80ster Geburtstag George Soros: Der dubiose Super-Spekulant

Er bangt um Europa und findet es okay, gegen den Euro zu wetten; er kritisiert einen Krieg und kauft Rüstungsaktien: George Soros ist der Wolf im Schafspelz. Der Super-Investor sagt, er spiele nach den Regeln – nur seien die zu lasch. Am 12. August feiert der umstrittene Börsenprofi seinen 80. Geburtstag.

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Super-Investor George Soros Quelle: AP

In Essen soll an diesem heißen Sommerabend über die Verbesserung der Welt geredet werden. Die Stiftung Mercator, finanziert von den Familien der Metro-Gründer Wilhelm und Ernst Schmidt, hat in die Philharmonie gebeten. 300 Gäste – Politiker, Wissenschaftler, Unternehmer – hängen an den Lippen des grauhaarigen Mannes auf dem Podium, fragen ihn artig um Rat: Wie denn der Euro zu retten sei?

Ausgerechnet ihn. George Soros, den größten Finanzjongleur, den das „Wall Street Journal“ verdächtigte, gegen den Euro zu spekulieren. Und trotzdem kommt es heute keinem in den Sinn, ihn als Verursacher von Krisen zu beschuldigen. Niemand, so scheint es, nimmt ihm sein auf elf Milliarden Dollar geschätztes Vermögen übel. Dabei sitzen auch gestandene Sozialdemokraten im Publikum. Sie zucken nicht mal, als Soros nicht ausschließen mag – bei aller Sorge umEuropa –, auch gegen den Euro zu wetten.

Der nächste Morgen, im Frühstücksraum des Essener Sheraton. Soros hat anstrengende Tage hinter sich. „Soros: Die Deutschen treiben Europa in die Deflation“ titeln die Zeitungen und "Soros: Deutschland sollte raus aus dem Euro“. Wie ein Wanderprediger ist er durch die Lande gezogen, hat beim Bankengipfel in Wien gesprochen, an der Berliner Humboldt-Universität, gestern in Essen.

Vorbildliches China

Am 12. August feiert Soros seinen 80sten Geburtstag, doch er denkt schnell, ist gründlich informiert und auf dem letzten Stand. Sein Gedächtnis ist phänomenal, er erinnert sein Gegenüber an Debatten, die beide vor 17 Jahren geführt haben. Nur zwei Wochen ist es her, dass er in der Wiener Hofburg die globale Bankelite schockiert hatte. Der von Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann geführte Bankenverband IIF wollte der Welt zeigen, dass Regulierung Arbeitsplätze vernichtet. Dass sie auf Soros nicht zählen konnten, hatten die Banker geahnt. Und tatsächlich: Ruhig und mit fester Stimme hatte er seine gängigen Thesen skizziert. Kreditderivate seien eine „Lizenz zum Töten“, alle Regulierungsvorschläge zu lasch. Doch dann das: Die Aufseher sollten sich ein Beispiel an China nehmen, das zentral bestimme, wie viel Kredit die Banken welcher Industrie geben.

Ausgerechnet China. Wie er, Schüler des Philosophen Karl Popper und überzeugt von dessen Idee einer offenen Gesellschaft, eines der unfreisten Länder der Welt als Vorbild nennen könne, hatte ihn ein Zentralbanker gefragt. Die Frage war ihm sichtbar unangenehm, schließlich wand er sich heraus: Auch der im Westen herrschende „Marktfundamentalismus“, der den Egoismus über das Gemeinwohl stelle, bedrohe die freie Gesellschaft.

Soros, der gute Spekulant

George Soros, ein lebender Widerspruch. Spekulant und Menschenfreund, Befreier Osteuropas und China-Fan? Im Gespräch mit der WirtschaftsWoche legt er nach: „Zurzeit ist die chinesische die am besten funktionierende Regierung.“ Aber China ist doch eine Diktatur? „Richtig. Freie Märkte müssten doch besser sein als eine Diktatur! Also machen wir etwas falsch.“

