Aktienhandel Wie Privatanlager von alternativen Handelsplattformen profitieren

Alternative Handelsplattformen mischen die Börsenlandschaft auf, versprechen mehr Wettbewerb und günstigere Konditionen. Was haben Privatanleger davon?

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Handelsraum: Aktienorders von Quelle: REUTERS

Xavier Rolet, neuer Chef der Londoner Börse, Franzose und Ex-Lehman-Banker, spricht amerikanisch gefärbtes Englisch und hat sich auch den gewollt aggressiven Slang der US-Investmentbanker zu eigen gemacht. „Wir werden offensiv sein, nicht defensiv“, tönte er, als er im Mai Börsenchef wurde. Jetzt startet der Hobbyrennfahrer – im Januar jagte der damals arbeitslose Rolet mit seinem Toyota Land Cruiser bei der Rallye Dakar über die argentinische Pampa – tatsächlich durch. Rolet will Turquoise kaufen, eine elektronische Plattform für den Aktienhandel.

Zu dem Deal treibt ihn ein Problem, das auch der Deutschen Börse zu schaffen macht: Die von Banken getragenen alternativen Handelsplattformen gewinnen Marktanteile, auch im von der Deutschen Börse dominierten Geschäft mit den Dax-Werten. Für Frankfurts Börsenchef Reto Francioni sind Turquoise oder die noch deutlich erfolgreichere Chi-X schlicht Parasiten, weil sie bei Festsetzung ihrer Kurse immer auf die Kurse der großen Börsen schielen, letztendlich also von ihnen leben. „Es ist klar sichtbar, dass ihre Handelsvolumina einbrechen, wenn die Hauptbörse ausfällt“, hat Francioni beobachtet.

Kampf den Parasiten

Die Deutsche Börse sagt den jungen Rivalen nun ebenfalls den Kampf an. Im November soll ihr Handelssegment für europäische Aktien, Xetra International Markets, an den Start gehen. Das System bietet Banken und Brokern, die Geschäft auf die neue Plattform lenken, extrem niedrige Gebühren.

Rund zwei Jahre nach Inkrafttreten der EU-Finanzmarktrichtlinie Mifid, die die Interessen der Anleger in Europa stärken und das Monopol der etablierten Anbieter brechen sollte, ist die internationale Börsenlandschaft heftig in Bewegung geraten. Das Verbot, dass Aktien nur über staatlich beaufsichtigte Börsen gehandelt werden dürfen, wurde mit der Mifid abgeschafft. Banken und Broker müssen nach den besten Möglichkeiten für die Ausführung von Wertpapiergeschäften suchen – und die können sie auch an den unbeaufsichtigten alternativen Plattformen finden. Das Prinzip der bestmöglichen Ausführung von Orders war wichtige Voraussetzungen für die Gründung der alternativen Börsen. Was aber bringt die neue Börsenwelt den Privatanlegern?

Kritik: Umsätze aufgesplittet

Der wichtigste Kritikpunkt: In Zukunft gibt es zwar mehr Wettbewerb, aber auch eine Aufsplitterung der Umsätze. Wenn an immer mehr Börsen gleichzeitig gehandelt wird, steigt das Risiko, dass die Spannen zwischen Ankaufs- und Verkaufspreis von Aktien weit auseinanderlaufen. Bei breiteren Spannen zahlen Käufer mehr und Verkäufer bekommen weniger – Anleger werden also in Summe schlechter gestellt. Umgekehrt gilt: Je mehr Anbieter und Nachfrager an einem Markt aktiv sind und aktiv Preise vorschlagen, zu denen sie handeln würden, desto mehr Geschäfte kommen zustande und desto niedriger sind die Spannen.

Die neuen Handelsplattformen setzen die alteingesessenen Börsen bereits gewaltig unter Druck. Sie jagen ihnen Marktanteile ab, zwingen sie, ihre Gebühren zu senken, und drücken damit die Gewinne der Platzhirsche. Die Londoner Börse machte denn auch 2008 Verlust, nur noch 60 Prozent des Handels in britischen Aktien laufen über sie. „Grundsätzlich ist es gelungen, den Wettbewerb zu intensivieren“, sagt Susanne Klöß, Partnerin und Börsenexpertin bei Accenture. Inzwischen tummeln sich über 120 große und kleine Anbieter auf dem heiß umkämpften Markt der alternativen Börsen, schätzt Mark Howarth, Chef von Chi-X Europe.

