Börse 20 Jahre Dax: Gewinner und Verlierer

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Dennoch: Auch SAP schaffte schon 1995 knapp 50 Prozent Kursplus in den drei Monaten vor dem Dax-Debüt; der Deutschen Börse gelangen 2002, mitten in der Baisse, 20 Prozent Plus; ähnlich stark legten MLP und Post im Vorfeld ihrer Dax-Eintritte 2001 zu, von Hausse damals keine Spur. Der plötzliche Nachfragesog nach einem Index-Debüt kann immens sein, weiß Christian Herrmann, Leiter der IR beim Dax-Kandidaten K + S. „Nachdem wir vor einigen Jahren in den globalen Index Stoxx 600 gekommen waren, stieg unsere Aktie an einem Tag um zehn Prozent.“ Anleger, die auf Kursgewinne mit potenziellen Dax-Neulingen wetten wollen, müssen Kandidaten aber sehr früh identifizieren. Zimmermann: „Die allermeisten Dax-Aktienfonds werden nach wie vor aktiv verwaltet – und deren Manager wissen um den Vorläufer-Effekt bei den Kandidaten. Sie versuchen, früh einzusteigen und auf keinen Fall zu spät wieder rauszugehen.“

Für die Deutsche Börse ist der Dax eine lukrative Einnahmequelle. Im September 1990 trug das Deutsche Patentamt in München die Marke Dax ein. Die Namensidee hatten zuvor schon andere: 1970 verweigerte das Patentamt BASF noch die Eintragung eines Waschmittels mit dem Namen „Dax“ – der könne doch mit der südfranzösischen Stadt Dax verwechselt werden. Bei der Börse befürchteten die Patentschützer eine solche Gefahr nicht mehr.

Sehr bald darauf startete dann an der neuen Deutschen Terminbörse ein reger Handel mit Futures und anderen Finanzvehikeln, die sich auf den neuen Index bezogen. Etwas später kamen Optionsscheine auf den Dax hinzu, später Zertifikate. „Große Emittenten bezahlen der Börse derzeit für eine Dax-Globallizenz 350.000 Euro pro Jahr“, sagt der Vertreter einer Frankfurter Zertifikate-Bank.

Allein im Zertifikate-Geschäft dürften Lizenzeinnahmen von mehr als fünf Millionen Euro im Jahr zusammenkommen. Insgesamt dürfte die Marke Dax der Börse locker rund zehn Millionen Euro pro Jahr einbringen. Auch an Dax-Indexfonds verdient die Deutsche Börse durch Lizenzen und Gebühren für den Börsenhandel. Selbst die Information über den aktuellen Stand des Dax ist eine Geldquelle: Datenlieferanten müssen für die Veröffentlichung des Dax bezahlen.

Das Dax-Konzept entwickelt hat Frank Mella, 1988 Redakteur der Frankfurter „Börsen-Zeitung“. Er kam Anfang der Achtzigerjahre auf einer Journalistenreise nach Chicago auf die Idee, einen Index zu kreieren. Dort studierte er den Terminhandel, damals wie heute der größte der Welt. Und „dort wurde mir sehr schnell klar, dass ein moderner Kapitalmarkt einen allgemein akzeptierten Börsenindex als Referenzgröße braucht“. In Deutschland berechneten damals Zeitungen und Banken ihre eigenen Indizes. Beliebt waren etwa der Aktienindex der Commerzbank oder der FAZ-Index.

1987 bekam Mella von seinem Verleger den Auftrag, den Index der Börsenzeitung auszubauen. Er tüftelte daraufhin jahrelang „am Wochenende, abends oder nachts“ an seinem Konzept. Dabei hatte er vor allem zwei Ziele: Er wollte die Dividenden und Kapitalmaßnahmen der AGs in die Berechnung einfließen lassen, um die gesamte Wertentwicklung von Aktien darstellen zu können. Und er wollte einen Index als anerkannte Basis für Termingeschäfte bilden.

Beides ist ihm gelungen. „Das Drehbuch für den Dax habe ich geschrieben, den Film haben aber andere gemacht“, so Mella. Was er vornehm verschweigt: Auch die Einnahmen an der Kinokasse kassierten andere. Mella: „Die Konzeption des Index war Bestandteil meiner Arbeit bei der Börsenzeitung, dafür gab es nix extra.“

Immerhin: 1995 bekam er für die Konzeption des Dax das Bundesverdienstkreuz. Von Anfang an war die Deutsche Börse bei der Kreation des neuen Index mit im Boot. Bei der Berechnung half Artur Fischer, ein Technikfachmann der Deutschen Börse.

Fischer ließ auch die große Anzeigetafel im Börsensaal aufhängen. „Ein Geniestreich, der wesentlich zur Bekanntheit des Index beitrug“, sagt Mella. Manfred Zaß, damals Vorstand der DGZ-Bank und Aufsichtsrat der Börse, erfand den Namen. Er schlug vor, den Deutschen Aktienindex nicht DAI abzukürzen, sondern statt des ersten den letzten Buchstaben des Worts „Index“ zu nehmen. Der „Dax“ war geboren.

Prognosen, der Dax werde bald von Welt- und Branchenindizes verdrängt, haben sich nicht bewahrheitet. Dax-Investoren haben andere Probleme. 20 Jahre nach seiner Erfindung kämpft der Index mal wieder: mit galoppierenden Ölpreisen, den Flurschäden der Finanzkrise und dem drohenden Abschwung der Wirtschaft. Noch hält er sich wacker, bei 6500 Punkten.

Doch zum Geburtstag könnte die Lage besser sein; nicht nur charttechnisch ist sie so prekär wie lange nicht. „Anleger müssen sich in den nächszen 20 Jahren auf zunehmend schwierige Phasen einstellen“, sagt Joachim Schäfer, einer der dienstältesten Asset Manager Deutschlands, der den Dax seit dessen Geburtsstunde analysiert. „Die letzten 20 Jahre waren außergewöhnlich gut; das Wachstum der Firmen war dank der Globalisierung für die vielen Exportweltmeister im Dax enorm.“

Milan Dax, der 20-Jährige aus Anrath, will sich deshalb in Sachen Aktien weiter zurückhalten. Er verfolge die Kursentwicklung sehr interessiert, sagt er, halte selbst aber keine Aktien. In finanziellen Fragen vertraue er lieber der Anrather Sparkassen-Filiale. Bei der hat er sein Geld auf ein Sparbuch gepackt. Immerhin: Für sein Dax-Sparbuch muss er keine Lizenzgebühren an die Deutsche Börse zahlen.

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