Soros erklärt China, die Welt – und Europas Schuldenkrise: „Wir haben es in Europa nicht mit einer Krise der Währungen oder der Staatshaushalte zu tun, sondern mit einer Bankenkrise.“ Die Banken sitzen auf Anleihen der Staaten, die eine Immobilienblase hatten. Nun seien diese Anleihen entwertet, die Banken zögerten, Kredite zu vergeben, und bremsten die Wirtschaft. Sparprogramme würden eine Abwärtsspirale einleiten, die zu Deflation und Stagnation führen würde. Deshalb müsse Deutschland etwas tun: „Mehr Geld ausgeben und für Wachstum sorgen.“

Einige Kinder mit einer Quelle: AP

Das ist ziemlich genau das Programm, das US-Präsident Barack Obama auf dem G20-Gipfel in Toronto Ende Juni gern Deutschland verordnet hätte – nicht ohne den Hintergedanken, damit die amerikanische Konjunktur zu stützen.

Geld ausgeben ist schöner als sparen, deshalb hört das Publikum diese Vorschläge gern. Mehr Wachstum durch Staatsgeld schadet nebenbei auch Soros’ Hedgefonds nicht, in dem konjunkturabhängige US-Konsumaktien und Energiewerte stecken. Populär macht den Spekulanten das Einschlagen auf die richtigen Personen: Ursache der Krise sei der Marktfundamentalismus und schuld am dem seien Ronald Reagan und Margaret Thatcher. Unregulierte Finanzmärkte würden nicht von selbst zu einem Gleichgewicht finden.

Doch Soros, der Rufer nach dem Staat, ist nur ein Teil dieser komplexen Persönlichkeit. Ihr Kern ist Soros, der Geschäftsmann, der Spekulant. Einen Namen hat sich der gebürtige Ungar durch seinen Quantum Fund gemacht. Im Durchschnitt gewann der Hedgefonds seit seiner Gründung 1969 rund 30 Prozent – pro Jahr. Selbst 2008, im schlimmsten Jahr der Finanzkrise, legte Quantum zehn Prozent zu. 2009 war mit acht Prozent Gewinn nicht berauschend, weltweit legten Aktien 23,5 Prozent zu. Soros strich dennoch das zweithöchste Salär aller Hedgefondsmanager ein: Laut dem Fachmagazin „Absolute Return + Alpha“, das jährlich anteilige Gebühreneinnahmen und Gewinne der Manager schätzt, kassierte Soros 3,3 Milliarden Dollar.

Soros, der böse Spekulant

2010 schaffte er bisher nur zwei Prozent plus. Doch für seine Investoren zählen einzelne Jahre wenig. Wer 1969, im Gründungsjahr von Quantum, 1000 Dollar investierte, wäre 30 Jahre später Besitzer von etwa vier Millionen. Die Rechnung hakt nur an einem Punkt: 1000 Dollar sind keine Summe, mit der man Zugang zu Quantum bekommt.

In die Geschichte ging Soros am 16.  September 1992 ein, am „Schwarzen Donnerstag“, als er mit anderen Fonds das überbewertete Pfund Sterling aus dem Europäischen Währungssystem katapultierte. Er gewann eine Milliarde Dollar und einen Ruf wie Donnerhall: „Der Mann, der die Bank of England sprengte.“

Wegbegleiter bescheinigen ihm ein besonderes Gespür für nahende Umbruchsituationen, für Revolutionen. Er selbst spricht von einem instinktiven Gefühl, das ihn befalle, „wie einen Hund das Jagdfieber, wenn er die Witterung einer möglichen Beute aufnimmt“. Sein ehemaliger Fondsmanager Stanley Druckenmiller sagt, Soros könne wie kaum einer zwischen den Zeilen von Bilanzen lesen. James Chanos, eine andere Hedgefondslegende, lobt seine Fähigkeit, „von heute auf morgen von der Spekulation auf steigende Kurse auf fallende umzuschalten“.

Die Wurzel dieses „Radars für Revolutionen“ liegt vermutlich ganz außerhalb der Wirtschaft, in Soros’ Jugendzeit in Ungarn. Er stammt aus einer jüdischen Familie und war kaum 14, als die Deutschen im März 1944 Ungarn besetzten und 600.000 ungarische Juden ermordeten. Kleinste Zeichen in der von Deutschen und ungarischen Nazis wimmelnden Großstadt Budapest zu registrieren, auf scheinbar belanglose Veränderungen schnell zu reagieren, das konnte damals über Leben und Tod entscheiden. Sich versteckt halten, falsche Papiere besorgen, sie verteilen und trotzdem unbemerkt bleiben – das war die Aufgabe, und diese Erfahrungen prägten sein ganzes Leben.

