätte, zu einem Meeting zu gehen, obwohl ich ihm kurz vorher gesagt habe, dass ich nicht weiß, wo mir der Kopf steht.“ Quelle: Fotolia
Am Team vorbeigeschautWunsch: Karla D., 42, arbeitet als Psychologin in einer Klinik. Sie schätzt es, sich regelmäßig im Team auszutauschen. Sie wünscht sich, dass Vorgesetzte offen für Verbesserungsvorschläge sind und gute Rahmenbedingungen für ihre Arbeit schaffen: „Eine Führungskraft sollte nicht nur die Sachebene, sondern genauso das Team im Blick haben.“Mitarbeiterrealität: Karla D. erkennt: „Mein Chef vernachlässigt seine Führungsrolle.“ Mitarbeitergespräche gibt es kaum. In der Arbeit mit Patienten erfährt sie Unterstützung, aber nicht, wenn es um ihre Belange geht. Es gab bereits einige längere krankheitsbedingte Ausfälle unter ihren Kollegen, trotzdem ändert der Chef nichts. Auch unterstützt er wenig, dass das Team gemeinsam Fälle bespricht und sich berät. Quelle: Fotolia
Mehr kontrolliert als gearbeitetWunsch: Dieter K., 58, ist Projektleiter. Er arbeitet am liebsten, wann er möchte und so, wie er es für richtig hält. „Mein Chef soll mich einfach in Ruhe meine Arbeit machen lassen. Ich brauche eigentlich nicht unbedingt einen Chef, zumindest keinen, der mir alles vorschreibt“, sagt er. Er wünscht sich eine flexible Gestaltung von Prozessen und Vertrauen von seinem Chef.Mitarbeiterrealität: Dieter K. ärgert sich über seinen Chef: „Ich engagiere mich, arbeite sogar an Urlaubstagen, und wenn ich dann mal aus privaten Gründen nicht da bin, macht er gleich eine große Welle. Wenn ich hingegen etwas von ihm brauche, ist er schwer zu erreichen.“ Auch Kalkulationen für kleinere Standardangebote muss Dieter K. vom Chef absegnen lassen. Der lässt mit einer Antwort aber gerne auf sich warten. Quelle: Fotolia

Wie kann das funktionieren?

Indem sie etwa exterritoriale Räume schaffen, in denen Innovations- und Kreativarbeiter nach anderen Logiken arbeiten können – vom Betreiben von Co-Working-Spaces über die Kooperation mit Open-Innovation-Plattformen bis hin zum Ausgliedern großer Innovationsprojekte. BMW etwa hat für die Entwicklung des i3 eine Enklave der Innovation geschaffen, eigene Werksausweise für die beteiligten Entwickler inklusive.

Was die psychische Gesundheit der Mitarbeiter wert ist
Wer als Arbeitgeber die Gefährdungsbeurteilung bei psychosozialen Risikofaktoren vernachlässigt, muss keine Konsequenzen befürchten. Die zuständigen Landesbehörden für Arbeitssicherheit müssen zwar überwachen, ob sich Arbeitgeber an die Vorgaben zum Schutz vor Stress halten, aber sie dürfen die Unternehmen nur auf die Verletzung der Pflichten hinzuweisen. Erst wenn nach diesem Hinweis innerhalb einer Frist keine Nachbesserung erfolgt, wird ein Bußgeld fällig. Unsere europäischen Nachbarn sind hier wesentlich konsequenter. Quelle: dpa
NiederlandeAuch bei unseren westlichen Nachbarn gilt es nur als Ordnungswidrigkeit, wenn sie sich nicht um die psychische Gesundheit ihrer Angestellten bemühen. Allerdings ist das Bußgeld mit bis zu 76.000 Euro durchaus eine empfindliche Strafe. Umgehen können sie niederländische Betriebe, in dem sie regelmäßig die psychosozialen Risiken ihrer Mitarbeiter durch deren Arbeit bewerten. Diese Gefährdungsbeurteilung erfolgt seit 1997 nach einem Sieben-Schritte-Programm, das als Vorbild einer EU-Kampagne dient. Quelle: REUTERS
LuxemburgAuch Luxemburg hat keine expliziten Pflicht zur Erstellung einer Gefährdungsbeurteilung durch den Arbeitgeber. Wer deshalb aber ganz darauf verzichtet, zu analysieren, ob es den Mitarbeitern gut geht, riskiert im Schadensfall ein Bußgeld von bis zu 25.000 Euro oder eine Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten. Quelle: dpa
ItalienItalienische Arbeitgeber, die sich nicht um die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter kümmern, riskieren ein Bußgeld von bis zu 6.400 Euro oder eine Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten. Quelle: dpa
SchwedenAuch Schwedens Umgang mit der psychischen Gesundheit von Mitarbeitern stand Pate für eine EU-Rahmenrichtlinie zum Arbeitsschutz von 1992. Die Schweden haben die seelische Gesundheit der Mitarbeiter bereits 1977 als schützenswert erkannt. Wer die Arbeitsbedingungen nicht an die physischen und psychischen Fähigkeiten der Beschäftigten anpasst, riskiert eine Geldstrafen von bis zu 11.000 Euro. Quelle: dpa/dpaweb
ÖsterreichAuch in Österreich wird ein relativ hohes Bußgeld fällig, wenn Arbeitnehmer die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter auf die leichte Schulter nehmen. Bis 14.530 Euro können im Schadensfall anfallen. Quelle: dpa
FrankreichFranzösische Arbeitgeber, die die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter riskieren, müssen mit einem Bußgeld von bis zu 3000 Euro rechnen. Fällt ein Mitarbeiter wegen Burnout aus, den der Arbeitgeber hätte erkennen und verhindern können, zählt dies als Arbeitsunfall. In diesem Fall drohen dem Unternehmen Strafen von bis zu 45.000 Euro oder eine Gefängnisstrafe bis zu drei Jahren. Quelle: AP

Klingt eher nach einer Art Innovationskerker als nach freiem Arbeiten in einem demokratischen Unternehmen...

Kein Gefängnis, sondern der Ausbruch aus alten Strukturen. Wie Forschungen des Massachusetts Institute of Technology belegen, entsteht Innovation heute nicht in erster Linie durch singuläre technologische Geistesblitze, sondern durch die Art des Zusammenarbeitens und der Arbeitsorganisation. Unternehmen müssen kreative Ökologien schaffen, innerhalb und außerhalb ihrer Unternehmensgrenzen.

Eine Art deutsches Silicon Valley?

Oder wie das Silicon Wadi zwischen Haifa und Tel Aviv. Also Cluster, Regionen, die technologische Spitzenleistung durch ein kreatives Umfeld befördern.

Was meinen Sie damit?

Eine kulturell attraktive Umgebung, in der technologische Innovation auf dem Nährboden sozialer Innovation gedeiht. Dem Zusammenspiel von Gründerszenen, etablierten Unternehmen, fortschrittlichen Hochschulen, Wagniskapital und Business Angels, bis hin zu einem reichhaltigen Kulturleben und einem geistigen Klima der Toleranz. Denn gute Leute kommen und bleiben auf Dauer nur, wenn die Arbeits- und Lebensqualität stimmt.

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