Altersvorsorge Die Riester-Bombe

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Ein paar Tage später ruft mich ein Sprecher des Unternehmens an. Er sagt, die amerikanische Regierung gestatte keine Besichtigung der Waffenfabrik. Geheimhaltungsgründe.

Der Zentrale von Textron liegt in der Stadt Providence im amerikanischen Bundesstaat Rhode Island. Es gibt aber noch eine andere Stadt, in der man dem Unternehmen nahe kommen kann, zumindest fünf Tage lang. Es ist Abu Dhabi, die Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate.

Eine Betonbaracke steht im Wüstensand. Ein Mann schaut heraus, er hält ein Gewehr in der Hand. Auf einmal explodiert eine Rauchgranate vor dem Fenster, gepanzerte Geländewagen rasen heran. Soldaten sprengen die Tür auf und zerren den Terroristen heraus. Applaus erklingt. Aus einem Lautsprecher mit Tarnüberzug ruft eine Männerstimme: „Beachten Sie die Geschwindigkeit, mit der die Mission erfüllt wurde!"

Auf der Freilichttribüne im Messezentrum von Abu Dhabi sitzen Offiziere in Paradeuniformen und Scheichs in weißem Tuch. Geschäftsmänner in Anzügen sind da und Frauen mit teurem Schmuck. Sie schauen zu, wie Kampfjets im Tiefflug vorüberdonnern und Spürpanzer über Sandhügel springen. Sie hören Granaten krachen und Motoren heulen und riechen den Duft der Kanonen. Es ist die Eröffnungsveranstaltung der International Defence Exhibition & Conference (Idex), einer der größten Waffenmessen der Welt, die alle zwei Jahre in Abu Dhabi stattfindet.

Berater der Vereinten Nationen

Die Bombe verkauft sich gut – die USA, Indien, die Türkei haben sie schon 1060 Unternehmen aus 52 Ländern präsentieren auf der Idex ihre Waren. Ich sehe ukrainische Panzer, bulgarische Handgranaten und südafrikanischen Stacheldraht. Minen sind ausgestellt und Minenräummaschinen, Panzerungen, die jedem Geschoss standhalten, und Geschosse, die jede Panzerung durchschlagen. Kriege mögen ein Mittel sein, um Macht auszuüben, in Abu Dhabi zeigt sich, dass sie auch dazu taugen, reich zu werden. Nie zuvor haben die Staaten dieser Welt so viel Geld für Waffen ausgegeben wie im vergangenen Jahr.

Der Textron-Stand ist in Halle A1. Zwei sandfarbene Schützenpanzer stehen auf sandfarbenem Teppich. Ein Araber macht Fotos mit seinem Handy. Meine Bombe ist nicht zu sehen. Das sei keine Überraschung, sagt Brian Johnson-Thomas: „Seit der internationalen Ächtung von Streubomben sind die Hersteller vorsichtig geworden.

Johnson-Thomas ist ein 64-jähriger Brite, der gerade versucht, sich das Rauchen abzugewöhnen. Beim Sprechen saugt er hin und wieder an einem Nikotin-Inhalator. Er hat einen Bart, eine Brille und einen runden Bauch. Wenn man hört, wie er voll Zuneigung von seinen Enkelkindern erzählt, hält man ihn für einen lieben Opa. Und nicht für den Kenner des Krieges, der er außerdem ist.

Johnson-Thomas diente einst bei der britischen Marine, vier Jahrzehnte ist das her. Während eines Landgangs hatte er einen Autounfall, seitdem sieht er schlecht. Kapitän konnte er nicht mehr werden, also versuchte er sich als Journalist und fing an, über das zu schreiben, was er am besten kannte: Soldaten, ihre Waffen, den Krieg.

Johnson-Thomas war in Bagdad, als dort 1991 amerikanische Lenkraketen einschlugen. Er sah, wie Nato-Truppen 1999 ihre Streubomben über Serbien abwarfen, beobachtete russische Panzer beim Einsatz in Tschetschenien und verdankt sein Überleben der kleinen Ungenauigkeit eines Scharfschützen in Liberia, dessen Kugel an seiner Stirn vorbeischrammte.

Vor zwölf Jahren merkte jemand im Büro der Vereinten Nationen in New York, dass es auf der Welt wenige Menschen gibt, die so viel von Waffen und ihrer Verbreitung wissen wie Brian Johnson-Thomas. So kam er zu seinem heutigen Job und der Visitenkarte, die er jetzt aus der Tasche zieht, als er den Textron-Stand betritt. „Consultant to the United Nations" steht darauf. Berater der Vereinten Nationen.

„Ich möchte mit Ihnen über Streubomben sprechen."

Johnson-Thomas ist hier, um herauszufinden, was die Streubombenhersteller über ihre eigenen Waffen sagen und wohin sie diese verkaufen. Er hat mir angeboten, ihn zu begleiten. Ein Mitarbeiter der UN erfährt mehr als ein Journalist aus Deutschland, den niemand kennt.

Neben einem Besprechungstisch am Textron-Stand lehnt eine Frau im Kostüm. Johnson-Thomas stellt sich ihr vor. Sie lächelt. „Ich möchte mit Ihnen über Streubomben sprechen." Das Lächeln ist weg. Die Frau verschwindet hinter einer Tür an der Rückwand des Messestandes.

Ein Mann mit gebräunter Haut und buschigen Augenbrauen kommt heraus, er trägt einen blauen Blazer mit goldenen Knöpfen. Er heißt Avo Boyamian, stammt aus Armenien und ist bei Textron zuständig für Arabien und den Nahen Osten.

Boyamian wirft einen Blick auf Johnson-Thomas’ Visitenkarte und schiebt ihm eine Coladose über den Tisch. Sich selbst öffnet er eine Plastikflasche mit Wasser. Beim Trinken hält er sie so, dass die Öffnung die Lippen nicht berührt. So schützt er sich vor Keimen, die am Flaschenhals kleben könnten. Dann beginnt er zu reden.

Boyamian sagt, anders als andere Streubomben habe die CBU-105 einen Selbstzerstörungsmechanismus. Sprengköpfe, die nicht wie geplant detonieren, vernichteten sich selbst. Blindgänger gebe es kaum. Die Gefahr für Zivilisten sei daher minimal, das hätten Tests bewiesen.

Er sagt, Textron habe versucht, der Bombe einen neuen Namen zu geben. CBU steht für cluster bomb unit, Streubombeneinheit. Textron wollte die Bezeichnung ändern, die Bombe sollte nicht mehr Streubombe heißen. Die amerikanische Armee habe das abgelehnt, sagt Boyamian, es wäre zu teuer, neue Verzeichnisse des Waffenarsenals zu erstellen.

Dann sagt er, die Bombe verkaufe sich sehr gut. Selbstverständlich gebe Textron sie nur an verantwortungsvolle Staaten ab. Indien zum Beispiel, Oman, die Vereinigten Arabischen Emirate, die Türkei, sie alle hätten die CBU-105 gekauft.

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