Fahrbericht Renault Talisman Grandtour Die feine französische Art Passat zu fahren

Der Talisman soll die Zeiten, in denen der Laguna mehr Werkstätten als Herzen eroberte, vergessen machen. Um Passat-Fahrer zu überzeugen braucht es zwar etwas Glück. Doch das dürfte bei dem Namen ja kein Problem sein.

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Mit dem Talisman Grandtour hat Renault einen optisch markanten Kombi am Start, der allerdings in der Mittelklasse auch gegen starke Mitbewerber antritt. Als einziger bietet der Franzose allerdings in der Topversion Initiale Paris eine Allradlenkung. In der zweithöchsten Ausstattungslinie Intens kostet die technische Raffinesse 1700 Euro Aufpreis. Quelle: Florian Hückelheim

Düsseldorf Vel Satis, Safrane, Avantime, Latitude, Fluence: In den Firmenfuhrparks, in der Welt der Geschäfts- und Firmenwagen haben diese Renault-Namen keine tiefen Spuren hinterlassen. Und jetzt kommt ein Flaggschiff mit 1,6-Liter-Maschine? Das ist aber ungewöhnlich klein!

Doch da sich Renault in der oberen Mittel- und Oberklasse seit Jahren zurückhält, ist der neue Talisman (neben dem Espace) zurzeit das Größte, und auch Eleganteste, was die französische Traditionsmarke auffährt. Heißt das, man muss Abstriche machen? Immerhin: Kopfschütteln kann außer der bescheidenen Hubraumgröße des Testwagens auch dessen Namensgebung hervorrufen.

Denn eigentlich ist ein Talisman ja ein recht kleiner Glücksbringer, doch mit der Grandtour-Version des Laguna-Nachfolgers fahren wir einen ausgewachsenen Passat-Gegner, der zwischen 572 und 1681 Litern Gepäck schluckt, und mit der Allradlenkung 4control sogar technische Finessen an Bord hat, die man bislang eher von Porsche kennt. Getestet haben wir den aktuell größten Diesel, den DCI 160 mit, Sie ahnen es schon, 160 PS.

Doch die ersten Eindrücke sind überzeugend: Ein großes, ein stilsicheres Auto. Die neue Designsprache bringt eine modern-dynamisch-kraftvolle Präsenz auf den Asphalt, die wir so von Renault noch gar nicht kannten. Die auffälligen Sicken in der Motorhaube und an den unteren Türkanten sowie der geschärfte Blick des LED-Tagfahrlichts verfehlen ihre Wirkung nicht. Das zeigen auch die Reaktionen neugieriger Nachbarn: Gleich mehrere sprechen uns auf den „schönen neuen Kombi“ an. Die große Renault-Raute als Logo im chromglänzenden Kühlergrill, das ist sicher Geschmacksache. Aber wer würde angesichts dieser markanten Alternative im gehobenen Establishment dem tristen Vorgänger Laguna auch nur eine Träne nachweinen?

Auch der großzügige Innenraum kommt bei den Neugierigen auf den ersten Blick gut an, jedoch bleiben auch die meisten an dem prominenten Touchscreen hängen und fragen sich: Wie viel Zeit muss ich investieren, bis ich die wichtigsten Funktionen gefunden habe? Vom Startbildschirm aus erreichen wir Radio, Navigation und Lüftungseinstellungen schnell und unkompliziert. Wer tiefer in Fahrzeugeinstellungen einsteigen möchte, braucht bisweilen das Handbuch für die ersten Schritte. Doch später mehr dazu.

Abgesehen vom Kachel-Chic der Menüs sind auch die Touch-Felder neben dem Bildschirm Geschmacksache. Mit ihnen regelt man beispielsweise die Lautstärke des Radios oder schaltet die Anzeige komplett aus. Die Frage, ob Fingertatscher und fehlende haptische Rückmeldung auch abseits des Touchscreens sein müssen, muss jeder Nutzer für sich selbst beantworten.

Von außen betrachtet ist die Fünf-Meter-Marke fast erreicht, der Kombi misst mit 4866 Millimetern anderthalb Zentimeter mehr als die ebenfalls riesige Talisman-Limousine. Innen gibt es feine Zutaten schon zum Basispreis. Der in drei Ausstattungsvarianten angebotene Talisman hat unter anderem immer Einparkhilfe hinten, 2-Zonen-Klimaautomatik und das Online-Multimediasystem R-Link 2 mit Touchscreen sowie „Multi-Sense“ an Bord, mit dem sich Fahrerlebnis und Innenraumambiente individuell abstimmen lassen. Die Allradlenkung namens „4control“ und ein adaptives Fahrwerk bietet allerdings nur die Topversion ab rund 42.000 Euro.

