EZB-Anleihekaufprogramm Draghi greift bei Staatsanleihen noch einmal zu

Es wird eng für die EZB: Bald dürfte es weniger europäische Staatsanleihen am Markt geben, die sie erwerben kann. Erste Stimmen fordern eine Anpassung der Ankaufvolumina. Ein Direktoriumsmitglied hat eine klare Meinung.

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Der EZB-Chef will monatlich für 60 Milliarden Euro Staatsanleihen kaufen. Quelle: dpa

Düsseldorf Für Mario Draghi ist hinter der dunklen Wolke über den Anleihemärkten ein Silberstreifen am Horizont erkennbar: Sechs Wochen quantitative Lockerung hatte die Renditen der Staatsanleihen mitunter auf ein Niveau gedrückt, das rund acht Prozent der Bonds vom EZB-Kaufprogramm ausschloss. Der jüngste Kursrückgang und Anstieg der Renditen füllt jetzt den Vorrat wieder auf. Diese Korrektur erleichtert dem EZB-Präsidenten und seinen Kollegen ihre Aufgabe, denn sie müssen sich auf einen Engpass vorbereiten: Im August verflüchtigt sich gewöhnlich die Marktliquidität.

Die Währungshüter waren bislang in der Lage, ihr monatliches Ankaufziel von 60 Milliarden Euro an Wertpapieren zu erreichen, das mindestens bis September kommenden Jahres laufen soll. Wegen des drohenden Anleiheengpasses forderten erste stimmen jedoch bereits, die Ankaufvolumina dem geringeren Angebot anzupassen. EZB-Direktoriumsmitglied Yves Mersch erteilte diesem Ersinnen jedoch am Montag eine harsche Absage.

Die EZB solle weiter an den Märkten intervenieren, um ihr Inflationsziel von knapp zwei Prozent zu erreichen. Man müsse die Geschwindigkeit und das Volumen der Eingriffe beibehalten, sagte der luxemburgische Währungshüter auf einer Konferenz in Stockholm laut Redemanuskript. Doch leichter gesagt als getan.

Einige kleinere nationale Notenbanken hatten aber bereits Schwierigkeiten, genügend Anleihen zum Kauf zu finden. Das schürt Spekulationen, dass die Aufgabe der EZB schwieriger wird, weil der Mangel an Anleihen im Laufe der Zeit eher noch zunehmen dürfte: Regierungen mühen sich derzeit, die Neuverschuldung im Zaum zu halten und emittieren weniger neue Anleihen.

„In den Sommermonaten geht es tendenziell sehr ruhig zu, mit schlechterer Liquidität und beträchtlich weniger Anleiheemissionen”, fasst es Michael Riddell, Portfoliomanager bei M&G Group in London, zusammen. „Bislang schien die EZB entschlossen genug, sich weiter durchzubeißen, egal wie die Marktlage aussah. Eine Änderung des Tempos der Ankäufe ist möglich, aber wohl eher unwahrscheinlich.”


EZB hatte sich bislang flexibel gezeigt

Seit 2008, als der Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers zur globalen Finanzkrise führte, hat das Volumen der im August gehandelten Bund-Futures in sechs von sieben Jahren unter dem Monatsschnitt gelegen. Der Indikator für die Liquidität signalisiert bereits jetzt eine abnehmende Aktivität: Die Handelsvolumina erreichten im vergangenen Monat den niedrigsten Stand seit Dezember, womit es der schwächste April seit dem Jahr 2000 war. Im Sommer seien die Märkte gewöhnlich weniger liquide, erklärt Bundesbank-Vorstand Joachim Nagel. Dies gelte sogar für das Segment der Staatsanleihen.

Dünnere Volumina hatten den Verfall an den Anleihemärkten in den vergangenen drei Wochen noch verschärft. Die deutsche Renditekurve verlief so steil wie seit fünf Monaten nicht mehr. An den globalen Rentenmärkten wurden mehr als 400 Milliarden Dollar Dollar an Wert vernichtet.

„Es wäre absolut sinnvoll, wenn die EZB ihre Käufe an Nettoangebot und Liquidität anpassen würde – der Markt würde das verstehen und wäre wahrscheinlich sogar erleichtert“, sagt Karsten Junius, Chef-Volkswirt bei Bank Safra Sarasin in Zürich. „Sie müssten nur vor dem Sommer einen Hinweis darauf geben, damit der Markt nicht davon überrascht wird und es als Reduzierung interpretiert.“

Die EZB hat sich bereits in der Vergangenheit flexibel gezeigt. So wurde die vorzeitige Rückzahlung langfristiger Kredite zum Ende der vergangenen beiden Jahre aufgrund der zu erwartenden niedrigen Zinsen ausgesetzt. Zudem haben EZB-Entscheider wie Direktoriums-Mitglied Yves Mersch angedeutet, dass das Tempo bei den Zukäufen je nach Inflationsausblick angepasst werden könnte.

Im Moment hilft der Ausverkauf an den Anleihemärkten der EZB, was auch Bundesbank-Vorstand Nagel bestätigte. Die Kursentwicklungen der vergangenen Wochen seien seinen Worten nach begrüßenswert, weil sich damit das Spektrum der Vermögenswerte erweitert habe. Die EZB kauft Staatsbonds mit Laufzeiten zwischen zwei und 30 Jahren mit einer Rendite, die nicht unter ihrem Einlagensatz von derzeit minus 0,2 Prozent liegen darf.


„EZB könnte an ihre Grenzen stoßen“

Vor dem Kursrutsch waren deutsche Bundesanleihen mit einer Restlaufzeit von bis zu vier Jahren unzulässig für das Programm, ebenso wie zweijährige Papiere aus Ländern wie Österreich, Belgien, Finnland und den Niederlanden. Zum 23. April erfüllten Anleihen im Wert von 548 Milliarden Dollar am 6,2 Billionen Dollar schweren Markt nicht die Voraussetzungen, um im Rahmen des QE-Programms erworben zu werden. Vergangene Woche belief sich der Wert der Anleihen mit Renditen unter dem Einlagensatz nur noch auf 183 Milliarden Dollar.

„Wir könnten das als etwas Positives betrachten, da der EZB mehr zum Ankauf zur Verfügung steht”, sagte Richard McGuire, Leiter europäische Zinsstrategie bei Rabobank International in London. „Doch auch der gesamte Marktumfang ist gesunken” und das bedeute, dass die EZB früher an ihre Grenzen stoßen könne.

Kleinere Staaten haben bereits damit Probleme, genügend Staatsanleihen zu finden. Estland kauft zum Beispiel überhaupt keine. Lettland und Litauen erwerben proportional betrachtet weniger als sie eigentlich sollten und gleichen die Lücke mit dem Erwerb von Anleihen supranationaler Institutionen –wie den Rettungsfonds ESM und EFSF – aus.

Angesichts der Möglichkeit, dass auch anderen Ländern ähnliche Herausforderungen bevorstehen könnten, schloss Draghi eine Nachoptimierung des QE-Programms nicht aus. „Auch wenn es derzeit keinen Grund gibt, die Zusammensetzung der Ankäufe zu ändern, ist das Programm doch flexibel genug, um angepasst zu werden”, schrieb der EZB-Chef in einem Brief an einen europäischen Abgeordneten, der am 8. Mai veröffentlicht wurde. Der Kaufplan gehe „reibungslos voran” und Sorgen über die Knappheit an Anleihen seien daher „zu diesem Zeitpunkt nicht gerechtfertigt”, erklärte Draghi.

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