Seine Stärke liegt in der Fähigkeit, Erwartungen anderer Marktteilnehmer zu erahnen und danach handeln zu können. Er wettet offensichtlich auf eine Periode hoher Energiepreise und schwacher Währungen: Soros investiert in die Öl- und Gasindustrie und in Gold – trotz seiner Warnung, dass Gold dabei sei, die nächste große Blase zu bilden. Bis die platzt, will er daran verdienen. „Wenn ich als Spekulant eine Blase sehe, dann kaufe ich, weil ich erwarte, dass sich die Blase aufbläht.“

Hedgefondslegende George Soros Quelle: Ingo Rappers für WirtschaftsWoche

„Er ist Hedgefondsmanager und wird nie etwas sagen, was seinen Investments schaden könnte“, sagt ein Londoner Banker. Nach einer Rede in der Londoner City versuchten Banker vergeblich, ihm etwas zum Pfund und zum Ölpreis zu entlocken. Unbedingt reden wollte er über Griechenlands Schuldenspirale. In der „Financial Times“ fragte Gordon Gemmill, emeritierter Professor an der Warwick University in Coventry:„Wenn Mr Soros wirklich glaubt, dass Griechenland aus der Euro-Zone aussteigen wird, dann ist die einfachste Art von dieser Prognose zu profitieren, Derivate auf griechische Anleihen zu kaufen. Vielleicht kann er uns verraten, ob er das schon getan hat?“ Doch in die Karten schauen lässt sich Soros nicht.

Der Spekulant steht hier im Widerspruch zu dem liberalen Politiker, auf den die Welt hört. Er glaubt, das trennen zu können. Von Moral auf dem Markt hält er nichts. Sein Denken ist durchaus konsistent: „Man kann den Marktteilnehmern nicht überlassen, den Markt zu regulieren“, sagt er. „Ich spiele nach den jeweils geltenden Regeln auf dem Markt“ – wobei er bereit ist, bis an deren Grenzen zu gehen. Aber: „Wenn es darauf ankommt, welche Regeln gelten sollen, bemühe ich mich, das öffentliche Interesse vor mein eigenes zu stellen.“

Soros, der Weltverbesserer

„Ich bin Wohltäter aus Langeweile“, bekennt er. Das Gespür für Umbrüche verließ ihn auch hierbei nicht. Seine Stiftung, das Open Society Institute, spielte eine herausragende Rolle beim Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa. Soros, ganz effizient, fand Hebel, die mit wenig Aufwand viel veränderten. Unvergessen bleibt die erste Aktion seiner Stiftung 1988, im noch kommunistischen Ungarn, als er Bildungseinrichtungen 200 Xerox-Kopierer schenkte und damit im Alleingang das Informationsmonopol der Partei brach.

Warum aber siedelt er, der doch das Gemeinwohl im Auge hat, Quantum auf den niederländischen Antillen an, dort, wo kein Regulierer und keine Steuerbehörde etwas zu melden hat? „Das sehen Sie falsch“, sagt er. Das Fondsmanagement sitze in den USA, nur die Fonds seien offshore angesiedelt. „In Europa denkt man, das sei eine Konstruktion, um Regulierung und Kontrolle zu vermeiden. Doch alles, was ich verdiene, unterliegt den US-Steuergesetzen. Der Sitz außerhalb der USA hat damit zu tun, dass die meisten Investoren der Quantum Funds keine US-amerikanischen Bürger sind.“ Das klingt wie eine Ausrede.