Beim Stichwort Allrad- oder Hinterachslenkung werden sich einige erinnern: Das ist keine komplette Neuentwicklung, die Technik mit den geringfügig einschlagenden Hinterrädern hatte Renault auch beim Problemkind Laguna 2010 schon mal im Angebot, bei den GT-Modellen. Ohne damit allerdings große Erfolge zu feiern.

Was bringt das 1900 Euro teure System (inklusive 19-Zoll-Alus und adaptivem Fahrwerk) also im Modelljahr 2016? Bei niedrigem Tempo – bis 50 km/h – lenken die Hinterräder entgegengesetzt zu den vorderen und reduzieren so den Wendekreis, erhöhen besonders im Stadtverkehr die Wendigkeit, was für einen Kombi schon ein Vorteil ist. Bei höheren Geschwindigkeiten steuern die Hinterräder in die gleiche Richtung wie die Vorderräder.

So bleibt das Fahrzeug zum Beispiel bei plötzlichen Ausweichmanövern besser beherrschbar, der Geradeauslauf und die Spurstabilität rechtfertigen außerdem die Metapher „wie auf Schienen“. Vorteile bringen die gegenläufig einschlagenden Hinterräder außerdem beim Einparken und Wendemanövern, da der Wendekreis sich durch 4control um rund einen Meter reduziert.


Die nerven, die Assistenten

Innen überrascht außer dem Infotainment auch das wirklich großzügige Raumangebot, das jeden der einsteigt, erst mal ausatmen und sich umschauen lässt: Wow, das ist aber mal ein komfortabler Kombi! Das Sitzgefühl ist gut, Kopf- und Kniefreiheit passen auf allen Plätzen auch zu XL-Erwachsenen. Die Übersicht wird aber durch mächtige A- und C-Säulen eingeschränkt.

Und wie der siebensitzige Crossover Espace kommt der französische Passatkonkurrent mit einem wirklich großen Touchscreen und neuer Technik unterm Armaturenbrett. R-Link und Sense Me, das klingt so gar nicht französisch, und doch sind es Eigenentwicklungen der Gallier. Sie bezeichnen das Multimedia-Infotainment mitsamt Bedienung der wichtigsten Fahrzeugfunktionen über einen wirklich großen Touchscreen, sowie die Wahl zwischen fünf verschiedenen Fahrmodi.

Nicht ganz intuitiv funktioniert das Ganze, und es ist auch nicht vollständig während der Fahrt zu erlernen, aber doch übersichtlich strukturiert und bei aller Informationsflut nicht nervig. Wer aber bis ins letzte Detail alles entdecken und auf persönliche Bedürfnisse einstellen will, sollte Standzeit für ein paar Lektionen einkalkulieren, nicht alles ist logisch strukturiert. Und da ist es dann letztlich doch schade, dass sich manche Einstellungen eben ausschließlich über den Touchscreen einstellen lassen.

Ein gutes Gefühl vermitteln dem Talisman-Interessenten die Materialien und deren Verarbeitung: Nicht auf Passat-Niveau, aber vieles ist nah dran. Eher aufgeschreckt haben uns die Abstandwarner, die äußerst sensibel auf kratzerfreien Erhalt von Lack, Blech und Insassen eingestellt sind. Sie piepen manchmal schon los, wenn sich nur auf der benachbarten Fahrspur ein Auto nähert, während man selbst vor der roten Ampel steht.

In einer engen, bewachsenen Hofeinfahrt wird jeder Strauch als Feind des wunderschönen dunkelbraunen Metalliclacks erkannt, und das Gepiepe nimmt gar kein Ende mehr. Auch bei steilen Garageneinfahrten sahen vor allem die Frontsensoren öfters ein Hindernis, das keines war.

Einem der vielen Nachbarn, denen der neue Testkandidat überhaupt aufgefallen ist, gefällt das Blinkergeräusch nicht. Es klingt tatsächlich auch nicht wertig, lässt sich aber zum Glück in mehreren Stufen in der Lautstärke anpassen.

Im Gegensatz zum Super Sound-System von Bose mit guter Dynamik auf allen Plätzen und knackigem Bass sowie dem rauschfreien DAB+-Empfang an Bord ist, konnte der Totwinkelwarner nicht überzeugen, er warnte oft viel zu spät.

Der Vierzylinder-Frontmotor, der maximal 340 Newtonmeter Drehmoment an die Kurbelwelle wuchtet, verleugnet nicht, dass er zur Gattung der Selbstzünder zählt. Im kalten Zustand ist er ein wenig laut, ansonsten ist das gesamte Fahrzeug aber so gut gegen Außengeräusche gedämmt, dass es als Reise- und Langstreckengefährt prädestiniert ist. Dazu passen auch die Massagesitze, die für jeden Rücken und jede Verspannung ein Programm parat halten und zudem neben der Heizung auch eine Sitzkühlung bieten. Kleiner Mangel: Wenn man die Musik ausmacht, hört man bei der Massage das Sitzleder leise knarzen. Wer sensibel ist, greift vielleicht besser zum Textilbezug. Dann muss er aber auch auf die Massagefunktion verzichten.