Grafik: Marktentwicklung verschiedener Indizes

Im europäischen Aktienhandel hat die 2007 gegründete Plattform laut Zahlen des Konkurrenten Bats Trading mit 13,7 Prozent Marktanteil mittlerweile sogar die Deutsche Börse überholt. Die lag zuletzt bei 12,1 Prozent. Chi-X dürfte bald als erste alternative Plattform überhaupt Gewinn machen. Nachzüglerin Turquoise ging erst im Herbst 2008 an den Start, mitten in der Finanzkrise, und kam bisher nicht über einen europäischen Marktanteil von sechs Prozent. Im März liefen die Garantien der Gründerbanken aus, die sich eine Zeit lang zum Handel dort verpflichtet hatten.

Bei Chi-X ist der Kampfgeist ungebrochen. „Wir sind fest davon überzeugt, dass wir in Europa eine strukturelle Veränderung sehen werden, die dem Muster des US-Marktes folgt“, sagt Europachef Howarth. In den USA wurde im Jahr 2000 dereguliert, binnen sieben Jahren fiel der Anteil der New York Stock Exchange beim Handel mit US-Standardwerten dann von 100 auf 28 Prozent. Laut Howarth verliert die Deutsche Börse an alle alternativen Handelsplattformen zusammengerechnet derzeit rund einen Prozentpunkt Marktanteil im Monat. Extrapoliere man diesen Trend, so könnte in zwei bis drei Jahren bereits die Mehrheit des Handels in Dax-Werten woanders stattfinden. Die Deutsche Börse will Daten zur Marktanteilsentwicklung der Alternativbörsen nicht kommentieren.

Kunden sollen vom zunehmenden Wettbewerb profitieren

Vom zunehmenden Wettbewerb und billigeren Transaktionsgebühren bei den alternativen Plattformen sollen alle Kunden profitieren. Allerdings haben Privatanleger zu Chi-X, Turquoise & Co keinen direkten Zugang. „Privatanleger werden auch weiterhin größtenteils von den traditionellen Anbietern bedient“, sagt Klöß von Accenture. Banken und Broker sollten, wenn sie denn alternative Plattformen nutzen, deren niedrigere Gebühren an die Investoren weitergeben. Im Vergleich zu dem einen Prozent vom Kurswert, das manche Banken heute noch für den An- oder Verkauf einer Aktie verlangen, sind die im Promillebereich liegenden Börsengebühren allerdings heute schon vernachlässigbar.

Stärker ins Gewicht als jede Gebühr fallen die Kurse, zu denen Aktienorders ausgeführt werden. „Ist der Kurs an der Primärbörse nur einen Cent besser, dann fällt die Gebühr nicht mehr ins Gewicht“, sagt ein Frankfurter Aktienhändler. „Die Ausführung unserer Kauf- und Verkaufsaufträge ist extrem wichtig. Es darf nur wenig Gewinn verloren gehen“, sagt Andreas Sauer, Chef der Frankfurter Fondsgesellschaft Quoniam, die alternative Handelssysteme schon jetzt „sehr stark“ nutzt. „Uns geht es um die Ausführungsqualität“ – also darum, zum bestmöglichen Kurs zu kaufen und verkaufen.

Ein Nebeneffekt der neuen Handelsvielfalt: Neuerdings nutzen Arbitrageure Kursabweichungen zwischen den Handelsplattformen und Börsen. Hochfrequenz-Händler mit superschnellen Computern haben sich auf diese Art von Handel spezialisiert. Ist die Allianz-Aktie im Frankfurter Xetra-System vier Cent teurer als auf Chi-X, kaufen sie binnen Sekundenbruchteilen bei Chi-X und verkaufen auf Xetra. So generiert der Wettbewerb zwischen etablierten Börsen und neuen Plattformen auch neue Umsätze. Zumindest zum Teil speisen sich die Umsätze der neuen Plattformen zudem aus Geschäften, die zuvor von Bank zu Bank abgewickelt wurden, also auch früher nicht über reguläre Börsen liefen. „Die Frage ist, ob Liquidität tatsächlich abgezogen wird“, sagt Klöß von Accenture, „oder ob man mit diesen alternativen Zugängen nicht mehr Liquidität schafft.“

Welche Konditionen gelten?

Brian Taylor, Gründer der britischen Beratungsfirma BTA, die mehrere Börsen zu ihren Kunden zählt, sieht in der neuen Börsenwelt deshalb eine „Verringerung der Transaktionskosten und eine Verringerung der Spannen zwischen Kauf- und Verkaufskursen – zumindest bei liquiden Aktien“. Chi-X behauptet denn auch, in den letzten sechs Monaten 92 Prozent aller Aktientransaktionen zu Spannen ausgeführt zu haben, die enger gewesen seien als bei den klassischen Börsen.

