Aufstiege und Untergänge Deutsche Unternehmen: Hit oder Niete?

Aufsteigerland Bundesrepublik: Der Blick auf den Börsenzettel von 1958 lässt ein Gefühl aufkommen, das eigentlich ganz und gar uneffizient und damit überflüssig ist. Irgendwo zwischen Wehmut, Staunen und Befremden pendelt sich das Gefühl ein, das sich beim Studium der 100 größten deutschen Unternehmen vor 50 Jahren einschleicht. Eine nostalgische Retrospektive zum Börsenzettel von 1958.

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Die im Jahr 1955 von dem Quelle: dpa

Große Marken darunter, verfremdet durch antiquierte Firmennamen, längst verschwundene Ikonen der Wirtschaft, für heutige Verhältnisse mittelständisch anmutende Größenordnungen - damals aber Kolosse - springen ins Auge. Es gibt Unternehmen, die man aufgrund ihrer alten Bezeichnung kaum noch identifizieren kann. Zum Beispiel anno 1958 auf Platz 68 die Gesellschaft für Linde’s Eismaschinen AG, heute The Linde Group und der größte Industriegasehersteller der Welt. Eismaschinen und Kühltruhen sind längst verkauft.

Überraschung: Das größte deutsche Unternehmen war damals Krupp, mit knapp über 3,3, Milliarden Mark Umsatz etwas größer als Siemens, das auf genau 3,3, Milliarden Mark kam. Man kann sich die Bedeutung des damals gerade von Alfried Krupp frisch berufenen Berthold Beitz vorstellen, der sich keineswegs CEO oder Vorstandsvorsitzender von Krupp nannte, sondern Generalbevollmächtigter – das war etwas mehr als Generaldirektor. So hieß ja nur der Siemens-Chef. Erst auf Platz 17 rangierte Thyssen, das damals noch mit vollem Namen unter August Thyssen Hütte firmierte – noch vor Salzgitter und Hoesch (so heißen heute nur noch Badewannen). Immerhin meldete die Thyssen-Hütte Erlöse von 1,7 Milliarden Mark. Klöckner, ein Stahlkonzern mit Walzwerk in Georgsmarienhütte, rangierte auf Platz 25 und beschäftigte 36.000 Menschen, Krupp 105.000. Heute ist Klöckner längst untergegangen, das Stahlwerk gehört dem Unternehmer Jürgen Großmann, gleichzeitig auch RWE-Chef. RWE war der mit Abstand größte deutsche Versorger. E.On gab es noch 43 Jahre nicht, die Vorläufer PreussenElekra und Hibernia tauchten aber schon unter den ersten vierzig größten Unternehmen auf.

Die ersten Delikatessen im Wirtschaftswunderland

Die Milliarden-Schallmauer? Das war Bosch mit genau einer Milliarde Mark Umsatz. Größer als Bosch war damals Edeka und noch größer Karstadt – im Wirtschaftswunderland rannten die Leute den Warenhäusern die Grabbeltische um. Karstadt war sogar noch größer als Klöckner. Bei Edeka gab es die ersten Delikatessen, mit Walddorfsalat gefüllte Tomaten zum Beispiel. Der später so getaufte Albrechts Discount („Aldi“)  – 1958 gab es schon 20 Läden, die schlicht Albrecht hießen -  wurde 1958 und später richtig groß. Die enorme Expansion schlug sich aber noch nicht auf der Liste der größten Unternehmen nieder. Immerhin: 1960 machten die Brüder Albrecht bereits 90 Millionen Mark Umsatz und wären schätzungsweise ein auf Platz 200 rangierendes Unternehmen gewesen. Lederwarenhändler Otto Beisheim ließ sich noch Zeit, er gründete seine Metro erst 1963. Er hatte 1958 noch fünf Jahre Frist, über sein Konzept nachzudenken, das ihn zum einst reichsten Mann Deutschlands machte. Wie haben andere diese fünf Jahre genutzt?