Nicht schnell, aber wirksam

Für erfolgreiche Ampelsprints und eindrucksvolle Drehmomentwogen beim Schalten ist der Diesel mit seinen 1600 Kubikzentimeter Hubraumvolumen etwas zu klein. Zwar wird er im Alltag gut mit den mindestens 1597 Kilo Fahrzeuggewicht fertig, vermittelt aber wenig Souveränität. Beim Sprint aus dem Stand auf Landstraßentempo vergehen fast 10 Sekunden, und das Hochbeschleunigen von Richt- bis Höchstgeschwindigkeit (215 km/h) hat so seine zähen Momente.

Dafür entschädigt der genügsame Verbrauch: Auf dem Berufsweg mit mehr als 80 Prozent Autobahnanteil im Eco-Modus schafften wir 4,4 Liter Diesel. Im Sportmodus und eilig auf der linken Spur unterwegs kann man diesen Wert aber leicht verdoppeln.

Die Automatik hat uns im Sport- und Comfort-Modus überzeugt, sie macht alles richtig und ist zügig bei der Sache. Den Neutral-Modus braucht man nicht unbedingt, er unterscheidet sich auch kaum von der Eco-Einstellung, für die es sogar noch mal eine Extra-Taste gibt.

Das Head-up-Display ist die bekannte preiswerte Lösung mit der Plastikscheibe, doch sie erfüllt ihre Pflicht und lässt sich ebenso wie Sitz und Lenkrad gut an alle Körpermaße und Sitzhaltungen anpassen. Kleiner Wehrmutstropfen: Wo in höheren Klassen Navigationsanweisungen mehrfarbig dargestellt werden, bietet die Talisman-Version im Head-up-Bereich nur die notwendigsten Fahrinformationen.

Ein wichtiges Kaufargument beim Kombi ist die Zuladung. Was der große Talisman kann, zeigt unsere Vergleichstabelle, in der er hinter Mondeo, Passat und Octavia liegt:

Modell

Seat


Leon ST
Ford Mondeo


Turnier
Opel Astra


Sports Tourer

Stauvolumen / L

587 - 1470489 - 1740540 - 1630

Modell

Volkswagen


Passat Variant
Hyundai


i30 cw
Peugeot


308 sw

Stauvolumen / L

639 - 1769528 - 1648610 - 1660

Modell

Skoda


Octavia Combi
Mazda6


Kombi
Renault Talisman


Grandtour

Stauvolumen / L

610 - 1740522 - 1664572 - 1681

Was vom Testwagen über den Tag hinaus in Erinnerung bleiben wird, ist seine überraschend große Außenwirkung. Allerdings: Die Paris-Initiale-Top-Variante mit den vielen schönen Einbauten, die Renault dem Testobjekt spendiert hat, heben dessen Preis auf stattliche 45.000 Euro. Das ist weit weg vom Basispreis von knapp 29.000 Euro.

Ist er ein harter Konkurrent für den Passat? Mit Blick auf einige Detailschwächen und die ungebrochene VW-Vormachtstellung in den Firmen-Fuhrparks wohl eher für Ford Mondeo, Mazda 6, und Skoda Octavia, und damit auch keine Gefahr für Mercedes C-Klasse, Audi A4 und BMW 3er in der jeweiligen Lademeister-Version. Der französische Glücksbringer punktet mit einem großzügigen Raumgefühl, guter Ausstattung, langer Herstellergarantie, viel Komfort und technischem Vorsprung dank 4control. Diese eigenen französischen Akzente werden den Platzhirschen keine Kopfschmerzen bereiten. Aber es wird reichen, um den Laguna endlich vergessen zu lassen, und uns wieder an Vel Satis, Avantime, Safrane, Latitude und Fluence zu erinnern.

Renault Talisman Grandtour


dCi 160 EDC Initiale Paris

Technische Daten

MotorVierzylinder-Diesel, Turbo
Hubraum1.598 cm³
Leistung118 kW / 160 PS
Max. Drehmoment380 Nm
AntriebFrontantrieb
Getriebe7-Gang-Automatik mit Doppelkupplung
Preisab 42.700 Euro

Fahrleistungen

Höchstgeschwindigkeit215 km/h
Beschleunigung 0 - 100 km/h9,4 Sek.

Verbrauch & Emissionen

Innerorts5,1 l/100 km
Außerorts4,2 l/100km
Kombiniert4,5l /100km / 118g/km
SchadstoffklasseEuro6


Maße und Gewichte

Länge4,85 m
Breite1,87 m
Höhe1,46 m
Leergewicht1.597 kg
Zuladung525 kg
Stauvolumen572 - 1.681 l
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