Ermahnung für etablierte Parteien Zwischenruf aus Karlsruhe entzückt AfD

Die AfD wird in Debatten meist als rechtspopulistisch verunglimpft. Jetzt grätscht der Präsident des Bundesverfassungsgerichts mit mahnenden Worten an die etablierten Parteien dazwischen - zur Freude der Euro-Skeptiker.

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Hans-Olaf Henkel, AfD-Vize: „Nichts ist von „rechts“ oder gar „rechtsradikal“ oder „rechtspopulistisch.“ Quelle: dpa

Berlin Der stellvertretende Sprecher der Alternative für Deutschland (AfD), Hans-Olaf Henkel, hat Äußerungen des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Andrea Voßkuhle, zum Umgang mit eurokritischen Stimmen in der Debatte zur europäischen Integration begrüßt. Schon der frühere Bundespräsident Roman Herzog habe davor gewarnt, die AfD zu marginalisieren, daher sei „Voßkuhles Zwischenruf“ überfällig, sagte der Spitzenkandidat der AfD für die Wahlen zum Europäischen Parlament Handelsblatt Online.

Voßkuhle hatte in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Montagausgabe) betont, dass letztlich nur eine „offene und kritische Auseinandersetzung“ mit Europa und der europäischen Integration Legitimation und Akzeptanz bei den Bürgern schaffen könne. „Deshalb sollte man auch sehr vorsichtig sein mit Etiketten wie „europakritisch“ oder „antieuropäisch“, die von manchen vermeintlichen Europafreunden gerne verwendet werden“, sagte Voßkuhle. „Sie ersetzen kein Argument und führen schnell zum Abbruch des Gesprächs und zu Denkverboten. Das hat einem demokratischen Gemeinwesen noch nie gutgetan.“

Henkel sagte dazu, Voßkuhle sei der AfD damit zur Seite gesprungen. Vielleicht seien seine Äußerungen auch als „Ordnungsruf an die Vertreter der Altparteien“ zu werten. „Frau Kramp-Karrenbauer sollte sich seine Aussagen hinter den Spiegel hängen.“  Die Ministerpräsidentin des Saarlandes, Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), hatte der AfD jüngst fremdenfeindliche Tendenzen attestiert und gesagt: „Was die AfD von sich gibt, ist für mich oft hart an der Grenze zur Verfassungsfeindlichkeit.“ Die Hauptaufgabe im Europawahlkampf werde daher sein, „solche Parolen zu enttarnen und den Wert der EU für Freiheit und Wohlstand zu betonen – gerade angesichts der Ukraine-Krise“.

Henkel sprach von „ungeheuerlichen“ Aussagen und forderte Bundespräsident Joachim Gauck zum Handeln auf. „Da weder die parteiamtliche Vorgesetzte Kramp-Karrenbauers, Angela Merkel, noch die Regierung hier mäßigend eingreifen, müsste der Bundespräsident diesem verantwortungslosen und gefährlichen Treiben jetzt ein Ende setzen“, sagte er. „Ähnlich offene Worte, wie er sie in Istanbul über die Bedrohung von Demokratie und Meinungsfreiheit gefunden hat, müsste er jetzt an Saarbrücken richten.“

Nach Ansicht Henkels zeige das Beispiel der AfD, „wie geschickt die Altparteien es verstanden haben, einen als gefährlich erkannten Konkurrent klein zu halten oder gar unschädlich zu machen“.  Das Muster sei klar: Man muss die Partei nur in die rechtspopulistische Ecke stellen. Die Presse habe das sofort „mitgemacht“, klagte Henkel. „Das führte dazu, dass die einstige „Professoren-“ und „Ein-Themen-Partei“ plötzlich attraktiv für genau solche Typen wurde.“


Bundespräsident soll Saar-Regierungschefin zur Ordnung rufen

Der Spitzenkandidat der AfD für die Wahlen zum Europäischen Parlament räumte ein, dass die AfD am Anfang auch Mitglieder angezogen habe, die aus dieser Ecke gekommen seien. „Wenn erkannt, entledigte man sicher dieser“, betonte der frühere Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). Das habe Ärger nach sich gezogen, über den dann auch wieder „genüsslich“ berichtet worden sei.