Grenze des Legalen

Dass Soros dennoch bisweilen bis an die äußerste Grenze des Legalen zu gehen bereit ist, werfen ihm Kritiker aus seinem Geburtsland Ungarn vor. Im Oktober 2008 schickte ein Unternehmen der Soros Fund Management die Aktien der größten ungarische Bank OTP in den Keller. Es hatte mit 390.000 geliehenen Aktien auf Kursverluste von OTP spekuliert – mit Erfolg. Die ungarische Finanzmarktaufsicht verhängte daraufhin die größte Strafe ihrer Geschichte – 1,8 Millionen Euro – gegen Soros. Der entschuldigte sich und versäumte es nicht, darauf hinzuweisen, dass er gerade wegen solcher Vorfälle für schärfere Kontrollen der Finanzmärkte sei. Im Übrigen habe die Firma keine Vorschriften verletzt.

Ähnlich argumentierte sein Anwalt 2006, als Soros in Paris wegen Insiderhandels verurteilt wurde: Die Börsenaufsicht habe den Fall bereits gesondert untersucht und sei zu dem Schluss gekommen, dass Soros nicht gegen geltendes Recht verstoßen habe. Er war für schuldig befunden worden, 1988 Aktien der Société Générale erworben zu haben, nachdem er von Übernahmeplänen erfahren hatte. Seine Aktienkäufe hätten damit aber nicht in Zusammenhang gestanden.

US-Soldaten im Irak Quelle: Laif

Auch sich lautstark gegen den Irakkrieg auszusprechen, aber Aktionär von Halliburton zu sein, einem wichtigen Army-Zulieferer im Irak, sei „kein Problem“: „Das war ein minimaler Anteil, in Prozent der Marktkapitalisierung sehr wenig.“ Das Problem sei der Irakkrieg – nicht Halliburton.

Sein Grundsatz scheint zu sein, alles zu tun, was erlaubt ist. Aktien der Rüstungsfirmen Lockheed und Northrop Grumman kaufte er nach einer Bestechungsaffäre „weil sie billig waren“. Das bedeutete nicht, dass er Korruption gutheiße. „Es war nichts moralisch Falsches daran, ihre Aktien zu kaufen.“ Eine Ausnahme macht er: Da er in einer Kampagne gegen Landminen aktiv ist, hat er seine Anteile an Unternehmen, die Minen produzieren, verkauft. „Ich fand es nicht sinnvoll, aber der Besitz hätte mein Werben für das Verbot unterminiert.“

Soros mag sich seines Spekulanten-Daseins nicht schämen. Wenn man Spekulanten beschimpfe, sei das so, „als ob man den Boten erschießt, weil er schlechte Nachrichten überbracht hat“.

Der Mann hinter Obama

Es ist kein Zufall, dass Soros’ Vorschläge zur Regulierung der Banken jenen sehr nahekommen, die US-Präsident Barack Obama derzeit durch den Kongress bringen will – ebensowenig wie, dass die von Soros gepredigte keynesianische staatliche Belebungspolitik das Credo der amerikanischen Demokraten ist. Soros war einer der großen Förderer von Obama. Heute zeigt er sich von seinem Protegé enttäuscht: Obama habe Banken nicht verstaatlicht, weil dies der „amerikanischen Tradition“ widerspreche. „Stattdessen verstaatlichte er die Schulden der Banken.“ Die Banken jetzt zu zwingen, ihren Eigenhandel vom Einlagengeschäft zu trennen, sei richtig: „Wenn der Staat die Garantie gibt, dass Banken in Finanzkrisen nicht bankrottgehen, sollte Eigenhandel außerhalb dieses garantierten Bereichs stattfinden. Sie sollten ihn den Hedgefonds überlassen. Die bekommen von Kunden dafür Geld; wenn es verloren geht, ist es deren Problem.“

Dass er dabei für sein eigenes Geschäft redet, weist er von sich: „Es kann sein, dass Hedgefonds zu groß werden, sodass man sie nicht ohne Weiteres bankrottgehen lassen kann. Deshalb müssen auch sie reguliert werden.“ Soros ruft also nach härteren Auflagen, die ihm und seinesgleichen die Geschäfte erschweren. „Als Teilnehmer im Markt verdiene ich dort Geld“, sagt er, „Aber als Bürger, der die Märkte versteht, möchte ich, dass die Märkte besser funktionieren.“

Allein vorpreschen, während alle anderen weitermachen wie bisher, will und kann er wohl nicht. Der Bürger, das ist seine Botschaft, ist ihm wichtiger als der Spekulant. Der Beweis dafür, dass das stimmt, steht noch aus.

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