… mit dem Verfassen von Subventionsanträgen? Zwei Bergwerke im Ruhrgebiet, Ewald Hugo und König Ludwig - es gibt sie nicht mehr –, waren 1958 zusammen größer als der damals führende Kommunikationskonzern Telefunken. Der war sozusagen das damalige deutsche Vodafone, nur ohne Handy natürlich. 500 Millionen Mark betrug der Umsatz der Kohleförderer. Kleiner waren eine Reihe von Markennamen, mit denen viele ihre erste Reise oder den ersten Kühlschrank verbanden. Er kam vom Großversandhaus Quelle, der Zusatz „Groß“ zeigte, dass man mächtiger als Heine oder Bauer war, heute Töchter von Otto. Unternehmer Otto bastelte noch in Hamburg an seinem Konzern, der heute Quelle weit überflügelt hat. Damals war Otto  noch weit davon entfernt, zu den ersten Hundert im Größenranking zu gehören. Dafür machte es Neckermann möglich, mit seinem Katalog auf Platz 58 zu kommen – und war damit ein weitaus größeres Unternehmen als die deutsche IBM. Damals hieß das Unternehmen Internationale Büromaschinen GmbH.

"Wir sind ein Stahlunternehmen"

In staubigen Büchern der Wirtschaftsgeschichte steht, dass Berthold Beitz, der heute noch quicklebendig ist, Ende der 50er das Volkswagenwerk schlucken wollte. Alfried Krupp war dagegen („Herr Beitz, wir sind ein Stahlunternehmen“). Nach den Maßstäben der Fusionitis jüngster Geschichte, als Vodafone Mannesmann übernahm und vom Börsenzettel tilgte (damals Platz 4), wäre es locker möglich gewesen, dass Großunternehmen Nummer eins (Krupp) Großunternehmen Nummer 4 (VW) übernimmt. Feindlich wäre das nicht gegangen, denn VW gehörte damals noch der Bundesrepublik zu hundert Prozent. Krupp montierte noch Krupp-Laster und stellte auch gleichzeitig so ziemlich alles in den Schatten, was sonst noch Brummis baute. Die Firma Henschel zum Beispiel - der Name ist ausgestorben, mit Sitz in Kassel - fand sich 1958 auf Platz 94 wieder. Das wäre nicht weiter interessant gewesen, wenn dieser Platz nicht noch eine Stelle vor BMW rangiert hätte.

BMW also auf Platz 95 der Liste. Herbert Quandt fing erst richtig an. Sein Unternehmen, das damals 195 Millionen Mark Umsatz machte und 1958 unwesentlich größer war als die Deutschen Linoleum-Werke AG (193 Millionen Mark Umsatz), hätte eigentlich ein Schnäppchen sein können. Wäre man damals ein deutscher Goldman-Sachs-Abgesandter gewesen mit heutigem Wissen – soweit voraus zu denken darf man von einem Investmentbanker wohl noch verlangen – würde man BMW und Borgward kaufen und zu einem Unternehmen zusammenführen – vielleicht unter das Dach von Krupp und Henschel bringen - Chance von damals also verpasst.

Kratzige Kunststoffhemden

Borgward? Ach so, das war mal eine Aufsteiger-Automarke aus Bremen, 1958 mit 622 Millionen Mark Umsatz vier mal größer als BMW und auf Platz 45. Borgward ist untergegangen, die Isabella kurvt nicht mehr über Ludwig Erhards frisch asphaltierte Straßen. Etwas größer als Borgward war übrigens eine Firma namens Bochumer Verein, heute als Teil der Georgsmarienhütte ein Unternehmen von Jürgen Großmann, der damals sechs Jahre alt war und gerade eingeschult wurde.  

Noch etwas größer als Borgward und Bochumer Verein, fast so groß wie Klöckner Humboldt Deutz, waren die Vereinigten Glanzstoff Werke. Das Textilunternehmen ist nicht ganz verschwunden (der Name schon). Es findet sich in kaum rekonstruierbaren Resten beim niederländischen Chemiekonzern Akzo Nobel wieder – das Geschäft mit Chemiefasern ist hier aufgegangen. 1958 waren die Vereinigten Glanzstoff Werke aber riesig. Das Unternehmen stellte die schimmernden Festtagsanzüge der Deutschen her, mit denen Mitte der 80er Jahre noch Erich Honecker gesehen wurde.

Treibsatz für Umsatz und Gewinn der Deutschen Glanzstoff Werke aber waren die Nyltest-Hemden, bügelfrei und billig (5,50 Mark), zu erwerben in der Kaufhalle (damals mit 332 Millionen Mark Umsatz größer als Hochtief). Heute gibt es diese Kaufhalle nicht mehr. Klingt ja auch nicht nach Lifestyle. Der Bedarf für hartfaserige, kratzige Kunststoffhemden war enorm. Sie sind vom Körper der aufstiegswilligen deutschen Männer auch verschwunden.

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