„Aus Einzelfällen, die man dann besonders in dieser Partei suchte, wurden für die Partei typische Fälle gemacht“, kritisierte Henkel. „Inzwischen ist das ein medialer „Selbstläufer“. Wenn man jedoch das AfD-Europaprogramm oder ihre politischen Leitlinien betrachte, die morgen veröffentlicht werden, dann werde man feststellen: „Nichts ist von „rechts“ oder gar „rechtsradikal“ oder „rechtspopulistisch“.“

Die AfD hat sich vorgenommen, die Europäische Union (EU) von ihrem Parlament aus zu entmachten. Wahlforscher gehen jedoch bei der Partei nicht von einer dauerhaften Erscheinung aus. Dabei kommt das klare Feindbild „EU“ bei einem kleinen, aber wachsenden Teil der Wähler gut an. Obwohl die Euro-Kritiker um den Hamburger Makroökonomieprofessor Bernd Lucke wie die Kesselflicker streiten, liegt die AfD in Umfragen seit Wochen konstant zwischen sechs und neun Prozent. Schon bei der Bundestagswahl scheiterte sie mit 4,7 Prozent nur knapp an der Fünf-Prozent-Hürde, die ohnehin bei der Europa-Wahl nicht gilt.

Seit der Bundestagswahl im September hat sich die AfD gewandelt. Waren es bis dahin zuweilen professoral vorgetragene Bedenken gegen die Rettung von Euro-Krisenstaaten vor der Pleite, nehmen seitdem die Angriffe auf die EU an Schärfe zu. Jüngstes Beispiel ist ein Plakat, das den nordkoreanischen Herrscher Kim Jong Un zeigt mit der Aufschrift: „Was haben das dicke koreanische Kind und die EU gemeinsam? Das Demokratieverständnis.“

Die Wahlwerbung des Wolfsburger AfD-Kreisverbandes wird in der Parteiführung zwar als „absolut überspitzt“ gewertet. Trotzdem wurde das Plakat bislang nicht aus der Internet-Seite des Kreisverbandes entfernt. „Dazu ist zu sagen, wir haben in der Partei nicht eine Kultur, die grundsätzlich irgendwelche Plakate den Kreisverbänden verbietet“, erklärt Parteisprecher Christian Lüth. Dies geschehe nur bei grundgesetzwidrigen Inhalten.

In den zunehmenden Verbalradikalismus der AfD mischen sich auch Forderungen, die den Euro-Gegnern den Vorwurf des Rechtspopulismus eintragen. So halten SPD und Grüne ihnen vor, ausländerfeindliche Klischees zu fördern, indem sie suggerierten, nach Deutschland kommende Rumänen hätten es auf Sozialleistungen abgesehen. Die unterkühlte Reaktion des AfD-Chefs Lucke auf das mutige Outing des schwulen Fußballprofis Thomas Hitzlsperger trug ihm zudem den Vorwurf ein, homophobe Tendenzen in der Bevölkerung anzusprechen.


Wahlforscher sehen Zukunft der AfD skeptisch

Der Rechtsruck hat bereits zu schweren Verwerfungen in der jungen Partei geführt. Die frühere Parteisprecherin Dagmar Metzger verließ die Spitze der Partei und gründete mit Gesinnungsgenossen „Kolibri - Konservative und Liberale in der AfD“. In ihrem Manifest heißt es: „So muss sich auch die AfD insgesamt fragen, ob sie in der Zukunft den politischen Opportunisten, zu kurz gekommenen Wüterichen, radikalen Reaktionären oder ganz allgemein dem Chauvinismus und dem Hass - sei es auf die EU oder auf Minderheiten - eine Heimat sein möchte.“

Parteichef Lucke hat sichtlich Schwierigkeiten, die innerparteilichen Proteste klein zu halten. Beim Erfurter Partei im März scheiterte er mit einem Antrag, durch eine Satzungsänderung der Parteispitze mehr Kompetenzen einzuräumen. In einer hitzigen Debatte warfen ihm Delegierte autokratisches Verhalten vor.

Doch nicht nur mit ihren rechtspopulistischen Tendenzen begibt sich die AfD ins politische Abseits. In ihrem Europa-Wahlprogramm fordert die AfD unter anderem das Ende des Euro. Es ist so gut wie ausgeschlossen, dass eine der Bundestagsparteien dies mittragen würde - sogar die die Euro-Rettungspolitik ablehnende Linkspartei bekennt sich zu der Einheitswährung.

Auch wegen dieser fehlenden Machtperspektive sehen Wahlforscher die Zukunft der AfD und deren Chancen bei der Bundestagwahl 2017 skeptisch. „Kaum eine neue Partei hat sich je durchgesetzt“, sagte Oliver Krieg von Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid der Agentur Reuters und verweist auf die Piratenpartei. Zudem scheint sich die Euro-Krise abzuschwächen, was zur Lasten der AfD gehen dürfte.

„Das hält nicht ewig, auch die rechtsradikalen Republikaner waren seinerzeit im Europa-Parlament und sind jetzt wieder weg“, urteilte auch Forsa-Chef Manfred Güllner. Ohnehin ist es seiner Ansicht nach nicht der Euro-kritische Kurs, der der AfD die Wähler zutreibt. „Der Hauptgrund für die Wahl der AfD ist eine systemkritische, auch demokratiekritische Einstellung.“ Ihre Anhänger seien voller Wut und Abstiegsängsten.

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