Ob Privatanleger wirklich von den neuen Handelsplattformen profitieren, hängt letztlich davon ab, inwiefern ihre Aktiengeschäfte immer am besten Platz zu den besten Konditionen abgewickelt werden. Nach Berechnungen von Equiduct, einer Tochtergesellschaft der Berliner Börse, ist das in Deutschland nicht der Fall. Privatanleger, die in Dax-Werte investierten, haben laut Equiduct allein im September 4,35 Millionen Euro eingebüßt, wenn man den besten Preis als Maßstab anlegt – berücksichtige man dabei auch noch die Gebühren, dann summiere sich der virtuelle Verlust sogar auf 4,76 Millionen Euro.

Chi-X-Europachef Howarth: In zwei bis drei Jahren über 50 Prozent des Handels in Dax-Werten bei den Alternativen

„Während die Orderregeln in den USA sehr eng definiert sind, ist das Prinzip der bestmöglichen Ausführung in Europa viel flexibler“, sagt Professor Bruce Weber von der London Business School. So können sich Broker oder Bank damit herausreden, dass der bessere Preis nur für ein geringes Volumen gegolten habe, dass die Order woanders schneller ausgeführt werden konnte als am Platz mit dem besten Preis oder dass es in Krisenzeiten wichtiger sei, eine technisch zuverlässige Lösung zu wählen, als nur auf den Preis zu achten. Die europäischen Vorschriften seien in der Tat „sehr schwammig“ heißt es auch in Anwaltskreisen.

Noch weniger Einblick darin, ob tatsächlich zum bestmöglichen Preis ausgeführt wurde, haben Fondsanleger. Fondsgesellschaften haben sich weitgehend aus dem direkten Wertpapierhandel verabschiedet. Bei Allianz Global Investors, der sparkasseneigenen Deka und bei Union Investment etwa laufen die Orders automatisch in die Computersysteme von externen Brokern wie Goldman Sachs, Deutsche Bank oder Nomura. Über deren Computersysteme werden sie dann weitergeleitet – entweder an die etablierten Börsen oder auf die neuen Handelsplattformen. „Der Anteil der alternativen Handelsplattformen wächst“, sagt Christoph Mast, Handelschef bei Allianz Global Investors. Die Systeme der Broker sollen aus allen Kursen den günstigsten herausfiltern.

Bestmöglicher Kurs ist kaum kontrollierbar

Kritiker bemängeln allerdings, dass nie klar ist, nach welchen Parametern die Systeme die besten Kurse suchen. Der Londoner Handelsspezialist Redburn argwöhnt, dass die Systeme in manchen Fällen sogar absichtlich so programmiert sind, dass das Kundeninteresse nur zweitrangig ist. Denkbar ist, dass eine Bank oder ein Broker, wenn ein Kunde eine Aktie kaufen will, diese Order aus eigenen Beständen bedient – entweder intern oder indem er ihr auf einer alternativen Plattform Aufträge gegenüberstellt und diese dann ausführt. Fondsgesellschaften könnten Orders zudem immer über die Mutterbank laufen lassen, sodass diese von Provisionen und Handelsspannen profitiert.

Ob der vom Computer gewählte Kurs tatsächlich der gesetzlichen Vorschrift zur bestmöglichen Ausführung entspricht, ist kaum kontrollierbar. „Ein Wertpapierauftrag läuft in Lichtgeschwindigkeit ab, er braucht etwa eine Millisekunde auf 100 Kilometer“, sagt der Chef eines Frankfurter Hedgefonds, der sich auf Kursdifferenzgeschäfte zwischen Börsen und alternativen Plattformen spezialisiert hat. In dieser Zeit wird die Order erteilt und die Ausführung bestätigt. Gleichzeitig werden alle Orders an Plattformen, die nicht zum Zuge kamen, gelöscht.

„Wirtschaftsprüfer können den in der Sekunde gültigen Kurs nicht über alle Plattformen bewerten“, sagt ein Experte. Geprüft werde höchstens, ob der gehandelte Kurs zwischen dem Höchst- und Tiefstkurs des jeweiligen Tages im laufenden Handel liege. Vom bestmöglichen Kurs kann dieser aber noch meilenweit entfernt sein – ohne dass dies irgendjemandem auffallen würde.

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